Am Ende siegt die Wahrheit. Bridget Sabeth

Am Ende siegt die Wahrheit - Bridget Sabeth


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Freund Markus Forcher wohnte etwa zwanzig Minuten per Fußmarsch von ihnen entfernt in einer Hütte am Waldrand. Andreas hatte ihm tatkräftig beim Bau der Baracke geholfen, die er auf dem heimischen Grund errichtet und gemütlich eingerichtet hatte. Sie bestand aus einem einzelnen Raum, den ein Holzofen wärmte. Es gab einen Tisch mit zwei Stühlen, ein paar Schränke, und einen Diwan, der als Schlafstätte diente. Wenn Vater üble Laune hatte, flüchtete er gerne zu seinem Freund. Das Plätzchen dort fühlte sich für ihn wie ein Stückchen Heimat an!

      Als Andreas aus dem Sichtfeld entschwunden war, schlenderte Maria zu dem Ahornbaum, und ließ sich auf der Holzbank nieder. Neben ihr schlängelte sich ein Bächlein vorbei, es plätscherte unablässig über die Steine. Ihr Bruder war heute übergeschnappt! Zuerst trug er die Tasche, dann redete er von einer Liebelei. Jetzt der Abschiedsschmatz! Markus würde mich weniger brüderlich küssen! Wie es sich wohl anfühlt, wenn sich zwei Menschen lieben und einander zugetan sind? Allein der Gedanke daran ließ Marias Herz heftig klopfen. Ob ich das einmal erleben darf?

      »Ist Andreas zu seinem Freund gelaufen?«, ertönte Margarethes Stimme.

      Maria zuckte zusammen, war froh, dass Mutter nicht in ihren Kopf hineinschauen konnte. »Ja.« Sie stand rasch auf, um den für sie bestimmten Teller entgegenzunehmen.

      »Das wird Vater gar nicht gefallen!«

      Maria betrachtete verblüfft das Essen. Auf dem Holzteller befand sich Geselchtes und Sauerkraut. An einem normalen Wochentag! Normalerweise gab es Kartoffeln in den verschiedensten Variationen: Als Suppe, Knödel, Schmarren, mit Salz und Butter, oder mal als Salat. »Heute gibt es Fleisch?«

      Das Gesicht der Mutter wirkte versteinert. »Mahlzeit.« Margarethe wandte sich ohne weitere Erklärung ab. Die zweite Portion, die für Andreas gedacht war, nahm sie mit.

      Maria verharrte mit dem Teller in der Hand, sah verwirrt der Mutter nach, die Richtung Bauernhaus eilte. Sie realisierte erst jetzt, dass Margarethe das Sonntagsdirndl trug, das sie früher mehr ausgefüllt hatte und ein paar Abnäher an den Seiten vertragen würde. Dick war sie nie gewesen. Es schien, dass jedes Kilogramm, was der Vater mehr ansetzte, bei ihr verloren ging. Das Haar der Mutter war wie üblich unter einem Stofftuch versteckt und tief im Nacken zusammengebunden. Nur seitlich ragten vereinzelte graue Strähnen hervor. Maria seufzte. Vieles ging ihr durch den Kopf: Andreas, Markus, der sonderbare Besuch des Onkels.

      Gerade jetzt sehnte sie sich danach, mit jemanden über ihre Bedenken und Sorgen zu reden! Aber Andreas war bei seinem Freund, und zu Dorli kam sie nicht. Mit Glück konnte sie mit ihr am Sonntag nach dem Kirchgang kurz quatschen.

      Maria ließ sich auf der Bank nieder, platzierte den Teller auf ihrem Schoß. Viel Hoffnung hatte sie nicht auf ein solches Gespräch, denn auch da fehlte oft die Zeit, um sich ausführlicher auszutauschen. Und seit sich Dorli mit dem Briten traf, schwärmte sie ohnehin für den, wie eine liebestolle Kuh, wo kein anderes Thema Platz fand. Marias Eltern würden ihr nie erlauben, mit einem Mann auszugehen. Schon gar nicht mit einem von einer anderen Nationalität! Wobei, Markus würden sie noch weniger gutheißen!

      In den Baumkronen zwitscherte ein Vogel sein Lied. »Si-si-si-si-süh«, erklang es trotz der heutigen Schwüle. Maria suchte nach ihm, entdeckte ein goldgelbes Köpfchen.

      Ein Goldammer, wie schön! Sie kannte seinen Singsang gut. Jetzt in den heißen Sommermonaten, wo die Brutzeit der anderen Vögel vorbei war, verstummten viele Lieder, da sie nicht ihre Jungen und das Revier verteidigen mussten. Beim Goldammer verhielt es sich andersrum, er schien da zur Höchstform aufzulaufen.

      Maria stocherte lustlos in ihrem Essen umher, schob das Fleisch von einer Ecke in die nächste. Sie lebte an so einem herrlichen Ort und fühlte sich dennoch eingesperrt! Könnt ich bloß einen Tag von meinen Verpflichtungen befreit sein, einmal neue Kleider statt diesem zerlumpten Gewand tragen! Tun und lassen was ich möchte! – Oje, schon wieder füllen mich all die neidigen Gedanken aus! Sei dankbar, sonst musst du bei der Beichte Abbitte tun!

      Ihr Blick verschwamm, als sie zwischen den dichten Ahornblättern zu dem tiefblauen Himmel hindurchschaute. Jakob! Bist du da oben? Wachst du über uns? Was würde ich jetzt für deine Ruhe und Besonnenheit geben. Oder dafür, dass du zur steirischen Harmonika greifen könntest, um ein Lied zu spielen, das mich aufheitert. So wie früher, zwischen all den Knechten und Mägden, als ich mich heimlich in die Stube geschlichen habe. Dort war es lustig, ihr habt gesungen und getanzt!

      Mit seinem Weggang verschwanden die fröhlichen Melodien, die zuvor unablässig gesummt wurden. Bis heute waren sie nicht mehr wiedergekehrt. Maria schob den Teller von sich. Sehnsüchtig hatten sie während des Kriegs auf Lebenszeichen von Jakob gewartet! Auf Briefe oder Postkarten. Insgesamt kamen zehn Stück davon, dann war es still geworden. Über Wochen und Monate zog sich die nervenaufreibende Ungewissheit, ehe eine Nachricht kam, in der er offiziell als vermisst gemeldet wurde. Auch da hofften sie noch.

       Gefallen sollst du erst in einer der letzten Schlachten sein. – Wieso hast du nicht mehr geschrieben? Konntest du nicht? Wo warst du all die Zeit? In Gefangenschaft? Verletzt? Irgendwo an der Front, wo du keine Möglichkeit hattest, Nachrichten zu verfassen, oder wurden diese nicht weitergeleitet? Es tut noch immer weh, ohne dich zu sein!

      Ob das die Eltern gebrochen hatte und sie noch kühler werden ließ? Zumindest trug Mutter seit damals diesen verbitterten Zug um ihre Lippen. Maria starrte hinüber zu dem Fahrzeug des Onkels. Alfons hatte es besser getroffen als sie! Hatte Vater ihn hergebeten? Was wollte er von ihm? Geld? Einmal hatte Maria das Wort finanzielle Probleme aufgeschnappt. Ihr Blick wanderte hinauf zu dem desolaten Fensterladen über das verwitterte Schwarzgrau des Holzes zur kaputten Glasscheibe im Obergeschoss. Der Kontrast zwischen dem neuwertigen Auto und dem Haus war enorm. Sie schaute an sich hinab, trug eine vergilbte Bluse, dazu den langen Sommerrock, am Saum mehrfach geflickt.

      Es öffnete sich die Haustür. Die Eltern und Onkel Alfons traten ins Freie. Steif standen sie sich gegenüber. Sogar aus dieser Entfernung war es Maria bewusst, dass es sich um kein allzu freundschaftliches Gespräch gehandelt hatte. Alfons marschierte zu seinem Wagen, startete ihn. Dunkler Rauch stieg aus dem Auspuff empor.

      Indes näherte sich Maria ihrer Familie. Da entdeckte ihr Onkel sie, winkte sie herbei und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, als ob er gar nicht bemerken würde, wie unpassend sie im Vergleich zu ihm gekleidet war.

      »Fein, dass ich dich noch treffe«, meinte er einnehmend. »Ich habe für deinen Bruder und dich ein kleines Geschenk dagelassen.«

      »Danke.« Maria war gefesselt von seinem selbstsicheren Auftreten. Der Steireranzug, den er trug, war aus edelstem Stoff. Am Beifahrersitz lag der dazu passende Hut. Eine Linie des akkurat gezogenen Rechtsscheitels im braunen Haar leuchtete hell entgegen. Da gab es keine Strähne, die sich in eine falsche Richtung verirrt hätte. Gegenüber dem Vater wirkte er um Jahrzehnte jünger, dabei war Alfons um drei Jahre älter! Am Handgelenk protzte zudem eine goldene Uhr.

      »Ich hoffe«, fuhr ihr Onkel fort, »dass wir in Zukunft mehr Kontakt miteinander haben werden. Du bist ein hübsches Ding geworden. Wie doch die Zeit vergeht!«

      Hübsch? Ich? Maria wich zurück. Sah er nicht, wie schäbig sie ausschaute? Sie hatte Schwielen an den Händen durch die harte Hofarbeit! Bestimmt wollte er bloß freundlich sein!

      Alfons nickte ihr zur Verabschiedung zu, brauste davon. Die Autoreifen wirbelten eine Staubwolke auf, der Maria versuchte zu entkommen. Sie eilte an die Seite der Eltern. Als sie fragen wollte, was der Besuch auf sich hatte, kam Vater ihr zuvor.

      »Das nächste Mal starrst du ihn nicht so unverschämt an!«

      »Ich … ich … entschuldigen Sie bitte«, brachte Maria perplex hervor.

      Als Kinder siezten sie den Vater. Adam bestand darauf, es war für ihn ein Zeichen des Respekts. Nur widerwillig duldete er, dass seine Frau Margarethe den Kindern eine vertrauliche Anrede gestattete. Breitbeinig stand Adam vor ihr, das Gesicht gerötet. An den Wangen entdeckte sie rot-violette Adern, die darauf hinwiesen, dass sein Herz angeschlagen war. Ein Gürtel hielt seine Hose zusammen, der obere Knopf ließ sich aufgrund der Leibesfülle


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