Der Zorn der Hexe. Lars Burkart

Der Zorn der Hexe - Lars Burkart


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Nachricht, dass sie vielleicht doch nicht die Letzte ihrer Familie war, und zu guter Letzt wollte ihr nicht einfallen, wie sie Gewissheit bekommen würde. Und da sollte man nicht aufgeregt sein?

      Und dann kam auch noch die bange Frage hinzu, ob die anderen, ihre unbekannten Verwandten, von dem Verhängnis wussten. Das war ein Gefühl, als säße sie auf Kohlen. Vielleicht wussten sie es nicht und es traf sie dann eines Tages wie aus heiterem Himmel? Eine schreckliche Vorstellung! Soweit wollte Sabine es nicht kommen lassen. Sie musste Gewissheit bekommen. Und das ging nur, wenn sie pausenlos arbeitete, forschte und suchte…

      Und genau hier begann der Teufelskreis. Sie musste zwar hart arbeiten, sicher, aber sie musste auch einmal ruhen, um so hart arbeiten zu können. Vielleicht begriff sie diesen Punkt sogar, bevor ihr Körper seinen Tribut forderte, vielleicht aber auch nicht und es traf sie überraschend. Aber wie auch immer: Früher oder später musste sie ausruhen, ob sie nun wollte oder nicht. Die Frage war nur, auf welche Weise. Scheinbar wählte sie die Ich-arbeite-bis-zur-totalen-Erschöpfung-Methode. Denn sie gönnte sich keine Sekunde Ruhe. Na, wenn das mal gut ging!

      Ein paar Stunden später saß sie immer noch da und las in den Blättern – allerdings, ohne den Inhalt zu begreifen. Ihr Kopf hämmerte wie ein Trommelkonzert, in dem keine anderen Instrumente mitwirkten, nur Trommeln, Hunderte von Trommeln. Ihr Nacken war hart, wie in Granit gehauen, in ihrem Rücken piekste und stach es, und ihre Muskeln schmerzten. Wie lange wollte sie dieses Spiel noch weiterspielen?

      „Ganz einfach, so lange ich muss! Und wenn es sein muss, sogar noch länger!“, spie sie dem verdammten Papier entgegen, das in ihren Händen zitterte wie ein ängstliches Rehkitz. Sie hatte kaum noch Kraft, es zu halten, aber noch genug Kraft, um Sprüche zu klopfen.

      Allmählich machte sie sich doch Gedanken. Sie überlegte, was sie eigentlich erreichen wollte und ob sie es auch erreichte, wenn sie nicht einmal mehr genug Kraft hatte, um ein Blatt Papier hochzuheben.

      „Niemand hat gesagt, dass es leicht wird! Ich koche mir einfach einen Kaffee, der bringt mich schon wieder auf die Beine!“

      Das hatte sie sich gut ausgedacht. Sie hat aber nicht bedacht, dass sie schon erschöpft war. Wenn sie saß, ging es noch. Aber wenn sie aufstand …

      Jedenfalls knackten ihre Kniegelenke protestierend, doch als sie ein paar Schritte gegangen war, werkelten sie ohne zu murren. So weit, so gut. Es war aber erst die halbe Miete. Die Knie taten zwar nun, wie sie sollten, aber da war noch der Rücken, der piekste, als hätte sie im Bett eines Fakirs geschlafen und der Kopf, in dem sich scheppernd das Trommelkonzert die Ehre gab.

      Anfangs sah es noch gut aus. Sabine verkraftete die Schmerzen überraschend gut. Sie kochte sich Kaffee. Als sie sich aber an der Arbeitsplatte abstützte, wurde ihr schwummerig, und für den Bruchteil einer Sekunde war es, als geriete sie mit einem kleinen Boot in einen Sturm. Der Wind schüttelte das Gefährt hin und her, und die Wellen trieben es wie ein Streichholzheftchen vor sich hin. Wenn es einen Wellenkamm erreichte, stürzte es mit Karacho zurück ins Tal. Vielleicht sollte ich mich kurz mal hinlegen, dachte sie, das hier kann ja nicht gesund sein!

      Bist du verrückt, fragte ihre innere Stimme sofort, wenn du das tust, stehst du doch nie, nie, nie wieder auf!

      „So weit ist es also schon: Selbst meine innere Stimme quasselt doppelt gemoppelt. Ich sollte mich wirklich einen Augenblick hinlegen …“

      Sabine stapfte in Richtung Wohnzimmer und war davon überzeugt, sich nur ganz kurz hinzulegen. Nur mal eben die müden Beine ausstrecken, mehr wollte sie gar nicht! Doch sie hatte die Rechnung ohne ihre müden Glieder gemacht. Es dauerte nämlich keine zwei Sekunden, und sie war eingeschlafen. Es war kurz nach Mitternacht, und sie schlief bis zum Vormittag des übernächsten Tages. Sie schlief sechsunddreißig Stunden.

      7. Kapitel

       7. Kapitel

      Sabine erwachte gegen zehn. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte – sie glaubte, knapp zehn Stunden. Sie fühlte sich jedoch, als könne sie gleich noch einmal so lange schlafen. Und ihre Blase erst, die war zum Bersten gefüllt!

      Sie stand mühsam auf, ging sich erleichtern und wollte sich Kaffee aufsetzen. Doch als sie die Küche betrat, lag bereits ein Duft von gebrühtem Kaffee in der Luft. Als sei nichts von alledem geschehen. Als wäre ihr Vater vor ihr aufgestanden und hätte ihn schon aufgesetzt … So war das nämlich immer: Wenn sie endlich aufstand, duftete es schon nach frisch gebrühtem Kaffee.

      In der Kanne war tatsächlich Kaffee, dieses köstliche, schwarze Getränk, und einen Augenblick lang glaubte sie tatsächlich, sie hätte die letzten Tage nur geträumt. Alles war nur ein Traum gewesen, gleich würde ihr alter Herr in die Küche kommen, ein „Guten Morgen“ grummeln, sich den Kopf kratzen, wie er es immer tat und sie beide gemeinsam frühstücken.

      Doch dann begriff sie, dass es leider nicht so war. Der Kaffee war nur der, den sie selbst sich gekocht hatte, bevor sie eingeschlafen war. Und das hieß leider auch: Es war leider kein Traum gewesen, sondern die bittere Wirklichkeit.

      Sie schaltete das Radio an und hörte noch den letzten Refrain von Bon Jovis „It´s my Life“. Meins ist echt beschissen, dachte sie und wollte es schon wieder ausmachen, als die Moderatorin sagte, welcher Tag heute war und wieviel Uhr. Die Uhrzeit bekam sie schon nicht mehr mit. Dazu war sie zu überrascht. Heute war der einundzwanzigste, und nach ihrer Rechnung war gestern doch erst der neunzehnte gewesen? Tja, da hatte man ihr doch tatsächlich einen ganzen Tag geklaut! So was machte man doch nicht, das war wirklich rotzfrech!

      Während sie das noch dachte, kam ihr in den Sinn, dass es nicht stimmen konnte. Tage konnte man sich nicht klauen lassen, egal wie schusselig man war. Und da es nun einmal nicht möglich war, blieb nur eines: Sie hatte einen ganzen Tag verschlafen. Sie hatte doch tatsächlich einen ganzen beschissenen Tag verpennt! Meine Herren, das nenne ich aber mal erfolgreich an der Matratze gelauscht!

      War das möglich? Konnte sie wirklich so lange geschlafen haben? Na ja, wenn man bedachte, dass sie vorher drei Tage durchgemacht hatte, war es möglich. Schwer vorstellbar, das gebe ich zu, aber möglich.

      Sie kratzte sich den Kopf, wie ihr Vater es getan hatte, gähnte und konnte nicht anders: Sie begann zu lachen. Es war so komisch, obwohl eigentlich überhaupt nichts komisch war. Sie lachte und lachte und war zum ersten Mal seit Tagen wieder richtig gut drauf. Schlaf war eben doch die beste Medizin!

      Da stand sie nun, um einen Tag gealtert, um einen bestohlen und wusste nicht so recht, wie es weitergehen sollte. Der lange Schlaf hatte ihr zwar gut getan, sie hatte sich erholt. Aber er hatte auch ihren Kopf leergefegt; sie wusste rein gar nichts mehr. Blieb nur zu hoffen, dass sich das wieder ändern würde …

      Wie wäre es mit Frühstück? Hm, ein guter Plan.

      Sie schüttete den uralten Kaffee in den Ausguss und setzte sich neuen auf. Kaffee war wichtig. Was zum Kauen eher zweitrangig.

      Eine knappe Stunde später war sie fertig. Sie hatte sich gestärkt und konnte endlich mit etwas Nützlichem beginnen.

      Inzwischen sah die Welt anders aus. Ihr Kopf war nicht mehr ganz so leer. Sie konnte sich endlich Gedanken machen, wie das hier weitergehen sollte. Wie sie herauskriegen konnte, ob ihr Vater wirklich noch lebende Verwandte hatte. Denn dieses Geheimnis galt es nun zu ergründen, das hatte oberste Priorität. Es war sogar noch wichtiger als der vermaledeite Fluch und die Opfer, die er bis jetzt gefordert hatte. Sie waren schon tot, aber dieser Verwandte, wenn es ihn gab, war es noch nicht. Er erfreute sich noch seines Lebens, wusste wahrscheinlich nicht einmal, was ihm blühte und war unvorbereitet. Sabine aber wusste davon, und sie musste dieses Wissen weitergeben. Sie konnte es nicht verheimlichen.

      Sie war in ihren Gedankengängen schon so weit gekommen, dass es am besten sein würde, im Geburtenregister der Stadt nachzusehen. Sie wusste, ihr Vater war hier geboren, und so standen die Chancen bestimmt gut, dass ein eventueller Verwandter auch hier geboren war. Es war zumindest anzunehmen. Und irgendwo musste sie ja schließlich anfangen, nicht wahr? Wenn sie nur Zuhause rumsaß, würde sie niemanden


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