Geisterenthüller John Bell. Erik Schreiber

Geisterenthüller John Bell - Erik Schreiber


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folgendermaßen. Du weißt, wie sehr ich immer an der Familiengeschichte unseres Hauses interessiert war. Ich habe die letzten Jahre meines Lebens damit verbracht, jedes Detail nachzuprüfen, und meine Absicht war es, wenn es mir die Gesundheit ermöglicht hätte, einen Großteil davon in angemessenen Bänden zu veröffentlichen.

      In dieser speziellen Nacht, auf die ich mich beziehe, saß ich noch spät in meinem Arbeitszimmer und las in jenem Buch, das du vor Kurzem Bell gezeigt hattest. Genauer gesagt, ich war sehr vertieft in den schrecklichen Fluch, mit dem der alte Abt im vierzehnten Jahrhundert die Familie belegt hatte. Ich las die furchtbaren Worte wieder und wieder. Ich wusste, dass alle anderen Angaben in dem Band schon belegt worden waren, aber dass das Gewölbe mit dem Sarg niemals gefunden worden war. Während ich las, wurde ich schläfrig und döste ein. In meinem Schlaf hatte ich einen Traum. Ich hatte das Gefühl, jemand käme in den Raum, berührte mich bei der Schulter und sagte: ‚Komm.‘ Ich schaute auf. Eine hochgewachsene Gestalt beugte sich über mich. Die Stimme und die Figur gehörten meinem verstorbenen Vater. In meinem Traum stand ich augenblicklich auf, obwohl ich nicht wusste, warum oder wohin ich ging. Die Gestalt schritt voran in die Eingangshalle. Ich nahm eine der Kerzen vom Tisch und den Schlüssel zur Kapelle, entriegelte die Tür und ging hinaus. Die Stimme sagte immer noch: ‚Komm, Komm!‘, und die Gestalt meines Vaters ging vor mir her. Ich durchquerte den quadratischen Innenhof, schloss die Tür zur Kapelle auf und ging hinein.

      Um mich herum herrschte eine Todesstille. Ich durchquerte das Hauptschiff zum nördlichen Seitenschiff, die Gestalt immer noch vorne weg. Sie betrat das große Kastengestühl, dem man nachsagt, dass es dort spukt und ging geradewegs zum Bildnis des alten Abts, der den Fluch ausgesprochen hatte. Dieses ist, wie du weißt, an der gegenüberliegenden Wand eingelassen. Sich vorbeugend presste die Gestalt gegen die Augen des alten Mönchs und augenblicklich rutschte ein Stein von seinem Platz und gab eine Treppe dahinter frei. Ich wollte vorwärtseilen, als ich gegen etwas gestoßen sein muss. Ich spürte einen Schmerz und plötzlich wachte ich auf. Was für eine Verblüffung, als ich mir bewusst wurde, dass ich, im Traum gehandelt, den Innenhof überquert hatte und mich in der Kapelle befand. Mehr noch, ich stand in dem alten Kastengestühl! Natürlich war dort keinerlei Gestalt sichtbar, aber das Mondlicht legte einen kühlen Schimmer über den ganzen Ort. Ich war sehr verblüfft und beeindruckt, wollte schließlich aber doch zum Haus zurückkehren, als ich meinen Blick hob und sah, dass wenigstens ein Teil dieser seltsamen Vision, die ich gehabt hatte, real gewesen sein musste. Der alte Mönch schien mich aus seinem Marmorbildnis heraus anzugrinsen und neben ihm befand sich eine Öffnung. Ich lief mit schnellen Schritten dorthin und sah eine schmale Treppenflucht. Ich kann nicht erklären, welche Emotionen mich überkamen, aber das mächtigste Gefühl in diesem Moment war eine starke und furchtbare Neugier. Die Kerze in der Hand ging ich die Stufen hinunter. Sie endeten am Anfang eines langen Ganges. Diesen durchquerte ich rasch und fand mich neben einer Eisentür wieder. Sie war nicht verschlossen, aber der Riegel ließ sich nur sehr schwer öffnen. Tatsächlich brauchte ich fast all meine Kraft. Schließlich konnte ich sie zu mir hin aufziehen, und dort in einer kleinen Kammer stand der Sarg, genau, wie ihn der Wortlaut des Fluches beschrieben hatte. Ich erstarrte vor Entsetzen. Ich wagte es nicht, einzutreten. Es war ein keilförmiger Sarg, mit riesigen Nägeln verschlossen. Aber während ich ihn betrachtete, gefror mir das Blut in den Adern, denn langsam, ganz langsam, als ob sie von einer unsichtbaren Hand bewegt würde, begann sich die riesige schwere Tür zu schließen, schneller und schneller, bis sie sich mit einem Schlag, der durch das alte Gewölbe hallte, schloss. Vom Schrecken gejagt, rannte ich nach draußen, bis ich mein Zimmer erreichte.

      Nun weiß ich, dass dieser große Fluch wahr ist. Dass die Seele meines Vaters die Tür bewacht und sie schließt, denn ich sah es mit meinen eigenen Augen, und während du dies liest, wisse, dass ich dort bin.

      Ich beschwöre dich, heirate nicht – bring kein Kind in diese Welt, das diesen schrecklichen Fluch weitertragen müsste. Lass diese Familie aussterben, wenn du den Mut hast. Es ist viel verlangt, ich weiß. Aber ob du es tust oder nicht, komm zu mir dorthin, und wenn ich, durch Zeichen oder Worte, mit dir kommunizieren kann, werde ich es tun, nur behalte dieses Geheimnis für dich. Triff mich dort, bevor mein Körper zu Grabe getragen wird, solange Körper und Seele noch nicht weit voneinander entfernt sind. Lebwohl,

      dein dich liebender Vater,

      Henry Clinton‘

      Ich las den seltsamen Brief sorgfältig ein zweites Mal und legte ihn dann nieder. Für einen Moment wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Es war mit Sicherheit die unheimlichste Sache, die mir je untergekommen war.

      „Was halten Sie davon?“, fragte Allen schließlich.

      „Nun, natürlich gibt es nur zwei mögliche Erklärungen“, antwortete ich. „Eine ist, dass Ihr Vater nicht nur den Beginn dieser Geschichte geträumt hat – was er, wie Sie sich erinnern, selbst zugegeben hat –, sondern auch den ganzen Rest von ihr.“

      „Und die andere?“, fragte Allen, als ich innehielt.

      „Die andere“, fuhr ich fort, „ich weiß kaum, was ich sagen soll. Natürlich werden wir die ganze Sache untersuchen, das ist unsere einzige Chance, eine Antwort zu finden. Es wäre absurd, die Dinge so zu lassen, wie sie sind. Wir sollten es noch diese Nacht versuchen.“

      Clinton zuckte zusammen und zögerte.

      „Etwas muss getan werden, natürlich“, antwortete er, „aber das Schlimmste ist, dass Phyllis und ihre Mutter morgen früh für die Beerdigung herkommen und ich kann sie nicht treffen – nein, ich kann nicht, armes Mädchen! –, während ich mich so fühle, wie ich mich fühle.“

      „Wir werden noch diese Nacht in das Gewölbe gehen“, sagte ich.

      Clinton stand aus seinem Sessel auf und sah mich an.

      „Ich mag diese ganze Sache überhaupt nicht, Bell“, fuhr er fort. „Ich bin von Natur aus kein abergläubischer Mann, in keinem Sinne des Wortes , aber ich sage Ihnen offen, nichts könnte mich dazu bringen, heute Nacht alleine in diese Kapelle zu gehen. Wenn Sie mit mir kommen, würde das die Sachlage natürlich ändern. Ich weiß genau, welches Kastengestühl mein Vater meint. Es ist unter dem Fenster des St. Sebastian.“

      Kurz darauf ging ich auf mein Zimmer und zog mich an. Allen und ich saßen uns beim Abendessen in dem großen Speisesaal gegenüber. Der alte Butler bediente uns mit traurigem Schweigen und ich tat alles, was mir möglich war, um Clintons Gedanken in eine erfreulichere und gesündere Richtung zu lenken. Ich kann nicht behaupten, dass ich sehr erfolgreich war. Außerdem bemerkte ich, dass er kaum etwas gegessen hatte und sich generell in einem Zustand ängstlicher Anspannung befand, der schmerzhaft mit anzusehen war.

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