Kullmann ermittelt in Schriftstellerkreisen. Elke Schwab

Kullmann ermittelt in Schriftstellerkreisen - Elke Schwab


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dem Heimweg durch das nächtliche Saarlouis begann Sibylle ungeduldig, das Make-up aus ihrem Gesicht zu wischen. Sie entfernte die vielen Spangen, die ihre roten Haare davon abgehalten hatten, wie Borsten abzustehen.

      »Kannst du damit nicht noch ein bisschen warten?«, schimpfte Antonia. »Jetzt siehst du aus wie Frankensteins Monster.«

      »Dann fällt auch niemand über mich her.« Die beiden lachten laut auf und konnten sich gar nicht mehr einkriegen.

      *

      Matthias Hobelt und Ingo Landry stiegen in ihren Wagen und fuhren auf die Autobahn in Richtung Mandelbachtal. Zur späten Stunde herrschte wenig Verkehr auf der sonst stark befahrenen Straße. Stille breitete sich im Wagen aus. Es dauerte lange, bis Matthias das Schweigen brach: »Die Lesung hat mich auf eine gute Idee gebracht.«

      »Und die wäre?«

      »Du kannst doch fantastisch schreiben.«

      »Ich weiß!« Ingo nickte.

      »Was hältst du davon, wenn du ein Gegenstück zu dem Krimi ›Frauen an die Macht‹ schreibst und veröffentlichst?«

      »Ich soll ein Buch schreiben?« Ingo zweifelte.

      »Hast du Bedenken, so etwas fertigzubringen?«, fragte Matthias.

      Eine Weile hörten sie nur das leise Brummen des Motors. Ingo steuerte den alten Jaguar seines Vaters, dessen 6-Zylinder-Maschine nach wie vor wie ein Uhrwerk lief. Eine gute Limousine, die ihn an Komfort denken ließ. Bei kaltem Wetter zog er diesen Wagen den sportlichen Modellen vor. Gelegentlich leuchteten Scheinwerfer von entgegenkommenden Autos auf. Hier und da versuchte jemand zu überholen, was Ingo Landry mit seinen 250 PS unter der Motorhaube nicht zulassen konnte. In Sekundenschnelle beschleunigte er, was andere Autofahrer zum Aufgeben zwang, und in Ingo jedes Mal einen Triumph auslöste.

      Mit dem Gedanken, ein Buch zu schreiben, könnte er sich anfreunden. Das würde Anerkennung für ihn bedeuten, etwas, womit es sich gut leben ließ. Bisher hatte er allerdings nur Aufsätze im Deutschunterricht in der Schule geschrieben. Sie sind von seinem Lehrer zwar ausgezeichnet worden, weil sie auffallend gut waren. Aber genügte das wirklich, ein ganzes Buch fertigzustellen?

      Beruflich hatte er nichts aus seinem Leben gemacht.

      Solange seine Eltern – seine Pflegeeltern – gelebt hatten, brauchte er das nicht. Das Ehepaar war steinreich, sie konnten ihm jeden Wunsch erfüllen. Es war für ihn nie nötig geworden, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Sein Vater war über mehrere Legislaturperioden Kultusminister und seine Mutter Dozentin für Chemie an der Universität in Saarbrücken. Es grenzte an Wunder, dass sie Ingo trotz seiner Untätigkeit immer hoch geschätzt hatten. Womit hatte er sich ihre Bewunderung verdient?

      Inzwischen waren seine Pflegeeltern gestorben – und mit ihnen das erhebende Gefühl, etwas Besonderes zu sein.

      Heute überkam ihn der Eindruck, dass sein Werdegang mehr Ähnlichkeit mit dem eines verhinderten Künstlers, oder besser gesagt eines Lebenskünstlers, besaß als mit dem eines angehenden Buchautors. Von Kindesbeinen an gehörte das Basteln von schönen Spielzeugautos zu seinen Leidenschaften, bis er erkennen musste, dass er kein einziges Modell fertiggestellt hatte. Er hatte keine Motivation, keine Ideen. Er konnte sich nie auf das Ganze konzentrieren. Etwas niederzuschreiben war nicht schlecht. Aber trotz seiner vielfältigen Überlegungen sah er das unüberwindliche Hindernis darin, es bis zum Ende zu bringen. Wie beim Basteln von Autos waren es die Details, die ihn im Sumpf der Engstirnigkeit versinken lassen würden, während ihm das eigentliche Konzept entglitt. Wie sollte er es schaffen, ein komplettes Buch zu schreiben?

      Er wollte ehrlich zu seinem Freund sein, das war er ihm schuldig. Matthias hatte eine falsche Meinung von ihm, hielt ihn in der Kunst des Schreibens für begnadet, eine Haltung, die Ingo nicht gerne korrigierte. Sie behagte ihm – wie alles, was ihn auf das Podest stellte, auf das er eigentlich nicht gehörte.

      »Nein, habe ich nicht«, kam es Ingo über die Lippen, als hätten sie ein Eigenleben. Gerade noch hatte er einen vernünftigen Gedanken, wenn er auch einem Gang nach Canossa glich, nämlich ehrlich zu seinem Freund zu sein. Welcher Teufel ritt ihn, sich auf dieses gewagte Spiel einzulassen?

      »Nur, was soll ich schreiben?« Mit der Frage gab er seine Bedenken preis.

      »Ganz einfach: Wir lesen das Buch von Sibylle Kriebig, entnehmen die Ideen, verändern sie ein wenig, indem wir die Männer an die Macht lassen und schon ist ein fantastischer Krimi fertig«, erklärte Matthias. »Und du wirst sehen, dass dein Buch sich besser verkaufen wird.«

      »Warum?«

      »Weil du mich hast.«

      Ingo warf seinem Freund einen ungläubigen Blick zu.

      »Also«, drängte Matthias. »Was hält dich davon ab? Schreib dein Buch und du wirst sehen, die Medien machen einen großen Erfolg daraus.«

      »Du bist dir aber ganz schön sicher.«

      »Natürlich bin ich das! Ich habe mir alles gut überlegt«, gestand Matthias. »Ein Buch von einer namenlosen Autorin wird sich auf dem Markt nicht behaupten.«

      »Trotzdem kommt die Idee von ihr und nicht von mir«, zweifelte Ingo immer noch.

      »Wen interessiert das? Bestseller werden nicht geschrieben, sondern von den Medien gemacht!«

      »Also, wenn ich mir deinen Plan anhöre, gelange ich zu der Überzeugung, dass besser du das Buch schreibst. Du steckst voller Ideen – im Gegensatz zu mir.«

      »So ein Unsinn«, wehrte Matthias ab. »Ich kann keine drei Sätze fehlerfrei schreiben. Du bist in Deutsch richtig gut, hast schon in der Schule die besten Noten bekommen. Also musst du das Buch schreiben.«

      Sie verließen die Autobahn an der Abfahrt am Flughafen Ensheim, fuhren weiter über die Landstraße in Richtung Ormesheim.

      Kurz bevor sie den Ort erreichten, traf Ingo seine Entscheidung: »Du hast Recht. Wir werden das Buch schreiben.«

      »Klasse, Kumpel! Hand drauf!«, jubelte Matthias.

      Ingo parkte seinen Jaguar vor dem Elternhaus. Feierlich schlug er mit seinem Freund auf ihre Abmachung ein. Dabei fühlte er sich wieder wie der kleine Junge, der einen Streich ausheckte.

      »Das Geld teilen wir«, stellte Matthias klar und setzte damit dem Freudentaumel ein Ende.

      »Wenn wir welches verdienen«, gab Ingo zu bedenken.

      »Wir werden immer Mittel und Wege finden, den Verkauf anzukurbeln.«

      Kapitel 5

      Abwechselnd tauchten vor Ankes Augen Bilder vom Gesicht ihrer Tochter und einem kahlen Schädel auf, dessen untere Kieferpartie fehlte. Die helle, muntere Stimme, die sie hörte, passte ganz und gar nicht zu dem Totenkopf ohne Mund. Aber die Stimme war da. Lange wusste sie nicht, was sie ihr sagen wollte. Bis sie plötzlich die Worte klar und deutlich verstand: »Mama, aufstehen! Ich will reiten. Du hast es mir versprochen.«

      Erschrocken richtete sich Anke auf. Traum und Wirklichkeit hatten sich vermischt. Vor ihr stand Lisa mit ihrem hübschen, runden Gesicht und den strahlend blauen Augen, die große Erwartungen ausdrückten.

      Als Anke aufstehen wollte, schoss ihr ein stechender Schmerz durch den Kopf. Für einen kurzen Moment sah sie nur Sterne. Erschrocken ließ sie sich ins Kissen sinken. Aber Lisa war fest entschlossen, ihre Mutter an ihr Versprechen zu erinnern. Es blieb Anke keine andere Wahl, sie musste raus aus den Federn.

      Der zweite Versuch gelang wesentlich besser. Obwohl der Schmerz wie ein dumpfes Pochen in den Schläfen zurückblieb, gelang es ihr, sich bis ins Badezimmer zu bewegen, wo sie ihrem Kreislauf mit kaltem Wasser auf die Sprünge half. In der Küche suchte sie alles zusammen, was zu einem guten Frühstück gehörte. An diesem Morgen war es Lisa allerdings egal, was auf dem Tisch stand. Ihr ganzes Interesse war, so schnell wie möglich zum Pferd zu kommen.

      Anke versorgte


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