Schüchterne Gestalten. Peter Bergmann
Objects, der mir nicht gefiel.“
Dafür, dass er nur anfangs mit dabei war und sich für die Anfänge von CodeWriter interessierte, war dieser Mann gut informiert. Remsen begann zu erahnen, dass er heute doch noch etwas Interessantes für seine Ermittlungen erfuhr. Seinen Abgang wird er etwas schieben müssen.
„Wir sprechen doch von Igor Abtowiz, dem Inhaber der Safety Objects. Was wissen Sie von dem?“ Remsen spitzte die Ohren, denn er hoffte, dass ihm sein Gegenüber jetzt von seinen eigenen Recherchen berichtete. Tatsächlich, er tat es.
„Wenn Abtowiz nicht ein Pole wäre, würde ich ihn als Wendehals bezeichnen. So wie viele andere hier auch. Zunächst dachte ich, er wäre auch einer dieser zwielichtigen Gestalten, die etwas legale und jede Menge illegale Geschäfte miteinander vermischen. Geldwäsche, Prostitution, Türsteher und Bodyguards – Sie wissen schon Herr Remsen, wie so etwas läuft. Ihr habt doch in Hamburg jede Menge davon.“
Remsen nickte nachdenklich und versuchte mehr oder minder geschickt mit dem Glas in der Hand die Aufmerksamkeit des Spenders dieser edlen Flüssigkeit auf sich bzw. auf das inzwischen leere Glas zu lenken. Dr. Stahlburg verstand schnell, denn auch sein Glas war leer. Gegen einen zweiten Whisky hätte auch er nichts einzuwenden.
Stahlburg schien Remsens Gedanken lesen zu können. „Noch einen Stimmungsmacher zum Manipulieren der Gedanken?“ Er stand auf, griff sich die Flasche Laphroaig und goss beiden nach. Sich zeitlassend nahm er in aller Ruhe wieder Platz, prostete Remsen zu und sog das braune Gold äußerst genüsslich ein.
„Bis Anfang der 1980-iger Jahre, als in Polen die Solidarnosc begann, den Kommunisten dort das Leben schwer zu machen, war Abtowiz bei einem berüchtigten Ableger der polnischen Staatssicherheit, dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit und darauf spezialisiert Informanten zu gewinnen, zionistische und feindlich gesinnte Leute ausfindig und wenn es sein muss, mundtot zu machen. Ich habe meine Erkundigungen eingeholt und Karl informiert.“
„Wusste Weilham davon?“ Remsen zweifelte an Dr. Stahlburgs Darstellungen; eine innere Stimme warnte ihn.
Der Oberstudienrat a.D. rutschte etwas nervös in seinem Sessel herum und zeigte sich unwirsch ob der Unterbrechung seines Gegenübers.
„Nein, nein. Weilham hätte dem Deal mit Safety Objects niemals zugestimmt, wen er gewusst hätte, mit wem sie es zu tun hatten. Schon früh schien sich Abtowiz tatsächlich als Chef einer üblen Truppe von Drogenbeschaffern versucht zu haben. Zumindest saß er einige Jahre deswegen hinter Gittern und musste für seine untauglichen Versuche büßen. So genau habe ich das nie rausbekommen. Was ich weiß ist, dass er über Verbindungen in Kaukasien an richtig harte Sachen rangekommen war und das Zeug in Polen und in Russland oder wie sich die Staaten gerade nannten, verkaufte. Es gab die üblichen Revierkämpfe, Tote und Ärger mit der Staatsgewalt. Seine eigenen Leute von einst spürten ihn auf. Ironie der Wende damals.“
Remsen dachte nach und suchte die Verbindung zum Mord an den jungen Weilham und seiner hübschen Mitfahrerin. Betrieben parallel zum Geschäft mit der Sicherheitssoftware Hausmann und Abtowiz noch illegale Dinge? Wenn ja, welche? Ist ihnen der junge Weilham in die Quere gekommen? Ahnungslos, zufällig? Setzte er sie unter Druck und wollte mit abkassieren? Musste er das mit dem Tod bezahlen?
Dr. Stahlburg genoss sichtlich einen weiteren Schluck aus seinem Glas, sog den Duft tief ein und ließ den Whisky langsam, ganz langsam durch die Kehle gleiten.
„Ich stellte mir dann die Frage, wie Abtowiz es schaffte, zu uns nach Vesberg und als Chef einer Sicherheitsfirma zu Ruhm und Ehre zu kommen.“
Remsen unterbrach ihn und wollte wissen, ob Hausmann und Abtowiz sich schon vor dem Deal kannten; wenn er sich in seiner Zeit als Pensionär schon einmal als Detektiv betätigte.
„Das glaube ich nicht, zumindest habe ich keine Indizien dafür. Abtowiz verließ nach seiner Haft Polen und wollte irgendwo in England neu anfangen. Viele Polen versuchten sich seit dem Fall des Eisernen Vorhangs dort. Unser Freund war aber wenig bereit, regelmäßig zu arbeiten. Also verlegte er wieder sich auf illegale Geschäfte und importierte junge Frauen aus Osteuropa für Liebesdienste auf die Insel. Er versprach denen Jobs und gutes Geld, was ja nicht einmal gelogen war. Abtowiz hatte das Pech, den Yakuza, Sie wissen schon, der japanischen Mafia in die Quere zu kommen. Die waren gerade dabei, von Amsterdam aus in England Fuß zu fassen. Abtowiz kehrte der Insel den Rücken und ging nach Deutschland und blieb in Vesberg hängen.“ Stahlburg unterbrach sich selbst, sah selbstgefällig drein, denn er wusste ganz genau, dass er mit dieser Geschichte Remsen beeindruckte.
Oder auch nicht!
„Dr. Stahlburg, das ist ja fast schon ein richtiges Dossier. Das kostet Zeit und Geld. Und braucht vor allem Verbindungen, Kontakte. Mal ehrlich, warum haben Sie sich so sehr für Abtowiz interessiert? CodeWriter alleine ist mir ein zu dünnes Brett, rein argumentativ.“
„Warum so skeptisch Herr Remsen? Ich hab das für Karl gemacht. Der Junge hatte es endlich mal in der Hand, was aus seinem Leben zu machen. CodeWriter war damals ein noch kleines Pflänzchen, um es Leuten wie Abtowiz auszuliefern.“
„Eine Frage Dr. Stahlburg: Sind Sie an CodeWriter beteiligt? Kommt daher Ihr Interesse?“
„Selbst wenn ich unehrlich wäre, bekommen Sie es ja ohnehin raus. Ja, als Minderheitsbeteiligter, aber ohne Mandat, operativ in die Geschäfte einzugreifen.“
„Wer hat die Recherche finanziert? Hausmann? Sie? Oder wer?“ Remsen sah sich mal wieder bestätigt, nicht gleich alles zu glauben, was einem so erzählt wird. Selbst wenn eine vertraute Quelle, wie ein Dr. Stahlburg, als durchaus glaubwürdig einzustufen ist.
Da Stahlburg nicht antwortete, fragte Remsen weiter nach.
„Hören Sie Dr. Stahlburg, hier könnten Verbindungen bestehen, die uns helfen, den Mord aufzuklären. Sagen wir mal so: irgendetwas stimmt hier nicht. Hausmann ist angeblich in Südamerika, der alte Weilham vögelt jeden Sonnabend Nutten drüben in den Clubs und sein Sohn baumelt zeitgleich mitten in der Nacht an einem Baum. Seine unbekannte Mitfahrerin stammte wahrscheinlich aus der Ukraine und ist auch hinüber. Erklären Sie es mir!“
Dr. Stahlburg bat um eine Auszeit. Er erhob sich und schlürfte zur Toilette. Unnatürlich lange, für Remsen viel zu lange, hielt sich Stahlburg in seinem selbstgewählten Schutzraum auf. Remsen überlegte, wie er reagieren sollte. Er vernahm keine Anzeichen, dass sich bei Stahlburg im Bad irgendwas regte. Unruhig, ungeduldig wie er war, klopfte er an der Tür und horchte. Er vernahm einen dumpfen Hall und hörte, dass irgendwelche Gegenstände auf den Boden fielen.
„Dr. Stahlburg, alles in Ordnung?“ Nichts regte sich, keine Antwort, keine Geräusche mehr. Remsen entschied sich und drückte die Klinke. Die Tür war verschlossen. Remsen sah sich um und stellte fest, dass in dieser alten Villa die Türen noch aus richtigem Holz und einigermaßen dick waren und wahrscheinlich nicht nur blaue Flecken garantieren. Remsen hörte noch einmal an der Tür und konnte noch immer nichts in drinnen hören.
Versuchen wir es. Er prüfte die Anlaufstrecke im Flur, versuchte aber erst einmal mit geringem Schwung. Wie erwartet regte sich nichts, die Tür gab nicht nach.
Ja, er musste.
Mit etwas mehr Anlauf startete Remsen den zweiten Versuch und sprang schwungvoll gegen die Tür. Mit einem heftigen Knall sprang die Verriegelung auf und die Verankerung des Schlosses löste sich. Holzspäne ragten heraus. Remsen trat energisch mit dem linken Fuß gegen die Tür, die nun endlich nachgab und auf ging.
Er stürmte in das geräumige Bad und sah Stahlburg mit heruntergelassener Hose neben der Kloschüssel liegen. Remsen nahm seinen linken unterm Arm über dem Handgelenk und fühlte von Stahlburg den Puls. Er lebte. Remsen schaute sich um und konnte nichts von einem Suizidversuch erkennen. Kein Messer, kein Blut, keine offenen Tablettenschachteln nichts.
Herzinfarkt!
Remsen rief auf der W36 an, gab seine Adresse durch und orderte einen Rettungswagen. Das Herz wahrscheinlich. In jedem Fall ein Zusammenbruch. Remsen war erschüttert, verzweifelt und vor allem entsetzt. Über die Wendung, die das Gespräch nahm, die enge Vernetzung des ehemaligen