Am Ende siegt die Wahrheit. Bridget Sabeth

Am Ende siegt die Wahrheit - Bridget Sabeth


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Er hatte es nicht aus Wut oder Zorn getan, sondern erlöste sie vor der unmenschlichen Qual. Nie würde sie diesen Anblick vergessen! Wieso vermochten die Ärzte nicht, Anna bei der Krankheit zu helfen?

      Ein Blitz fuhr in der Nähe ein, fast zeitgleich donnerte es. Die Gewitterfront lag über ihnen. In Marias Ohren rauschten Georgs damaligen verzweifelten Klagen. Seitdem betäubte er sich mit Alkohol, bis er nicht mehr der deutschen Sprache mächtig war. Es verwunderte sie, dass er dennoch Nacht für Nacht nach Hause fand, in die Baracke neben dem Stall, in der sein Schlafplatz lag.

      Ob die Eltern von der Sterbehilfe wussten? Von ihr hatte es nie jemand erfahren! Ich hätte an seiner Stelle vermutlich ebenso gehandelt!, dachte Maria nicht zum ersten Mal. Für Anna gab es keine Rettung. Trotzdem war mit diesem Tag etwas in Georg zerbrochen, was nie mehr heilen würde. Andreas hatte recht. Es war eine schreckliche Zeit, in der sie seit Jahren lebten!

      Plötzlich fasste jemand an ihre Schulter. Marias Herz schien einen Schlag auszusetzen. Ein leiser Schrei entwich aus ihrer Kehle. Ehe sie sich umdrehte, vernahm sie Andreas’ amüsiertes Lachen im Ohr. Sie hatte ihn nicht kommen hören.

      »Keine Sorge, ich bin’s. Ich weiß doch, welche Angst du vor Gewittern hast.«

      Maria atmete erleichtert auf. »Ich dachte schon, es wäre Vater.«

      »Sie sind so seltsam, nicht erst seit heute.« Andreas rieb sich nachdenklich die rechte Wange.

      »Hat er dich auch geschlagen?«

      »Ja.« Er schluckte. »Dich ebenso?«

      Maria nickte. Sie nahm auf ihrem Bett Platz, steckte die klammen Füße unter die Bettdecke. Erneut fuhr ein Blitz über den Himmel, erhellte für kurze Zeit die Nacht und das Schlafgemach, gefolgt mit einem tiefen Donnern, der in ihrer Brust nachhallte.

      Andreas legte fürsorglich einen Arm um die zitternde Schwester. »Ich weiß zwar, dass sie von Markus nicht begeistert sind. Aber so übertrieben haben sie noch nie. Und ich verstehe es nicht. Vor dem Krieg war das nachbarschaftliche Verhältnis in Ordnung. Was ist passiert?«

      »Hast du jemals mit Markus darüber gesprochen, was der Grund sein könnte?«

      »Er weiß es nicht. Und er legt ohnehin keinen Wert auf andere Meinungen. Der Krieg hat ihn etwas eigenbrötlerisch gemacht. Dennoch bin ich froh, ihn zu meinem Freund zu haben. Manchmal ist es, als wäre er mein großer Bruder. Jakob war auch immer ruhig und besonnen, findest du nicht?«

      »Ich kann das nicht beurteilen, dafür kenne ich Markus nicht gut genug!« Maria rückte ein Stück ab.

      »Was ist los mit dir? Hab ich etwas Falsches gesagt?«

      Schuldbewusst nagte Maria an ihrer Unterlippe, sie vermisste die geschwisterliche Geborgenheit. »Verzeih, aus mir spricht meine dumme Eifersucht. Ich fühl mich ausgeschlossen, und bin neidisch auf deine Freiheiten, die mir als Mädchen verwehrt bleiben. Vielleicht hab ich auch ein Stück weit Sorge, dass ich dir weniger wichtig bin. Obwohl, das stimmt nicht. Jetzt bist du hier, wegen mir und meiner absurden Ängste.«

      Andreas schwieg ein paar Momente. »So schlimm? Ja sicher, was frage ich so blöd.« Sein Blick wirkte sanft. »Was ist mit Dorli? Gehst du nicht manchmal zu ihr?«

      »Die hat nur mehr Augen für ihren Briten, James heißt er«, presste Maria hervor. »Seit Vater davon weiß, hat er mir verboten, sie zu besuchen. Aber es wäre ganz gleich, auch wenn er es erlauben würde, ich will in eine junge Liebe nicht hineinplatzen.«

      »Falls du möchtest, nehme ich dich das nächste Mal zu Markus mit. Er hätte nichts dagegen. Er mag dich.«

      Maria schüttelte abwehrend den Kopf. »Er ist dein Freund. Ich wäre nur das fünfte Rad am Wagen. Das will ich nicht. Besser ist es, ich schnappe mir Pfarrer Ludwigs Bücher, um sie zu studieren, dann komme ich nicht auf so dumme Gedanken.«

      »Lehn nicht gleich ab. Glaub mir, Markus kann sehr nett sein. Aber was mach ich da?« Andreas grinste. »So wie ich ihn anpreise, könnte man glatt meinen, ich möchte dich mit ihm verbandeln.«

      Maria stob mit klopfendem Herzen auf.

      »Lass dir gesagt sein, Schwesterlein. Von allen Männern, die ich im Umkreis kenne, würde ich ihn am liebsten an deiner Seite wissen. Erzähl das bloß niemals Vater und Mutter, sonst bin ich enterbt.«

      »Für eine Verbindung bedarf es eines Einverständnisses auf beiden Seiten«, meinte sie ausweichend. »Manchmal frage ich mich, ob unsere Eltern aus Liebe geheiratet haben.«

      »Geheiratet wird wegen der gegenseitigen Absicherung«, warf Andreas unromantisch ein. »Mutter war eine Magd, brachte ihre Schönheit mit ein, wobei auch die nur mehr in Nuancen vorhanden ist. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass sie je miteinander geturtelt haben. Du?«

      »Nein. Du hast recht, Mutter sieht mittlerweile alt und abgearbeitet aus.« Maria schaute durch das Fenster nach draußen. Das Wetter war ihr nicht geheuer. »Weißt du, weshalb Onkel Alfons hier war?«

      »Ach, der.« Andreas versteifte sich.

      »Er hat uns Geschenke mitgebracht«, plauderte sie eifrig weiter. »Hast du deines aufgemacht?«

      »In hundert Jahren nicht!«

      »Sei nicht so. Ich finde die Sachen schön. Noch nie hab ich einen derart weichen Stoff in meinen Händen gehalten. Fühl mal, das blaue Kleid hängt dort über dem Stuhl.«

      »Er will uns damit kaufen.« Andreas wirkte ernst, trat an ihre Seite. »Es reicht schon, wenn sich die Eltern von ihm kaufen lassen.«

      Ein Blitz zuckte durch die Nacht, ließ Maria erschrocken hinausspähen. »Schau mal! Der Bach führt kaum Wasser, obwohl es aus allen Kübeln schüttet! Eigenartig, was hat das zu bedeuten?«

      »Du hast recht. Verdammt! Wir müssen sofort raus und nachsehen, was da los ist!«

      »Weshalb denn?« Maria blickte ihn verständnislos an. War ihr Bruder verrückt geworden, bei dem Wetter das sichere Haus zu verlassen? Nicht einmal einen Hund würde man hinausjagen! Sie schielte zu dem Gefäß auf dem Boden. Viel Platz war darin nicht mehr übrig. Bestimmt waren die Töpfe in den anderen Räumen inzwischen ebenso randvoll. Hastig zog sie die Schuhe an, wollte zu dem Gefäß greifen.

      »Lass das! Dafür ist jetzt keine Zeit!«

      Maria gab bei Andreas’ Entschlossenheit ihren Widerstand auf. Ein Donner ließ die Glasscheiben vibrieren. Das Unwetter hing nach wie vor direkt über ihnen. Der Bruder hämmerte gegen die Tür des Elternschlafzimmers. »Ihr müsst raus! Das Wasser hat sich irgendwo gestaut!«

      »Dafür wird Vater dich erschlagen! Es ist längst nach Mitternacht, du weißt, wie heilig ihm sein Schlaf ist!« Entsetzt drückte sich Maria an die Wand.

      »Du missratene Brut, stör mich nicht!«, grollte Adam aus dem Inneren.

      »Beruhig dich, dein Herz!«, vernahmen sie Margarethes beschwichtigende Worte.

      »Verdammter Grantler.« Andreas wich ab.

      »Mutter, bitte schaut doch selbst!«, rief Maria mit besorgter Stimme.

      »Los Maria, mach schon!« Der Bruder sah vom Treppenabsatz zu ihr herauf, hielt eine Jacke für sie bereit.

      Sie rannte die Stufen hinunter, hatte kaum genug Zeit, um in die Ärmel hineinzuschlüpfen, da zerrte Andreas sie weiter vor die Tür. Die Tropfen prasselten hart herab, sie wurden eingehüllt von einem Tosen und Knarren. Die Luft wirkte nebelig, es war unheimlich.

      »Oben muss irgendetwas den Bach verlegt haben!«, schrie Andreas aus Leibeskräften, um den Lärm zu übertönen.

      »Ist das schlimm?«

      Der Bruder nickte ernst. »Unterschätze nicht die Kraft eines Wassers, das habe ich in der Mühle beim Sägewerk mehrfach erlebt.« Einmal, da hatte er noch gar nicht lange dort gearbeitet, rissen verkeilte Baumstämme tiefer Löcher in die Gebäude. Sie waren wie Geschosse gewesen, die im näheren Umfeld alles zerstörten. Die Aufräumarbeiten und


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