Kullmann ermittelt in Schriftstellerkreisen. Elke Schwab

Kullmann ermittelt in Schriftstellerkreisen - Elke Schwab


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und Martha sie schweigend an, was in Anke das Gefühl vermittelte, sie würden ihr nicht glauben. Es dauerte eine Weile, bis Kullmann nachhakte: »Ein Tierskelett?«

      »Nein! Ein menschliches Skelett.«

      Nun war er so überrascht, dass er aufstand und einige Schritte auf der Terrasse auf und ab ging. Dann stellte er sich vor Anke und meinte: »Deine Arbeitswut verfolgt dich bis in dein Freizeitvergnügen. Vermutlich ist es kein Zufall, dass ausgerechnet du auf einem Skelett gelandet bist.«

      »Was soll das heißen?«

      »Dass ein Jäger vermutlich auf einem Reh gelandet wäre oder ein Schuster auf einem alten Schuh. Du bist bei der Abteilung für Tötungsdelikte, prompt landest du auf einer Leiche.«

      »Das musst du gerade sagen. Kaum warst du pensioniert, bist du über eine Tote gestolpert. Und das noch in einer Angelegenheit, bei der niemand an ein Verbrechen glauben wollte.«

      Mit einem Nicken setzte er sich, nahm seine Flasche Bier und prostete seiner Frau und Anke zu.

      »Warum regst du dich so auf?«

      Kullmann stellte sein Bier ab, schaute Anke eine Weile an, bis er fragte: »Gibt es schon Vermutungen darüber, wie lange die Knochen dort liegen?«

      Anke berichtete ihm von den archäologischen Untersuchungen, die durchgeführt wurden, um ausschließen zu können, dass es sich um einen keltischen Fund handelt.

      Kullmanns Blick wurde skeptisch.

      »Erklär mir doch bitte dein Interesse an meinem Fund!«

      »Ich gebe zu, dass ich sofort an etwas denken musste.«

      »An einen alten Fall?«, hakte Anke nach.

      »In meiner Dienstzeit hat es mal einen Mord ohne Leiche gegeben – und zwar in Ormesheim. Ich weiß die Einzelheiten nicht mehr. Aber bevor ich die Pferde scheu mache, warte ich erst einmal ab, was deine Abteilung herausfindet. Vielleicht liege ich auch falsch und bringe euch auf die falsche Spur.«

      »Klar! Du neigst dazu, uns ständig auf die falsche Spur zu bringen«, spottete Anke.

      »Halte mich einfach nur auf dem Laufenden! Sollte ich mich irren, bin ich froh, den Mund gehalten zu haben. Wenn nicht, kann ich immer noch nach der Akte suchen lassen. Was hältst du von dem Vorschlag?«

      »Ich habe dich noch immer über meine Arbeit auf dem Laufenden gehalten. Warum sollte ich es ausgerechnet jetzt nicht mehr tun?«

      »Du bist heute kratzbürstig«, tadelte Kullmann. »Hat dir der Sturz die Laune verdorben?«

      Verdutzt schaute Anke ihren ehemaligen Chef und Mentor an. Er hatte Recht, sie benahm sich aufmüpfig. Dazu hatte sie keinen Grund – und Kullmann gegenüber schon gar nicht.

      Teil II

      Winter 2000

       Die Wolken wurden immer schwärzer. Eiskalter Wind pfiff ihm um die Ohren. Regentropfen peitschten in sein Gesicht. Er hatte Mühe zu erkennen, wohin er lief. Dabei versuchte er sein Tempo zu beschleunigen, aber seine Beine packten ihn nicht mehr. Er begann zu stolpern, rappelte sich wieder auf, taumelte weiter. Vor ihm lag die schmale Brücke zur Vauban-Insel. Das Ziel strebte er an, getrieben von der Hoffnung, sich dort vor seinem Verfolger verstecken zu können.

      Was geschah nur mit ihm? Er wollte sich einen vergnüglichen Abend mit einer Frau machen, hatte sich ein erotisches Abenteuer versprochen, doch nun rannte er um sein Leben.

      Eilig überquerte er die schmale Brücke.

      Ein Donner ertönte. Vor Schreck zuckte er zusammen, weil er schon glaubte, es sei ein Schuss gefallen. Warum war hier alles menschenleer? Niemand zu sehen, den er um Hilfe bitten könnte. Auf der Insel angekommen stand er vor einer Wegegabelung. Schnell musste er sich entscheiden, Zögern könnte seinen Tod bedeuten. Er wählte den linken Pfad, passierte den alten Bunker, in dem sich das Restaurant Contregarde befand. Zu allem Pech sah er, dass es geschlossen war – vermutlich schon seit Jahren, denn Efeu wuchs an der Eingangstür hoch. Er sprang die mit Hecken überwucherte Böschung hinunter und rüttelte an den Gittern vor den Fenstern, aber sie waren viel zu stabil. Da fiel sein Blick auf einen weiteren Bunker, der sich eine Ebene tiefer befand, ganz nah am äußeren Rand der Halbinsel, die zur Seite des Saarlouiser Stadtparks zeigte. Mit großen Schritten eilte er darauf zu, sprang über die Absperrung und robbte sich durch die dichten Hecken. Dort angekommen zerrte er gleich am ersten Gitter. Er hatte Glück. Es war locker. Gerade wollte er hineinspringen, da hörte er etwas ganz dicht hinter sich. Erschrocken drehte er sich um.

      Vor ihm stand eine vermummte Gestalt.

      Sibylle blickte auf und schaute in ein Publikum voller verängstigter Gesichter. Einige wischten sich den Schweiß von der Stirn, andere atmeten tief durch, weil sie genau im richtigen Augenblick aufhörte vorzulesen.

      Nur wenige Sekunden der Stille verstrichen, dann ertönte der Applaus.

      Hinterher erhob sich Antonia Welsch, stellte sich als Literaturagentin vor und verkündete, dass das Buch nun zu kaufen sei.

      Der Rest des Abends verging wie im Flug. Viele Bücher der Autorin Sibylle Kriebig wechselten ihren Besitzer. Die Gäste zeigten Begeisterung, waren von großer Neugierde gepackt und lobten Sibylles Vortrag, der Lust auf mehr gemacht habe.

      Der Lärmpegel sank.

      Nach und nach verließen die Besucher die Buchhandlung. Sibylle rieb sich ihr Handgelenk. Es schmerzte vom Schreiben der vielen Widmungen. Verträumt schaute sie sich um, bis sie zwei Männer sah, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Der eine war groß, schlank und elegant gekleidet. Ihn umgab eine Aura, die Sibylle sofort in ihren Bann zog. Ihre Blicke trafen sich. Sie fuhr zusammen, als habe ihr jemand in den Magen geboxt. Was bedeutete das?

      Sein Begleiter wirkte neben ihm winzig, dick und ungepflegt. Dafür blitzten seine Augen hellwach. Ausgerechnet der war es, der vor ihren Tisch trat. Er hielt ihr das Buch entgegen und fragte: »Wie sind Sie auf diese tolle Idee gekommen?«

      Verärgert über die Frage schaute Sibylle auf. Der Blick dieses Mannes löste in ihr das Gefühl aus, er könnte in sie hineinschauen. Das verunsicherte sie.

      Was bezweckte der Zwerg mit seiner Frage?

      »Ich habe einfach viele Ideen. Dafür gibt es wohl kein Geheimrezept«, wich sie aus.

      Ihre Angst, dass er ihr etwas entlocken könnte, was sie nicht sagen wollte, wuchs. Der Mann wirkte auf sie wie ein Fuchs.

      »Haben Sie schon mehrere Bücher geschrieben?«

      Was wollte er wirklich? Fragen wollte sie nicht, weil sie sich einen potenziellen Leser vergraulen könnte.

      »Nein, das ist mein erstes.«

      »Kommen noch weitere?«

      »Ich hoffe es.« Sibylle lachte nervös. »Aber zuerst muss ich die noch schreiben.«

      »Richten Sie bitte Ihre Widmung an Ingo«, bat er Sibylle.

      Die Autorin schaute ihn prüfend an.

      »Sind Sie das?«

      »Nein! Ingo Landry ist mein Freund«, dabei zeigte er auf seinen Begleiter.

      Neugierig schaute Sibylle wieder in die Richtung des Fremden. Er wandte ihr sein Gesicht erneut zu – wenn auch nur kurz. Aber das reichte schon, in Sibylle eine ganz Flut an gemischten Gefühlen hervorzurufen. Kannte sie diesen Mann?

      »Und Sie? Wollen Sie nicht auch ein Buch kaufen?«, fragte Sibylle hastig, damit ihr Glotzen nicht auffiel.

      Sie bekam keine Antwort.

      Die beiden Männer waren die letzten Gäste gewesen. Nach ihrem Weggang gähnte die erste Etage der Buchhandlung leer.

      Sibylle zögerte nicht und verließ zusammen mit Antonia das große Gebäude, in dem es plötzlich so still geworden war. Sie traten hinaus in eine sternenklare Nacht.


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