Eine Frage der Macht. Hermann Brünjes

Eine Frage der Macht - Hermann Brünjes


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      Konstantins sonst verbindlicher und offener Blick wirkt für einen kurzen Moment kühl und abweisend. Dann jedoch lächelt er wieder freundlich.

      »Sie haben sicher recht damit.« Er schaut auf seine Armbanduhr. »Ich denke, mir fehlt die Zeit, weiter darüber zu diskutieren. Aber wenn Sie noch Fragen haben...?«

      Wenn er jetzt mittendrin aussteigt, wäre es extrem schade. Also frage ich ihn schnell, wie er »Macht« mit einem Satz definieren würde. Er lacht wieder, als wäre nichts gewesen.

      »Macht? Ganz einfach: Wer die Macht hat, kann alles machen, was er will!«

      »Alles, was er will?«

      Konstantin lächelt. »Alles, was das Volk will.«

      Er weiß, dass ich ihm nicht glaube.

      »Deshalb also die Volksbefragungen?«, vermittelt Elske, die sich offenbar wieder in professionellem Fahrwasser befindet. Der blonde Deutsche steigt darauf ein.

      »Richtig. Die Schweiz zeigt es uns. Eine rein parlamentarische Demokratie begünstigt die Hinterzimmerpolitik der politischen Seilschaften und Lobbyisten und verhindert, dass der Wille des Volkes geschieht.«

      Vermutlich will der Sunnyboy mit Schirm, Charme und Manipulation die Mehrheiten für seine deutsche Zukunft gewinnen – und wenn er erst einmal an der Macht ist, auch mit »Recht und Ordnung«, wie er sie als Führer des Volkes definiert. Ich denke mir meinen Teil, spreche es aber lieber nicht aus.

      Mir fallen die Wölfe ein. Immer mehr vermute ich, dieser hier ist einer im Schafspelz. Solange Nazis sich als solche äußerlich, begrifflich und im Auftreten zu erkennen geben, werden sie wahrscheinlich kaum zur Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie. Konstantin ist eine andere Nummer. Er vermochte es, auch mich zumindest für kurze Zeit zu beeindrucken. Aber wie gesagt, ein Wolf im Schafspelz. Apropos Wolf. Dazu muss ich ihn unbedingt noch befragen.

      Nachdem Konstantin noch einmal erwähnt hat, dass seine Zeit knapp ist und seine Anwesenheit in einer Onlinekonferenz erwartet wird, kommt es dazu. Beim Hinausgehen, im Angesicht des ausgestopften Pumakopfes, kann ich meine Frage ganz wie nebenbei anbringen.

      »Sagen Sie, Herr von Bering, Sie bewirtschaften große Wald- und Ackerflächen. Sie sind ja auch Jäger. Wie stehen Sie eigentlich zum Abschuss dieser vier Wölfe?«

      Abrupt bleibt Konstantin von Bering stehen. Er schaut mich kurz und irgendwie scharf an. Dann atmet er auffallend tief durch und antwortet.

      »Da berühren Sie einen empfindlichen Punkt, Herr Jahnke. Wir sind natürlich für den Natur- und Artenschutz. Aber alles muss dort leben, wo es hingehört und heimisch ist. Der Wolf jedenfalls gehört hier nicht hin.«

      »Also soll er vertrieben oder abgeschossen werden? «

      »Richtig. Meine Partei und ich sind uns da allerdings nicht hundertprozentig einig. Viele von uns wollen eine Obergrenze wie die CDU. Ich dagegen trete für einen deutlichen Rückbau des Wolfsbestandes ein. Natürlich muss man sich Zeit lassen, muss die Tierfreunde mitnehmen und sollte den Wolf nicht völlig ausrotten, sondern versuchen, ihn umzusiedeln. Aber am Ende muss stehen: Unser schönes, sicheres Deutschland bietet solchen Raubtieren keinen Lebensraum!«

      Deutlicher kann man sich nicht äußern. Das mit dem »Zeit lassen« hört sich stark nach politischem Schachzug an. Es ist vermutlich ein Zugeständnis an Tierfreunde. Seine Klarheit dagegen gefällt mit Sicherheit den Weidetierhaltern, vielen Jägern, der Touristikbranche und auch Landwirten ziemlich gut. Es ist Wahlkampf. Aber das sage ich nicht laut.

      Auf der Treppe kommt uns ein älterer Mann entgegen, unverkennbar jener Patriarch vom Foto. Er ist um die siebzig, schätze ich, aber noch sehr rüstig. Ein grauer Mercedes der G-Klasse parkt jetzt neben Elskes Kleinwagen. Neben dem eckigen SUV wirkt der VW wie ein Spielzeug. Ein jüngerer Mann, wie der Patriarch in klassischer Jagdmontur, verriegelt den Wagen und kommt dann mit zwei Jagdgewehren unter dem Arm auf uns zu.

      »Wen hast du da wieder ins Haus gebracht?«

      Der Alte scheint auf seinen Sohn nicht besonders gut zu sprechen zu sein, von Höflichkeit mal ganz zu schweigen. Sein Sohn stellt uns vor.

      »Aha, Sie haben meinen Sohn also interviewt und sind Schreiberling? Da hoffe ich, in Ihrem Artikel steht dann später, was er tatsächlich gesagt hat!«

      Von Lügenpresse sagt er nichts. Trotzdem ist klar, dass er die Medien genauso einordnet. Ohne uns noch einmal anzuschauen, auch seinen Sohn nicht, geht er an uns vorbei ins Haus. Dem Junior ist die Begegnung sichtbar unangenehm.

      »Das war unser Vater wie er leibt und lebt«, erklärt er, ohne sich oder das Verhalten des Seniors zu entschuldigen. »Und dieser junge Mann ist Claas Brinkmann, unser bester Jäger und dazu enger Freund und Nutznießer meines alten Herren.«

      Dem jungen Mann ist diese Einordnung sichtlich unangenehm. Er murmelt etwas Unverständliches und geht ansonsten wortlos an uns vorbei ins Haus. Wenn ich mich nicht täusche, ist auch dieser Claas einer der jungen Männer mit den Polo-shirts vom Foto auf der Anrichte.

      *

      Als wir im Auto sitzen, meint Elske: »Was war das denn? Zwischen Vater und Sohn sprühen die Funken, und das Verhältnis zwischen dem Junior und dem jungen Jäger scheint auch recht belastet zu sein.«

      »Allerdings. In diesem Haus gibt es auf der Beziehungsebene ganz offensichtlich eine heftige Dynamik. Auch Tochter und Sohn verhalten sich nicht gerade wie Brüderlein und Schwesterlein. Und du kennst diese Sophia? Ganz offensichtlich hast weder du sie noch sie dich hier erwartet.«

      Während wir im Haus waren, hat es geregnet. Elske umkurvt eine Pfütze und kurbelt am Lenkrad als wäre sie im Autoscooter auf der Kirmes. Sie steuert ihren VW auf die Kreisstraße.

      »Das hast du richtig erfasst. Ich war total überrascht.«

      »Wo habt ihr euch kennengelernt?«

      »In einem Reitstall während des Studiums in Oldenburg.«

      »Elske, du reitest? Das hätte ich ja nicht gedacht.«

      Meine Kollegin schmunzelt.

      »Na ja, ich bin auf dem Land groß geworden. Die meisten Ostfriesinnen lieben Pferde.«

      »Und wieso war auch Sophia in jenem Reitstall?«

      »Na, wozu wohl? Zum Reiten. Wir haben dann festgestellt, dass wir beide an der Uni sind. Sie hat Energiewissenschaften studiert und war damals frisch verheiratet mit einem Techniker, der bei Enercon in Aurich gearbeitet hat.«

      »Bei der Firma für Windräder, die so viele entlassen mussten?«

      »Genau. Sie hieß damals Michalzik oder so... deshalb habe ich sie bei der Vorbereitung auf unseren Besuch auf dem Gutshof auch nicht den von Berings zugeordnet. Aber jetzt fügen sich die Puzzleteile zusammen. Damals hat sie mir erzählt, dass sie sich mit ihrem Bruder, vor allem aber mit ihrem Großvater überworfen hat, weil sie den Hof nicht übernehmen wollte und dann auch noch diesen ökologischen Weg eingeschlagen hat.«

      »Und jetzt hast du sie das erste Mal wiedergesehen?«

      »Ja. Wir werden auf jeden Fall versuchen, uns zu treffen. Ihren verschwörerischen Blick hast du ja vielleicht wahrgenommen.«

      Verschwörerisch? Nee, ich habe den kurzen Blickkontakt zwischen den beiden Frauen eher als »sag nicht, woher wir uns kennen« gedeutet. Aber das ist vermutlich dasselbe.

      Elske setzt mich an der Einmündung zu unserer Wohnstraße ab und ich gehe den kleinen Rest zu Fuß. Unser Nachbar hat, wie immer äußerst akkurat, seinen Rasen gemäht. Oh je, unser Rasen, ich nenne es mal lieber Grünfläche, hat einen Schnitt dringend nötig. Wenn es morgen nicht regnet, werde ich mich endlich mal wieder im Garten austoben.

      Das Gespräch mit Konstantin von Bering war wirklich interessant. Dieser Konstantin hat das Zeug, seine Partei weiter nach vorn zu führen – leider. Vor allem zu Beginn der Begegnung hat er sogar mich mit seiner verbindlichen, netten Art total eingewickelt.


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