Geisterenthüller John Bell. Erik Schreiber

Geisterenthüller John Bell - Erik Schreiber


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der Tür bewegte, stürzte ich auf sie zu, wurde aber prompt vorbeigetragen und fiel erneut schwer. Als ich wieder an der gleichen Stelle vorbeikam, machte ich einen verzweifelten Versuch, mich an einer der Stufen festzuhalten, aber vergeblich. Das Kopfteil der Bettstatt erwischte mich, als es in einer nächsten Runde an mir vorbeiflog, und zog mir die Arme weg. Einen Moment später glaubte ich, ich würde verrückt durch den ganzen Horror. Mein Kopf fühlte sich an, als würde er platzen. Es war mir unmöglich, logisch zu denken. Der einzige Gedanke, der mich wirklich beherrschte, war der sehnliche Wunsch, diesem furchtbaren Ort zu entkommen. Ich kämpfte mich zum Bett, zog dessen Beine aus den Sockeln und schleifte es in die Mitte des Raumes, weg von der Wand. Als es aus dem Weg war, schaffte ich es schließlich zur Tür.

      In dem Moment, in dem ich den Türgriff erhaschen konnte, sprang ich auf die kleine Stufe und versuchte die Tür aufzureißen. Sie war verschlossen, von außen verschlossen. Sie widerstand all meiner Anstrengungen. Dort, wo ich stand, hatte ich gerade so Platz für meine Füße. Unter mir raste der Boden des Raumes immer noch in furchtbarem Tempo im Kreis. Ich wagte kaum, darauf zu blicken, denn der Schwindel in meinem Kopf nahm ständig zu. Im nächsten Moment waren deutlich leise Schritte zu hören, und ich sah einen Lichtschimmer durch einen Spalt in der Tür. Ich hörte jemandem am Schloss fummeln, die Tür wurde langsam von außen geöffnet und ich sah das Gesicht des alten Bindloss. Er nahm mich nicht wahr, denn ich hockte auf der Stufe, und im nächsten Moment warf ich mich mit all meiner Kraft auf ihn. Er stieß einen Schreckensschrei aus. Die Laterne, die er getragen hatte, fiel herunter und ging aus, aber ich hatte ihn am Hals gefasst und bohrte meine Finger tief in seine hagere, sehnige Kehle. Rasch zog ich ihn durch den Flur zu einem Fenster, durch welches das Mondlicht schien. Hier löste ich meinen Griff von seiner Kehle, aber bedrohte ihn augenblicklich mit meinem Revolver.

      „Auf die Knie oder Sie sind ein toter Mann!“, rief ich. „Geben Sie alles zu oder ich schieße Ihnen mitten ins Herz.“

      Sein Mut hatte ihn offensichtlich verlassen. Er begann zu wimmern und weinte bitterlich.

      „Verschonen Sie mein Leben“, heulte er. „Ich werde alles erzählen, aber verschonen Sie mein Leben.“

      „Dann rasch“, sagte ich, „ich bin nicht in der Stimmung, gnädig zu sein. Heraus mit der Wahrheit!“

      Ich lauschte besorgt nach den Schritten seiner Frau, aber außer dem leisen Summen der Maschine und dem Plätschern des Wassers hörte ich nichts.

      „Reden Sie“, forderte ich und schüttelte den alten Mann. Seine Lippen zitterten, die Worte kamen stockend.

      „Es war Wentworths Werk“, keuchte er.

      „Wentworth? Doch nicht der Ermordete?!“, rief ich.

      „Nein, nein, sein Cousin. Dieser Verbrecher, der Fluch meines Lebens. Dank dieses letzten Todesfalls erbt er das Anwesen. Er ist der eigentliche Besitzer der Mühle und er erfand den sich drehenden Boden. Es gab Todesfälle – oh ja, oh ja. Es war so leicht und ich wollte das Geld. Die Polizei schöpfte nie Verdacht, genauso wenig die Ärzte. Wentworth war furchtbar hart mit mir und hatte mich in der Hand.“ An dieser Stelle würgte und schluchzte er. „Ich bin ein schlechter alter Mann, Sir“, japste er.

      „Also töteten Sie Ihre Opfer wegen des Geldes?“, vermutete ich und packte ihn bei den Schultern.

      „Ja“, sagte er, „Ja. Bailiff hatte zwanzig Pfund in Gold, niemand wusste davon. Ich nahm es und konnte Wentworth für eine Weile befriedigen.“

      „Und was war mit Archibald Wentworth?“

      „Das war sein Werk, und ich sollte bezahlt werden.“

      „Und jetzt wollten Sie schließlich mich loswerden?“

      „Ja, denn Sie hatten Verdacht geschöpft.“

      Während des Gesprächs bemerkte ich im fahlen Mondlicht eine weitere Tür in der Nähe. Ich öffnete sie und sah, dass es der Eingang zu einem dunklen Abstellraum war. Ich stieß den alten Mann hinein, drehte den Schlüssel herum und rannte nach unten. Die Ehefrau war immer noch unerklärlicherweise abwesend. Ich öffnete die Vordertür und zitternd, erschöpft, in Schweiß gebadet stand ich an der frischen Luft. Ich war erschüttert. In diesem schrecklichen Moment war ich alles andere als Herr meiner selbst. Mein einziger Wunsch war von diesem schrecklichen Ort zu fliehen. Ich hatte gerade das kleine Tor erreicht, als eine Hand, leicht wie eine Feder, meinen Arm berührte. Ich sah auf. Das Mädchen, Liz, stand vor mir.

      „Sie sind gerettet,“ sagte sie, „Gott sei Dank! Ich habe alles versucht, was ich konnte, um das Rad zu stoppen. Schauen Sie, ich bin nass bis auf die Knochen. Ich schaffte es nicht. Aber zumindest habe ich Großmutter eingeschlossen. Sie ist in der Küche, friedlich schlafend. Sie hat ein Menge Gin getrunken.“

      „Wo warst du gestern den ganzen Tag?“, fragte ich.

      „Eingeschlossen in einer Kammer im anderen Turm, aber ich schaffte es, aus dem Fenster zu klettern, obwohl es mich fast umbrachte. Ich wusste, wenn Sie bleiben, würden sie es diese Nacht wieder versuchen. Gott sei Dank sind Sie in Sicherheit.“

      „Nun, dann halte mich jetzt nicht auf“, sagte ich. „Ich bin wie durch ein Wunder gerettet worden. Du bist ein gutes Mädchen. Ich verdanke dir viel. Du musst mir ein anderes Mal erzählen, wie du es geschafft hast, den ganzen Horror hier zu überleben.“

      „Bin ich nicht verrückt geworden?“, war ihre traurige Antwort. „Oh, mein Gott, wie ich leide!“ Sie presste die Hände aufs Gesicht. Der Ausdruck ihrer Augen war furchtbar. Aber ich konnte nicht länger warten, um mich mit ihr zu unterhalten. Ich verließ den Ort hastig.

      Wie ich Harkhurst erreichte, kann ich nicht mehr sagen, aber früh am Morgen traf ich dort ein. Ich ging direkt zu Dr. Stanmores Haus und weckte ihn. Ich erzählte ihm alles. Sofort suchten wir gemeinsam den Polizeichef auf. Nachdem ich meine aufregende Geschichte erzählt hatte, nahmen wir eine Droschke und kehrten zu dritt zum ‚Castle Inn‘ zurück. Wir waren noch vor acht Uhr morgens da.

      Aber wie der Polizeibeamte vermutet hatte, war der Ort verlassen. Bindloss war aus der dunklen Kammer entkommen und mit seiner Frau und Liz geflohen. Der Arzt, der Polizist und ich gingen hoch zur runden Kammer, dann hinunter in den Keller und nach einer sorgfältigen Untersuchung entdeckten wir eine niedrige Tür, durch die wir krochen. Wir gelangten in ein dunkles Gewölbe, das voll mit Maschinen war. Im Licht einer Laterne untersuchten wir es. Hier fanden wir die Erklärung des ganzen Tricks. Die Achse des Mühlrads, die durch ein Loch in der Wand des Turmes hereinragte, bildete fortlaufend auch die Achse eines senkrechten Zahnrades, dass ein großes horizontales Rad bewegte, von dem ein senkrechter Pfosten nach oben führte. Dieser endete in der Mitte von vier Querbalken, die den Boden des Raumes trugen, in dem ich geschlafen hatte. Um den runden Rand des Bodens war ein Stahlrand gezogen, der sich in einem runden Sockel drehen konnte. Es brauchte nur einen einzigen Handgriff, um diesen furchtbaren Apparat in Bewegung zu versetzen.

      Die Polizei veranlasste augenblicklich die Fahndung nach Bindloss und ich kehrte nach London zurück. Noch am Abend besuchten Edgcombe und ich Dr. Miles Gordon. Alter dickköpfiger Arzt wie er war, war er fassungslos, als ich meine Geschichte erzählte. Er erklärte mir, dass ein Mann in der Position, in der ich mich befunden hatte, als sich der Boden zu bewegen begonnen hatte, auf Grund der Zentrifugalkraft eine enorme Stauung des Gehirns erleiden würde. In der Tat würde der sich drehende Boden künstlich den Zustand eines Schlaganfalls hervorrufen. Wenn das Opfer unter Drogeneinfluss stand oder auch nur tief schlief, und der Boden sich langsam zu drehen begann, würde dies fast augenblicklich zur Bewusstlosigkeit führen, die bald in Koma überging und zum Tode führte. Aber eine Autopsie einige Stunden später würde keine Ergebnisse bringen, denn das Gehirn würde absolut intakt erscheinen, nachdem das Blut es wieder verlassen hatte.

      Nach dem Besuch bei Dr. Miles Gordon gingen Edgcombe und ich mit unseren Ergebnissen zu Scotland Yard und die ganze Angelegenheit wurde in die Hände der Londoner Ermittlungseinheiten gelegt. Mit den Hinweisen, für die ich fast mit meinem Leben bezahlt hätte, erledigten sie den Rest schnell. Wentworth wurde festgenommen und unter Druck konnte er zu einem vollen Geständnis bewegt werden, aber der alte Bindloss hatte mir schon das Wesentliche der Geschichte


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