Am Ende siegt die Wahrheit. Bridget Sabeth
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Bridget Sabeth
Am Ende siegt die Wahrheit
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Inhaltsverzeichnis
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GESCHWISTER
Am Ende siegt die Wahrheit
Bridget Sabeth
Juli 1947
Steil und steinig stieg der Pfad vor Maria und ihrem achtzehnjährigen Zwillingsbruder Andreas Schneider an. Sie befanden sich auf dem zehn Kilometer langen Nachhauseweg, den sie zu Fuß zurücklegen mussten, und wofür sie etwa zwei Stunden benötigten. Verkürzen konnten sie die Wegstrecke nur, wenn sie den Steig durch den Wald wählten, an dem die Bäume meterhoch emporragten. Das wuchernde Gestrüpp auf beiden Seiten machte ein nebeneinander Hergehen undenkbar. Der Gewitterregen der letzten Tage hatte den Pfad glitschig gemacht, was das Vorwärtskommen zusätzlich erschwerte. Es roch modrig feucht, da sich kaum Sonnenlicht durch die Äste, Blätter und Nadeln hereinverirrte, während sie die sengende Hitze aussperrten.
Maria rutschte aus, der Dorn eines Hagebuttenstrauchs verhakte sich bei ihrer Bluse. »Ich hab dir ja gesagt, dass es keine gute Idee ist, bei dem aufgeweichten Boden die Abkürzung zu nehmen.« Vorsichtig löste sie den Widerhaken aus dem Stoff, schaffte es, ohne das Gewebe zu zerreißen oder einen Kratzer abzubekommen.
»Sei nicht so zimperlich!«, kam es barsch von Andreas zurück, der sich nicht einmal umdrehte, sondern stur weiterging.
»Bestimmt brauchen wir länger, als wenn wir gleich die Schotterstraße ausgegangen wären.« Verstimmt hob Maria mit ihren Händen die Lederriemen der Tasche an. Heute schnitten sie besonders schmerzhaft in ihre Haut, da sich etliche Bücher in ihrem alten Ranzen befanden, die sie ausnahmsweise mitnehmen durfte. Sie schielte zu den feinen Gurten. Die Riemen wirkten brüchig. Zum Glück hatte sie diese mit dem festen Garn verstärkt, sonst würden sie die Last nicht aushalten. So leistete der Tornister, der sie seit ihrem ersten Schultag begleitete, nach wie vor gute Dienste.
Maria machte den nächsten Schritt, um dem Bruder nachzukommen. Sie musste aufpassen, dass sie nicht neuerlich mit ihren abgenutzten Schuhsohlen den Halt verlor.
Das steilste Stück befand sich direkt vor ihnen, wo sie über einen kleinen Felsen klettern mussten. Maria hielt sich an einer Wurzel fest, die seitlich herausragte, hangelte sich daran hinauf, wobei ihr wadenlanger Rock sie behinderte. Andreas hatte es da mit seinen langen Beinen und den Hosen bedeutend leichter als sie. Er sprang hoch, als ob er in seinem vorherigen Leben ein Steinbock gewesen wäre. In seiner Eile trat er einen Stein los, der Marias Fußspitze streifte.
»Au! Pass doch auf!«, maulte sie prompt.
Andreas hielt an, schaute zurück. Hab ich sie arg erwischt? – Nein, sieht nicht so aus. »Beeil dich besser! Heute bist du wieder einmal in einem Schneckentempo unterwegs!«
»Ich finde den Weg alleine! Geh doch vor, wenn du es gar so eilig hast!«
»Mutter und Vater wollen nun mal nicht, dass du ohne mich gehst! Glaubst du, mir gefällt es, ständig auf dich warten zu müssen?«
»Wegen der paar Minuten schimpfst du, die du mit mir länger brauchst? Wer steht denn meist eine Stunde vor dem Sägewerk herum, und muss warten, bis deine Schicht zu Ende ist?!« Maria schloss zu ihm auf, der Bruder überragte sie um einen Kopf. Sie ließ die Tasche von den Schultern gleiten, die hart auf den Boden plumpste.