Friedrich Gerstecker: Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1837-43. Friedrich Gerstecker
Blockhaus gebracht, das einige hundert Schritte vom Lande ablag. Dort mussten wir gewissermaßen eine kleine Quarantäne aushalten und nachsehen lassen, ob unsere Koffer entweder etwas Steuerbares oder schmutzige Wäsche enthielten, das erstere zu versteuern, die letztere zu waschen.
Mit den steuerbaren Sachen wurde es übrigens nicht streng genommen, und keiner von allen bezahlte etwas. Strenger wurde die Wäsche nachgesehen, wobei einige wirklich schaudererregende Stücke entdeckt wurden, welche einzelne des liederlichen, faulen Zwischendecks-Gesindels unter ihre reinen Sachen versteckt hatten. Große Kübel wurden jetzt herbeigeschafft, und die guten Leute mussten das Versäumte nachholen. Wir fünfe hatten nichts Schmutziges, weil wir stets auf dem Schiffe unsere Wäsche gereinigt hatten, d. h. die getragenen Gegenstände, an ein Tau gebunden, etwa vierundzwanzig Stunden lag vom Schiffe hatten nachziehen lassen, was die Wäsche, wenn auch nicht sehr weiß, doch tragbar macht und, wie jeder gestehen muss, sehr bequem ist.
Als wir die „KONSTITUTION“, in der wir nun vierundsechzig Tage in Freud und Leid zugebracht, verließen und von der Mannschaft Abschied nahmen, war es uns, wenigstens mir, fast, als wenn wir alte, liebe Bekannte zurückließen. Wir brachten ihnen auch, als die Bootsleute abstießen, ein donnerndes Hoch, das lauttönend von den Matrosen mit dem gebräuchlichen englischen „Hip, hip, hip, Hurra!“ dreimal zurückgegeben wurde. So gut es übrigens gemeint war, so fand es bei dem israelitischen Teil unserer Passagiere doch wenig Anklang. Diese, obschon sie tüchtig ihre englischen Gespräche durchstudiert haben mochten, hatten doch dieses „hip, hip, hip“ noch nicht in ihrem Wörterbuche gefunden, und einer von ihnen bemerkte ganz treuherzig: „Na, se hätten uns aach nicht gebraucht auszeuzen, ze guter letzt.“
Obgleich das Blockhaus, wohin man uns brachte, das „Quarantänegebäude“ genannt wurde, hielt man es mit der Quarantäne doch nicht sehr streng, und ein großer Teil von uns fuhr noch denselben Abend auf einem Kahne an Land. Zum ersten Mal betraten wir die neue Welt, für uns wahrlich eine wunderschöne, herrliche, aber doch eine neue und deshalb fremde Welt.
Sonderbare Gefühle bestürmten mich, als ich allein unter den fremden Bäumen, an den bleichen Amerikanern vorbei, zwischen fremdartig gebauten Straßen hindurchwandelte und mir ein ruhiges Plätzchen aussuchte, ganz meinen Gedanken nachzuhängen; es waren wehmütige und doch auch wieder hoffende, vertrauende Gefühle. Erst spät kehrte ich zu den Unsrigen zurück, die ich um Bier, Butterbrot und Käse versammelt fand, und die es sich zum guten Anfang gar wohl in der neuen Heimat sein ließen. Was halfen auch die trüben Gedanken, wir waren einmal da und mussten jetzt sehen, wie wir durchkamen. So ließ ich mich denn ebenfalls nicht lange. nötigen und setzte mich zu den übrigen Schiffsgefährten.
Während wir noch dort zechten und uns die langentbehrten Gottesgaben gut schmecken ließen, kam ein Fremder zu uns in die Stube, redete uns jedoch deutsch an, so dass wir in wenigen Minuten wie alte Bekannte waren. Es war ein Bäcker, der, schon einige dreißig Jahre in Amerika, sich ein bedeutendes Vermögen erworben hatte, und er kam einzig und allein in der löblichen Absicht zu uns, uns einige wohlgemeinte Warnungen zu geben. Der gute Mann hätte sich die Mühe ersparen können, wir wussten, wie alle Neuankommenden, das alles besser.
Er hatte die meiste Zeit seines Aufenthaltes in Pennsylvanien gelebt und redete, wie die dortigen Bürger, alle Leute mit du an. „Nehmt euch vor den Amerikanern in acht“, sagte er, „sie betrügen euch, wo sie können; wenn ihr aber einmal einem vertrauen müsst, so vertraut lieber einem Amerikaner als einem Deutschen. Es ist eine Schande für die Deutschen, es ist aber wahr. Hütet Euch vor ihnen, denn sie sind gegen ihre Landsleute viel schlimmer als gegen alle anderen, weil diese“, setzte er vertraulich hinzu, „immer die dümmsten sind. Wenn Ihr nach New-York kommt, so geht nicht in die Kneipen nahe am Wasser – William Tell und wie sie alle heißen, – es sind Mordhöhlen; tut ihr's dennoch, so ist es Euch eigene Schuld, und Ihr dürft euch nicht beklagen.“ In dieser Art redete er noch lange fort, und obgleich ich damals keine Ausnahme von der allgemeinen Regel machte, d. h. alles besser wissen und diesen bösen Warnungen nicht glauben wollte, weil sie nicht mit meinen Ideen übereinstimmten, so habe ich doch später gefunden, wie recht der Mann hatte. Nur in der einen Sache hatte er nicht ganz recht, dass er die Deutschen allein als Betrüger anklagte. Allerdings für ihre Landsleute sind sie die gefährlichsten; die dortigen Landhaie suchen sich aber eben immer und ganz hauptsächlich ihre Landsleute aus, weil sie deren Sprache am besten verstehen, und diese, sobald sie an der fremden Küste die heimischen Laute hören, denen, die sie reden, auch am leichtesten vertrauen. Der Franzose sucht sich den Franzosen, der Deutsche den Deutschen, der Engländer den Engländer, und was er aus ihm herauspressen kann, geschieht mit Vergnügen. „Sie werden das Geld doch hier in Amerika los“, trösten und entschuldigen sie sich dabei, „und es ist doch besser, dass es ein Landsmann bekommt, als einer der verdammten Fremden.“
Wir kehrten nach zehn Uhr wieder in unsere Baracke zurück, wo alle übrigen Deckpassagiere in malerischen Gruppen gelagert waren, und verbrachten ebenfalls dort die Nacht.
Als die Sachen unserer Reisegesellschaft genau durchgesehen wurden, fand sich noch mehr Unrat, als man erwartet hatte, und müde, länger in dieser ekelhaften Umgebung zuzubringen, gingen wir fünf auf ein Dampfboot, das morgens um neun Uhr von Staten Island nach New-York abging, welche Strecke von zwei Meilen es in einer halben Stunde zurücklegte.
Zuviel war da von neuen, nie gesehenen Herrlichkeiten zu schauen, als dass das Auge hätte lange auf einer Sache weilen und sich dieselbe einprägen können. Als ich kaum glaubte, dass wir abgefahren waren, hielt das Dampfboot schon, und vor uns lag das ungeheure Häusermeer New-York, von einem Mastenwalde begrenzt.
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Kapitel drei – Streifzug durch die Vereinigten Staaten – New-York
Kapitel drei – Streifzug durch die Vereinigten Staaten – New-York
Kaum landete das Dampfboot, als sich eine Unmasse von Karrenführern zu uns drängte, die alle sehr bereitwillig sich anboten, unsere Sachen an den Ort ihrer Bestimmung zu liefern. Wir wählten zwei von ihnen, die unsere Koffer und Kisten aufluden, wofür wir zusammen einen Dollar bezahlen mussten; doch hatten sie dieselben ein ziemliches Stück Weges zu fahren. Der Karren, dessen sich diese Leute bedienen, ruht auf zwei Rädern, und zwar so, dass, wenn aufgeladen wird, der hintere Teil auf die Erde hinunterreicht, damit schwere Waren mit größtmöglicher Leichtigkeit hinaufgewälzt oder gerollt werden können. Zllr., der schon früher einmal in New-York gewesen war, empfahl uns das Schwarzische Wirtshaus (boarding house), und wir zogen also dahin. Eine schmutzigere Wirtschaft war mir aber noch nicht vorgekommen, als bei der alten Madame Schwarz; denn noch jetzt erfasst mich ein Ekel, wenn ich an die von Wanzenblut geblümten Betten denke.
Natürlich war ich die ersten Tage nicht viel im Hause, sondern schlenderte durch die breiten, herrlichen Straßen New-Yorks und bewunderte mehrere, wirklich prachtvolle Gebäude darin. Was mich aber am meisten ansprach, war die Unzahl von Schiffen, welche um die ganze Stadt, die bekanntlich auf einer Insel liegt, eins an das andere gereiht waren, so dass das ganze ungeheure New-York einen Hafen bildet. Damals lagen ungefähr fünfzehnhundert größere und kleinere Schiffe um die Stadt herum. Ganz entzückt war ich auch im Anfange von dem Überfluss an Südfrüchten, der hier herrschte. In allen Straßen waren Wagen voll Ananas, Orangen und Kokosnüsse; die schönsten Ananas wurden zu zwei und vier guten Groschen das Stück verkauft.
Ich war ein paar Stunden gelaufen und wollte eben wieder nach unserem Wirtshause zurückkehren, als der sonderbarste Zug, den ich in meinem ganzen Leben gesehen habe, um eine der Straßenecken bog. Es war der Begräbniszug eines armen Irländers.
Das erste im Zuge war ein großer, viereckiger Leichenwagen mit schmutzigem, einst schwarz gewesenem Zeuge behangen. Oben auf dem Vorderteile des Wagens war ein Sitz für den Leichenkutscher angebracht. Auf diesem Sitze befand sich dieser auch, aber in einer nichts weniger als traurigen Haltung. Den linken Fuß auf das rechte Knie gelegt und den linken Ellbogen auf das linke Knie gestützt, saß er da oben, in einem blauen, abgeschabten Frack, mit herunterhängender Hutkrempe und einst weiß gewesenen Beinkleidern; zu gleicher Zeit kaute er in größter Behaglichkeit an einem Apfel, den er in den linken Hand hielt, während