Kullmann ermittelt in Schriftstellerkreisen. Elke Schwab

Kullmann ermittelt in Schriftstellerkreisen - Elke Schwab


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Lesung in Saarlouis mein Buch gekauft hatten?«, fragte Sibylle, während sie ihr Auto in der Dunkelheit auf dem Schotterparkplatz suchte.

      Antonia überlegte eine Weile, konnte aber nur den Kopf schütteln.

      »Einer von beiden hieß Ingo Landry.«

      »Warum ärgert dich das? Du willst doch, dass die Leute deine Veranstaltung besuchen und dein Buch kaufen.«

      »Bist du so begriffsstutzig oder tust du nur so?« Sibylle wurde ungehalten. »Sein Kumpel hat mich ausgefragt, wie ich auf die Idee gekommen bin und solche Sachen. Der kleine Zwerg, der mir damals schon unheimlich vorkam, war heute auch dabei. Also hatten sich die beiden schon damals den Plan zurechtgelegt. Sie haben mein Buch gelesen und siehe da, schon war alles da: Ingo Landry brauchte nur meine Idee zu übernehmen, einige Namen zu ändern und das Ganze als Produkt seiner Fantasie zu verkaufen.«

      Antonia wehrte ab: »Was ich hier gehört habe, ist für mich nur der Beweis dafür, dass er einen Krimi schreibt, in dem ein Mord vorkommt und Spannung und so. Alles andere spinnst du dir zusammen.«

      Wütend entgegnete Sibylle: »Vielleicht wollte auch Sonja Fries die Idee klauen. Und du willst deiner Kollegin nicht in den Rücken fallen.«

      »Ich glaube, jetzt gehst du zu weit.«

      Sibylle stieg in ihren Wagen und bemerkte: »Stimmt! Entschuldige bitte! Zuerst werde ich das Buch wohl oder übel lesen müssen, bevor ich Anschuldigungen erhebe.«

      »Willst du dir das wirklich antun?«

      »Ja!«

      »Du ärgerst dich jetzt schon. Also wird es eine Zerreißprobe für deine Nerven werden, dieses Buch zu lesen.«

      Kapitel 11

      Der Konferenzsaal füllte sich. Angenehmer Kaffeeduft zog herein. Das leise Gemurmel und Tassenklirren verstummte, Ruhe kehrte ein. Genau in diesem Augenblick öffnete sich die Tür und gab den Blick auf die Staatsanwältin Ann-Kathrin Reichert frei. Alle starrten sie an. Fürstlicher konnte ihr Auftritt nicht sein. Ihre giftgrünen Augen wanderten über die Kollegen, bis sie bei Jürgen Schnur aufblitzten. Sie steuerte ihn an.

      Der Stuhl neben Schnur wurde sofort frei gemacht. Der Dienststellenleiter wartete, bis sie Platz genommen hatte. Dabei bemühte er sich, nicht auf die Staatsanwältin zu schauen, was ihm schlecht gelang. Sie trug ihre feuerroten Haare offen. Ihr sommersprossiges Gesicht wirkte schelmisch. Die Bluse zeigte ein offenherziges Dekolleté.

      Alle warteten. Die Spannung stieg an. Plötzlich ertönte in voller Lautstärke Je t‘aime ... moi non plus, das französische Liebeslied von Jane Birkin und Serge Gainsbourg.

      Schnurs Gesicht färbte sich dunkelrot. Hastig zerrte er an der Brusttasche seines Hemdes und zog sein Handy heraus.

      »Scheiße«, murmelte er. »Wenn ich meinen Sohn in die Finger kriege, erschlage ich ihn.«

      Brüllendes Gelächter brach aus. Schnur meldete sich, aber niemand interessierte sich dafür, wer der Anrufer war. Die Stimmung war zu ausgelassen. Als er auflegte, verstummten alle und schauten ihn erwartungsvoll an.

      »Unsere Sekretärin bringt die Unterlagen des forensischen Anthropologen«, erklärte er.

      Kaum hatte er ausgesprochen, betrat eine füllige Dame mit grellbunten Kleidern und starkem Make-up den Besprechungsraum. Sie legte jedem Polizeibeamten eine Kopie auf den Tisch und eilte wieder hinaus.

      »Hier steht, dass es sich bei dem Skelett um ein männliches Opfer handelt«, begann Schnur. »Es genügt, wenn Sie den Bericht später lesen.«

      Alle Augen richteten sich auf ihn. Ihre Belustigung stand immer noch in ihren Gesichtern.

      »Theo Barthels hat einige Fundstücke untersucht, die in der Nähe des Skeletts lagen«, sprach Schnur weiter, wobei er sich bemühte, seinen Ärger über die aufgeheiterten Mienen nicht zu zeigen. »Theo, bitte erklär uns, was in deinem Bericht steht!«

      Der Angesprochene erhob sich mit einem Bündel Papiere in der Hand. Sein Anzug sah so aus, als sei er schon mehrmals getragen worden, weshalb er eher gemütlich als elegant wirkte. Seine Haare waren mit vielen grauen Strähnen durchzogen, seine buschigen Augenbrauen dagegen behielten ihre dunkle Farbe, was ihm schon bei einigen Kollegen den Spitznamen Theo Waigel eingebracht hatte.

      Mit fester Stimme begann er zu sprechen: »Die Untersuchungen an der Gürtelschnalle ergaben keine Hinweise auf einen früheren Besitzer. Eine Herstellerfirma ist nicht mehr darauf abzulesen, da die Schnalle zu stark verrostet ist. Der Eigentümer ist leider nur durch Zeugenbefragungen zu ermitteln.« Er atmete kurz durch und setzte seinen Bericht fort: »Auf dem Schlüssel, der neben dem Skelett lag, ist keinerlei Nummer zu erkennen, sodass wir darüber auch nichts herausfinden können. Entweder hat der Rost alle Hinweise aufgefressen oder aber es gibt keine Nummer, weil der Schlüssel nachgemacht wurde. Weiterhin haben wir die Fundstelle untersucht, nachdem Anke Deister dort verdächtige Bewegungen beobachtet hat. Bei der Untersuchung konnten wir keine Spuren herausfiltern. Durch die lange Trockenheit ist der Boden zu hart und hinterlässt keine Abdrücke. Tut mir leid, dass ich keine besseren Ergebnisse vorlegen kann.«

      »Können wir von einem Verbrechen ausgehen?«, fragte Ann-Kathrin Reichert.

      »Der Anthropologe Dr. Kehl stellte am Skelett fest, dass das Zungenbein gebrochen ist. Außerdem wurden Ober – und Unterkiefer bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert«, antwortete Schnur. »Leider ist nicht festzustellen, ob die Zertrümmerung vor oder nach dem Tod stattfand.«

      »Nach den von Ihnen zusammengetragenen Fakten handelt es sich also um ein Tötungsdelikt.«

      »Deshalb kommen wir nicht umhin, den Fall zu bearbeiten.«

      Alle nickten.

      »Die Medien haben schon fleißig berichtet. Sie stellen diese Tat als Anschlag auf das Biosphärenreservat hin. Können wir dem etwas entgegensetzen?«

      »Ja, die Leichenliegezeit. Der Tote ist nach Dr. Kehls Berechnungen seit mindestens fünf Jahren tot.« Dabei wies Schnur auf den Bericht des forensischen Anthropologen.

      »Die Öffentlichkeit hat ein großes Interesse an dem Fall. Ich gehe davon aus, dass Sie mit der Situation fertig werden«, merkte die Staatsanwältin an. Damit hatte sie die Sympathien sämtlicher Männer der Abteilung gewonnen. Die Bewunderung, die bereits für sie gehegt wurde, stieg noch weiter an; eine gehörige Portion Respekt mischte sich darunter.

      Den letzten Satz hatte Schnur als Aufforderung aufgefasst, nun sein weiteres Vorgehen zu besprechen. Er richtete seine Frage an seine Mitarbeiter: »Habt ihr Übereinstimmungen von vermisst gemeldeten Personen gefunden?«

      Bernhard Diez antwortete: »Ein Mann wurde in Ormesheim vermisst gemeldet. Die Übereinstimmungen sind folgende: Der Mann war zum Zeitpunkt des Verschwindens achtunddreißig Jahre alt und lebte in der Nähe des Fundortes. Sein Name ist Ingo Landry.«

      »Gute Arbeit. Das ging wirklich schnell!«

      »Anke hat mir einen Tipp gegeben«, gab Bernhard zu.

      Schnur schaute Anke fragend an, die daraufhin erklärte: »Kullmann hat mich auf einen ungelösten Fall aus seiner aktiven Dienstzeit hingewiesen. Die Tatsache, dass der Tote in Ormesheim gefunden wurde, erinnerte ihn daran, dass damals Ingo Landry als vermisst gemeldet worden war.«

      »Das ist interessant«, staunte Schnur. »Warum kann ich mich nicht daran erinnern?«

      »Ich war damals auf einer kriminalpsychologischen Schulung«, brachte Anke schnell ihre eigene Entschuldigung vor. »Das war im September 2001.«

      »Zu dem Zeitpunkt war ich mit meiner Familie in einem langen Urlaub.« Schnur war es mit der Angabe des Datums wieder eingefallen. »Wir waren sechs Wochen auf einer Safari.«

      Amüsiertes Geraune ging durch die Runde.

      »Sind Sie Großwildjäger?«, fragte Ann-Kathrin Reichert, wobei sie Mühe hatte, ernst dreinzublicken.


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