Träume nicht dein Leben. Kate Lillian

Träume nicht dein Leben - Kate Lillian


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hatte er nicht so viel zu sagen, sondern würde eine Fotostrecke oder einen kurzen Film zeigen. Dafür sprach zumindest der aufgebaute Projektor.

      Normalerweise war mir ein solches Ereignis um einiges lieber als seine endlosen Ansprachen. Doch wenn es wie bei der letzten Bürgerversammlung um irgendwelche zu versteigernden Landflächen ging, war das genauso langweilig – vor allem, da die meisten Bewohner unserer kleinen Stadt nicht genügend Geld für solch einen Kauf besaßen.

      Nur wurde uns der Anlass der Versammlungen nie im Vorfeld mitgeteilt. Darum tauchten viele Bewohner freiwillig auf – in der Hoffnung, positive Neuigkeiten als Erstes zu erfahren.

      »Äh-hem«, räusperte sich Bürgermeister Berger, was durch die alten Lautsprecher ein unangenehmes Geräusch verursachte. Weil er nun jedoch die Aufmerksamkeit aller innehatte, sprach er gleich weiter. »Guten Morgen, meine lieben Mitbürger. Ich freue mich wie immer über Ihr Erscheinen. Aufgrund der Wichtigkeit dieser Versammlung komme ich gleich zur Sache.«

      Innerlich stöhnte ich auf. Egal, wie wichtig diese Veranstaltung war, dadurch fiel einer meiner Sommerkurse aus. Und ich wollte so gut es ging auf die Uni vorbereitet sein, die ich ab Herbst besuchen würde.

      Herr Berger klemmte sich das Mikrofon unter den Arm und klatschte einmal in die Hände, woraufhin einige Helfer die Tücher von den verhüllten Gegenständen zogen. Ich glaubte im ersten Moment, darunter kämen irgendwelche Antiquitäten zum Vorschein, die versteigert werden sollten. Ich erinnerte mich nur zu gut an das alte Radio beim letzten Mal, das die Königsfamilie für einen guten Zweck aus einem ihrer Museen geholt hatte. Es kam hin und wieder vor, dass die Städte Gaben aus der alten Welt erhielten, um von dem Erlös einen neuen Kindergarten zu errichten oder das Funknetz auszubauen. Das war sehr großzügig und kam bei den Sammlern und Reichen gut an. Wir Übrigen ließen es eher notgedrungen über uns ergehen.

      Dieses Mal handelte es sich jedoch nicht um etwas Teures – sondern um etwas weitaus Bedeutenderes. Denn ich erblickte Stangen, über die sich nun Stoff rollte. Keine zwei Sekunden später leuchteten uns die Banner unseres Königreiches entgegen: dunkelrot mit einem goldenen Wappen darauf. Obwohl ich es von meiner Position aus nicht genau erkennen konnte, wusste ich, dass darauf die einzelnen Anfangsbuchstaben der fünf früheren Länder unseres Reiches kunstvoll verschlungen dargestellt waren.

      Überraschte Laute gingen durch die Menge, hinter mir versuchte jemand, einen besseren Blick auf das Podest zu erhaschen, und rammte mich mit seinem Ellenbogen. Ich kniff kurz die Augen zusammen, bevor ich mich auf meine Zehenspitzen stellte, um ebenfalls mehr sehen zu können.

      »Was hat das zu bedeuten?«, murmelte meine Mutter. Mein Vater zuckte lediglich mit den Schultern und auch ich hatte keinen Schimmer, was auf uns zukommen würde. Mir war nur klar, dass eine Ankündigung von enormer Relevanz bevorstand, sonst würde man die Banner nicht hissen.

      »Meine lieben Mitbürger von Brightfield, bitte schauen Sie auf die Leinwand und lauschen Sie den Worten unseres verehrten Königspaares!«, forderte uns der Bürgermeister auf. Unnötigerweise, denn als auf dem weißen Stoff König Simon und Königin Whitney auftauchten, wurde es mucksmäuschenstill und die Aufmerksamkeit aller richtete sich auf das eben erscheinende Bild. Auch ich starrte die Gesichter der beiden an, und obwohl es keine Live-Übertragung war, war ich wie gebannt von ihrer Ausstrahlung.

      »Liebes Volk des Zentralreiches, wir freuen uns sehr, Sie alle zur Verkündung begrüßen zu dürfen«, sagte Königin Whitney, während sie in die Kamera lächelte.

      »Heute wird sich das Leben für einige Personen gravierend verändern und das könnte auch Auswirkungen auf das ganze Reich haben«, fuhr König Simon fort. Seine Stimme klang beeindruckend ruhig für jemanden, der eine so große Neuigkeit kundtat.

      »Wie Sie wissen«, ergriff die Königin das Wort, »halten alle Königsfamilien dieser Generation ihr Privatleben eher bedeckt. Nun ist es an der Zeit für einige Enthüllungen.«

      Die Perspektive veränderte sich, sodass nicht mehr nur das Königspaar auf Sesseln sitzend zu sehen war, sondern drei weitere solcher Möbelstücke im Bild auftauchten.

      »Heute präsentieren wir Ihnen erstmals unsere Kinder.« König Simon gab jemandem ein Zeichen und ein kleines Mädchen kam ins Bild gehüpft. Es setzte sich auf den Sessel neben der Königin und winkte mit einem Grinsen in die Kamera. »Dieser kleine Schatz ist unsere Jüngste. Ihr Name ist Marla.«

      »Hallo, Volk«, sagte Marla mit zuckersüßer Stimme und wedelte dabei weiterhin mit ihrer kleinen Hand. Sie war bestimmt nicht älter als zehn.

      Ihre Eltern lachten wegen ihrer Begrüßung, dann gab der König erneut ein Signal. Als Nächstes trat ein Junge ins Bild, der vielleicht mein Alter hatte. Sein Anzug schien ihm leicht zu groß zu sein, seine Krawatte hing ihm schief über das karamellfarbene Hemd. Als er sich setzte, überkreuzte er sofort leger die Beine und lehnte sich zurück. Er wirkte ein wenig frech, als würde er sich nichts aus Regeln machen.

      »Jonas, unser zweiter Sohn«, stellte der König ihn vor. Zur Begrüßung winkte er nur lässig und grinste.

      Ich glaubte, die Königin die Augen verdrehen zu sehen, war mir aber nicht sicher, ob ich mir das eingebildet hatte. Meine Aufmerksamkeit richtete sich ohnehin auf ihren Mann, der sich erhob.

      »Zum Schluss präsentiere ich Ihnen mit Stolz unseren Sohn Stephan, den Thronfolger unseres Reiches.«

      Bereits bevor der junge Mann vor die Linse trat, begann mein Herz, schneller zu schlagen. Seit Jahren stellte ich mir vor, wie der künftige König aussehen würde. Ob er die blonden Haare seines Vaters geerbt hatte. Oder die helle Haut seiner Mutter. Und stets hatte ich mich gefragt, wie alt er wohl sein mochte – vielleicht in einem Bereich, der zu meinen siebzehn Jahren passen würde?

      Kaum dass er vor der Kamera auftauchte, hielt ich die Luft an. Prinz Stephan schien etwas älter zu sein als ich, seine Züge wirkten gleichzeitig weich und maskulin. Seine dunkelblonden Haare waren akkurat aus dem Gesicht gestylt, sodass seine hellen blauen Augen umso deutlicher zur Geltung kamen – trotz der Distanz zum Aufnahmegerät.

      Er stellte sich neben seinen Vater und lächelte in die Kamera. Man bekam das Gefühl, als würde er nicht in eine technische Apparatur gucken, sondern uns alle betrachten – sein Volk. Es fühlte sich für mich wie ein Déjà-vu des Auftrittes seiner Eltern an, bei dem ich sie als Kind das erste Mal gesehen hatte. Nur dieses Mal brannte sich meine Sehnsucht nach einem royalen Leben beinahe durch mich hindurch. Prinz Stephans Auftauchen machte alles so viel nahbarer. Dabei war er für mich unerreichbar ...

      »Ich freue mich, dass ich mich Ihnen allen endlich vorstellen darf.« Trotz der alten Lautsprecher war die Wärme in Stephans Stimme deutlich zu hören. »Und nicht nur diese Ehre gebührt mir heute. Ich darf außerdem eine Ankündigung im Namen unseres Königreiches sowie vier weiterer unserer sieben Reiche machen.«

      Ein Raunen ging durch die Menge, es wurde geflüstert und getuschelt. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich meine Eltern einander zuwandten, mein Fokus lag allerdings weiterhin auf dem Thronfolger.

      »Wie Sie mit Sicherheit wissen, wurden zur Stärkung der Modernen Welt in den letzten beiden Generationen die künftigen Könige mit den Prinzessinnen der anderen Reiche vermählt«, fuhr er fort. »Dies soll jedoch nicht zur Tradition werden.«

      Wie meinte er das bloß? Hatte er etwa längst eine Braut gefunden und wir wohnten gerade der Ankündigung seiner bevorstehenden Hochzeit bei?

      Als ich mich umsah, konnte ich eine ähnliche Verwirrung bei meinen Mitmenschen erkennen. Falten auf der Stirn, weit aufgerissene Augen, offen stehende Münder. Ich hatte den Eindruck, viele hielten auch den Atem an.

      Als erneut die Stimme des Prinzen erklang, richtete ich meinen Blick eilig zurück auf die Leinwand.

      »Die Königreiche des Nordens, Ostens, Westens, Südens und des Zentrums sind sich einig, dass sie sich zu lange mit dem Wiederaufbau und dem Erhalt des internationalen Friedens beschäftigt und somit vor dem Volk der Modernen Welt verschlossen haben.« Prinz Stephan wirkte bestimmt, während er das sagte. »Wir wollen nicht länger Geheimnisse vor Ihnen haben. Sie nicht länger ausschließen.


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