Blaue Diamanten. Irene Dorfner

Blaue Diamanten - Irene Dorfner


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Job dachte und überall nach dem Haar in der Suppe suchte. Krohmer hatte gehofft, mit dem Hotel ablenken zu können. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als Farbe zu bekennen.

      „Die Personenschützer sind zu einem wichtigen Treffen nach Berlin gebeten worden. Um was es da genau geht, kann ich Ihnen nicht sagen und das ist auch nicht wichtig. Es handelt sich bei den EU-Energieministern nicht um A-Prominenz, weshalb diese nicht extra zurückbeordert werden.“ Das waren genau die Worte, die Totzauer in dem Telefongespräch verwendet hatte.

      „Wie bitte? Auch bei Politikern wird jetzt schon in der Wichtigkeit unterschieden? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein,“ echauffierte sich Werner. Er hasste es, wenn Menschen in Wichtigkeit eingestuft wurden, damit war er mit seinen versnobten Eltern aufgewachsen.

      „Sorry, aber so wurde mir das mitgeteilt. Wie auch immer: Der Job ist klar und ich bitte Sie, diesen professionell auszuführen. Ich möchte über meine Leute nichts Negatives hören. Es versteht sich von selbst, dass Sie sich alle bezüglich Ihrer Kleidung anpassen,“ sagte er und sah vor allem Leo und Tatjana an.

      Krohmer war verschwunden. Er war sicher, dass er sich auf seine Leute verlassen konnte. In seinen Augen war das zwar kein Routinejob, aber er musste nun mal erledigt werden.

      Dass dieser Job größere Ausmaße annehmen würde, konnte er zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ahnen.

      4.

      Jenny Löffler benahm sich in den letzten Tagen seltsam. Sie war noch wortkarger als sonst. Sie hielt ihren Kopf noch tiefer gesenkt und vermied jeglichen Blickkontakt. Das fiel nicht nur dem Busfahrer Magnus Hofberger, sondern auch dem Fahrgast Hedwig Berenz auf. Allen anderen war der Zustand Jennys völlig egal. Aber nicht der 58-jährigen Hedwig, die den Busfahrer Magnus mit allen Informationen über Jenny versorgte. Sie war eine passionierte Kupplerin und fand von Anfang an, dass die beiden ein perfektes Paar abgeben würden. Hedwig wohnte nicht weit von Jenny entfernt. Wenn sie sich Mühe gab und sich weit über den Balkon ihrer großzügigen 3-Zimmer-Wohnung lehnte, konnte sie einen Blick in Jennys Küche werfen. Nicht, dass sie das nicht schon hunderte Male getan hatte, wofür sie sich nicht schämte. Sie gab freimütig zu, neugierig zu sein. Warum auch nicht? Das war ihr Hobby und sie stand dazu. Sie kannte alle Nachbarn und deren Familienverhältnisse, natürlich auch die von Jenny. Es hatte ihr damals sehr leid getan, als die Familie auseinanderbrach und Jenny mit den Kindern allein dastand. Als Klaus Löffler auszog, kannte sie die genauen Gründe nicht und konnte daher nur spekulieren. Es musste eine andere Frau dahinterstecken, sonst würde der Mann diese nette Familie niemals verlassen. Einen anderen Grund konnte sie sich einfach nicht vorstellen, obwohl die Gerüchteküche brodelte, zu der Hedwig immer ihren Senf gab. Hedwig hatte sich sehr darüber gefreut, als Jenny einen Job fand und sie jetzt sogar in derselben Buslinie zur selben Zeit nach Hause fuhren. Als sie herausgefunden hatte, dass Jenny nur einen Bus nach ihrem zur Arbeit nahm, hatte sie sich ihr angeschlossen. Dann kam sie eben zwanzig Minuten später bei ihrer Arbeitsstelle in Miesbach an, was machte das schon? Sie arbeitete dort schon seit sehr vielen Jahren in einem Schuhgeschäft, das sich auf Übergrößen spezialisiert hatte. Sie liebte ihre Arbeit, die sie tagsüber komplett ausfüllte. Jenny kannte sie bestimmt nicht, grüßte aber immer höflich und freundlich. Jenny stieg am Abend eine Station nach ihr ein und daher wusste Hedwig, wo sie arbeitete. Jeden Tag hielt sie nach ihr Ausschau und freute sich, dass sie immer mehr aufblühte. Als sie die Blicke des Busfahrers Magnus Hofberger bemerkte, befand sie es als ihre Pflicht, den gutmütigen, freundlichen Mann über Jenny aufzuklären. Er hatte nichts gegen Kinder. Warum auch? Die Kinder waren entzückend! Gut erzogen, höflich und obendrein sehr hübsch. Hedwig mochte Kinder, hatte aber leider selbst keine. Sie wurde bereits mit 49 Jahren Witwe und es ergab sich seither für sie keine neue Liebschaft. Natürlich gab es potentielle Partner, einen Mann zu finden war kein Problem. Es gab viele alleinstehende Männer, die aber nur jemanden für den Haushalt, zur Gesellschaft und für die Pflege brauchten. Denen war es egal, wer an ihrer Seite war; Hauptsache, sie waren nicht mehr allein. Hedwig verstand bis heute nicht, wie man sich so schnell nach dem Tod eines Partners wieder binden konnte und verurteilte Witwer und Witwen, die sich an den oder die nächstbeste hängten. Sie war anders, bei ihr stand das Herz an erster Stelle. Sie musste feststellen, dass sie mit zunehmendem Alter immer anspruchsvoller wurde und das stand ihr auch zu. Niemand konnte es mit ihrem verstorbenen Mann aufnehmen, den sie über alles geliebt hatte und der in ihren Augen perfekt war.

      Was war nur mit Jenny los? Sie wirkte verschüchtert, ins sich gekehrt, fast ängstlich. Hing das mit dem Mann zusammen, der einige Male mit der Linie 12 gefahren war und sie beobachtete? Hedwig kam der Mann suspekt vor, denn er passte überhaupt nicht zu Jenny. Er war bestimmt schon Mitte 40, war groß, kräftig und hatte fiese Augen. Außerdem trug er einen billigen Anzug und schmutzige, alte Schuhe, die die grobschlächtige Art noch unterstrichen. Seit letzte Woche Dienstag war er nicht mehr mitgefahren und Hedwig war froh, dass er Jenny nicht mehr nachstieg.

      Sollte sie Jenny einfach ansprechen und sie fragen? Das traute sie sich nicht. Sie war neugierig, aber besonders mutig war sie nicht. Trotzdem würde sie an Jenny dranbleiben und sie im Auge behalten.

      „Gehst du heute schon wieder in deine blöde Oper?“ maulte Rosina Steinmaier während des Frühstücks. Sie hatte schon immer Wert darauf gelegt, mit ihrem Sohn gemeinsam zu frühstücken, worauf Tamino gerne verzichtet hätte. Jeden Morgen maulte seine Mutter so lange, bis ihre Unterhaltung in einem Streit und sich wiederholenden Vorwürfen endete. Er versuchte stets, dem aus dem Weg zu gehen, aber sie provozierte ihn so lange, bis er sich nicht mehr beherrschen konnte und contra gab.

      „Erst nächste Woche Mutti.“

      „Was findest du nur an diesem fürchterlichen Geschrei? Der Komödienstadl ist immer schön, aber die Oper? Du bist genauso wie dein Vater! Der hat auch immer ein Heidengeld für Opernkarten ausgegeben und hat mich allein zurückgelassen, um sich das Geschrei anzuhören. Er wollte immer etwas Besseres sein und gab mit seinem Wissen und seiner Affinität zu Opern an. Ich konnte nie etwas damit anfangen und hielt lieber jeden Pfennig zusammen. Dein Vater hat nicht viel verdient und wir mussten immer sparen. Trotzdem wollte er partout nicht auf die Opern-Besuche verzichten. Er hat mich dazu überredet, dich Tamino zu nennen. Ich finde den Namen auch heute noch affig und für ein Leben in Bayern nicht angebracht. Aber gegen deinen Vater kam ich nicht an.“

      „Ich finde den Namen schön, er passt zu mir. Vati war nun mal ein Feingeist.“

      „Feingeist! Pah! Er kam aus einfachsten Verhältnissen. Meine Eltern waren reiche, angesehene Geschäftsleute. Die Eltern deines Vaters waren einfache Leute, die es nie zu Reichtum gebracht hatten. Ich habe oft mitbekommen, wie dein Vater seinen Eltern einige Scheine zusteckte, wenn sie mal wieder klamm waren. Das war rausgeschmissenes Geld! Man kommt nur zu etwas, wenn man fleißig ist und das Geld zusammenhält. Wie oft habe ich deinem Vater gebeten, dass er seinen Eltern nichts mehr geben soll. Denkst du, er hat auf mich gehört?“

      „Vati war eben ein sehr gutmütiger, großherziger Mensch,“ sagte Tamino. Wie immer musste er seinen Vater verteidigen. Wie sehr er ihn vermisste, hatte seine Mutter nie bemerkt.

      „Großzügig und gutmütig nennst du das? Nein, das war einfach nur dumm. Ja, dein Vater war ein dummer Mann, der sich gerne ausnutzen ließ. Außerdem war er nicht groß und stattlich, wie man sich einen Mann vorstellt. Er war genauso klein und dünn wie du. Das gefällt mir an Männern nicht.“

      „Und trotzdem hast du ihn geheiratet,“ sagte Tamino und bereute seine Worte sofort. Er kannte die Sprüche und Geschichten seiner Mutter in- und auswendig. Bei jeder Gelegenheit machte sie ihn und seinen verstorbenen Vater nieder. Tamino kannte die Wahrheit, die sich seine Mutter immer schön redete. Das reiche Elternhaus seiner Mutter war in Wahrheit ein kleiner Tante-Emma-Laden mitten in Schwindegg, der sich gegen die großen Supermärkte nicht durchsetzen konnte und schließlich Ende der 70er-Jahre schließen musste. Das Haus war nicht viel wert und musste inzwischen einem Spielplatz weichen, nachdem die Stadt das Haus für ein Butterbrot gekauft hatte. Seine Mutter Rosina hatte von klein auf in dem Laden mitgearbeitet. Sie hatte keine Ausbildung und hatte nach der Schließung des Geschäfts nicht mehr gearbeitet. Er selbst war damals noch klein und konnte


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