Schüchterne Gestalten. Peter Bergmann

Schüchterne Gestalten - Peter Bergmann


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wirklich gut Bescheid wusste. Daraus folgte nur die eine Frage: Wer ist das Leck bei uns?

      An der Wohnungstür klingelte es; könnte nur die Pizza sein. Claudia ließ von Juttas verspanntem Nacken ab und drückte auf den Türöffner. Es war aber nicht der Pizzabote, sondern ihr gemeinsamer Freund, eher ein Bekannter aus alten Kinderzeiten und Schultagen: Edwin Bittling. Er stürmte in die Wohnung, umarmte Claudia mit einem Küsschen und bahnte sich den Weg in Richtung Fernseher.

      Mann, ist der fett geworden, entfuhr es beinahe Jutta. Sie hatte Bittling schon eine geraume Zeit nicht gesehen. Sie konnte aber ihre Entrüstung gut verbergen und heuchelte ein freundliches Hallo.

      „Habe ich schon im Autoradio gehört, spannende Geschichte. Bist du nicht mit dabei Jutta?“ Das obligatorische Küsschen bekam auch sie ab.

      „Oh doch, seit Freitagabend fast durchgängig. Habe aber einige Stunden frei bekommen, um mich zu entspannen. Die nächsten Tage werden richtig anstrengend.“ Jutta brachte wirklich keine Lust auf, Bit vom Ermittlungsverlauf zu berichten. Abgesehen davon, dass sie eh nichts berichten durfte.

      Rettender weise klingelte es erneut und jetzt war es der Mann mit der Pizza. Claudia bezahlte für alle und brachte strahlend neben den drei Kartons noch ein Präsent in Form einer Flasche Rotwein mit an den Tisch.

      „Abendbrot meine Lieben. Kalte Pizza schmeckt scheußlich.“ Wie auf Kommando stürmten Bit und Jutta an den Tisch. Bit erbot sich als Mann, die Flasche Wein zu öffnen, während Jutta Besteck und Gläser aus der Küche holte.

      Beide Freundinnen mochten Bit, der sich in den letzten Jahren als IT-Mann einen Namen gemacht macht. Davon verstanden sie aber nichts, sodass sie mit ihm darüber nie sprachen. Wobei, eigentlich hatte Claudia mehr Kontakt zu ihm. Sie war es auch, die ihren Edwin dabei half, mit der Frauenwelt zurechtzukommen. Zugegeben, ein hoffnungsloser Fall. IT-Freaks halten von Frauen wohl überhaupt nichts oder sie sind schwul. In etwa in dieser Gegend ist auch das Gefühlsleben von Bit angesiedelt.

      Und sie stehen auf Kriegsfuß mit Weinflaschen, wie beide Freundinnen amüsiert mit ansahen. Offensichtlich war Bit gerade dabei, die erste Weinflasche seines Lebens zu öffnen. Entsprechend fielen die Kommentare aus. Jutta, die es genoss, mit Remsen bei sich oder bei ihm in der Wohnung einen guten Wein zu trinken und fast schon nebenbei die Fälle zu lösen, erlangte inzwischen Übung beim Öffnen von Weinflaschen. Sie half Bit nach einigen belehrenden Hinweisen aus der Bredouille und entkorkte gekonnt die Flasche. Das Einschenken übernahm sie gleich selbst. Die Pizza wurde kalt und Bit inzwischen dunkelrot, im Gesicht.

      „Ich habe gehört, CodeWriter steckt da mit drin? Soll ich das mal checken? Die machen doch Sicherheitssoftware; wer weiß, was die da alles mit eingebaut haben.“ Edwin war froh, dass Jutta ihm aus dieser Peinlichkeit erlöst und mit jetzt Werbung plärrenden Fernseher gleich das richtige Thema geliefert zu haben.

      „Wieso eingebaut? Software ist Software oder nicht?“ Jutta schüttelte verständnislos den Kopf und schob sich das erste Stück Pizza in den Mund. Sie kaute und wartete auf Erklärungen.

      Bit war schon beim zweiten Stück Pizza, wobei bei ihm die Stücke etwa doppelt so groß waren.

      So wartete er, bis er einigermaßen Luft zum Atmen und Sprechen bekam: „Wie naiv von dir. Die Entwickler stöpseln Funktionen an, die nicht dokumentiert werden. Keiner weiß, was die Software noch alles kann. Die Hersteller selbst können nur hoffen, dass die Entwickler keinen Scheiß machen. So ist das.“

      „Und bei CodeWriter ist das so?“ Jutta kam aus dem Staunen nicht mehr raus und vergaß ihre Pizza. Claudias Gesten nach zu urteilen, konnte sie nicht einmal erahnen, wovon die beiden sprachen.

      „Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich weiß aber, dass die Entwickler mit Bausteinen, das sind vorgefertigte Bibliotheken, arbeiten, und selbst nicht immer nicht wissen, was alles an Möglichkeiten die SDK-Hersteller da reinprogrammiert haben. Dann heißt es immer, geheime Funktionen entdeckt‘, die alles testende und nichts verstehende Boulevardpresse, die es auch für die Computer gibt.“

      Auch wenn Jutta fast nichts kapiert hat, fiel ihr die Frage ein: „Was sind SDK-Hersteller?“

      „Du wirst es nicht glauben Jutta, aber auch bei den Softwareentwicklern gibt es so etwas wie Arbeitsteilung. Keiner schreibt mehr alles selbst. Viele Funktionen mit einfachen und immer mehr komplizierten Aufgaben stellen Firmen her, die sich darauf spezialisiert haben. CodeWriter wird mit Sicherheit solche Programmierumgebungen auch nutzen oder ganze Programme zukaufen, damit die nicht mehr alles noch einmal entwickeln müssen. Aber leider, was in den zugekauften Modulen wirklich steckt, weiß dann niemand mehr so genau.“

      „Aber was hat das jetzt mit meinem Fall zu tun? Also ehrlich Bit, ich verstehe nicht, was du willst?“ Jutta tat nicht nur so, nein, sie war verzweifelt. Dafür schmeckte der Wein so gut, dass sie sich bereits ein zweites Glas eingeschenkte.

      „Ich weiß es nicht. Aber der Zeitungsreporter vorhin auf der PK sprach von einem Abtowiz. Der hat eine Sicherheitsfirma und die sind Kunde bei CodeWriter; haben bisher deren Software für die Überwachung genutzt.“

      „Wieso bisher?“ Jutta biss sich beinahe auf die Zunge, denn Dietering gab ihr ja die Aufgabe, herauszubekommen, was zwischen den beiden Firmen in letzter Zeit gelaufen ist. Außerdem sprach der Journalist auf der PK von einem Verfahren vor der Wirtschaftskammer.

      „Jutta, ich habe die Ohren offen. Vor einigen Jahren wäre ich beinahe bei CodeWriter gelandet, aber dann bekam ich ein tolles Projekt im Gameboard; das war spannender, also wurde nichts daraus. CodeWriter und Safety Objects streiten vor Gericht darum, dass CodeWriter angeblich eine Backdoor in deren Software eingebaut hat, mit der es möglich sein soll, über peer-to-peer Informationen abzusaugen. Gut für CodeWriter wenn das klappt, schlecht für die Kunden.“

      Bit kaute weiter genüsslich an der Pizza und verschmähte die Weinangebote seiner Gastgeberin Claudia. Da es kein Bier gab, musste er mit einer Apfel-Rhabarber-Schorle vorliebnehmen. Was soll’s, er fühlte sich immer dann richtig gut, wenn er mit seinem Wissen Gesprächsgegenübern prahlen konnte.

      „Jetzt verstehe ich wirklich nichts mehr. Um was streiten die sich?“ Jutta schaute Bit fragend an. „Was bitte Bit ist eine Backdoor? Ein Hintereingang oder so?“

      „Angeblich kann CodeWriter illegal Verbindungen zu Kunden aufbauen, die deren Software einsetzen. Einmal im Netz der Kunden drin, können die wohl mit Agenten, das sind kleine Programme, die bei hergestellter Verbindung eingeschleust werden, gezielt nach Informationen suchen und diese zu sich übertragen.“

      „Ach, du sprichst von Trojanern. Das habe ich schon einmal gehört.“ Jutta fühlte sich wieder auf etwas sicherem Terrain.

      „Vereinfacht gesagt, ja. Aber in Wirklichkeit geht das heute viel komplexer ab. Man kann über die Rechner seiner Kunden weiter in andere Firmennetze eindringen, die mit den Kunden der CodeWriter zusammenarbeiten. Wie weit man das treiben kann, hängt vom Geschick der Entwickler ab.“ Das letzte Stück Pizza kämpfte ums Überleben, aber Bit war mit seinem Mahlwerk stärker.

      Jutta hörte inzwischen mit dem Essen auf. Zu sehr beschäftigte sie sich mit dem, was Bit gerade Gesagte. Sie hatte weder eine Vorstellung noch irgendwelche Ahnung, wie so ein Ausspähen funktionierte. Kundoban beschlich das Gefühl, dass sie bei diesem Thema verloren war und ohne Hilfe versagen würde. Sie fühlte eine große Leere in sich und befand unbedingt mit Remsen darüber sprechen. Ansonsten würde sie als Schwachpunkt in der Ermittlungskommission wahrgenommen werden. Ihr war unwohl, fühlte sich überfordert, ausgelaugt.

      Es entstand eine kleine Pause. Claudia schaltete zwischendurch den Fernseher aus, sodass es unheimlich ruhig im Zimmer wurde.

      Jutta hatte plötzlich einen Gedanken. Jedoch überlegte sie es sich mehrmals und wog ab, ob sie es wagen könnte. Da Remsen telefonisch nicht erreichbar war, entschied sie sich, Bit einfach zu fragen.

      „Sag mal Bit, könntest du nicht…?“ Sie kam überhaupt nicht zum Ende ihrer Frage. Aus zweierlei Gründen: Sie kannte das Ende der Frage gar nicht und wurde dazu noch von Bit und seinem übermäßigen Grinsen voll ausgebremst.

      „Jutta,


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