Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte. Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte - Georg Wilhelm Friedrich Hegel


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Jahrtausenden vorstellen, welche den Völkern vor der Geschichtsschreibung verflossen sind und mit Revolutionen, mit Wanderungen, mit den wildesten Veränderungen mögen angefüllt gewesen sein, sind darum ohne objektive Geschichte, weil sie keine subjektive, keine Geschichtserzählung aufweisen. Nicht wäre diese nur zufällig über solche Zeiträume untergegangen, sondern weil sie nicht hat vorhanden sein können, haben wir keine darüber. Erst im Staate mit dem Bewusstsein von Gesetzen sind klare Taten vorhanden und mit ihnen die Klarheit eines Bewusstseins über sie, welche die Fähigkeit und das Bedürfnis gibt, sie so aufzubewahren. Auffallend ist es jedem, der mit den Schätzen der indischen Literatur bekannt zu werden anfängt, dass dieses an geistigen, und zwar in das Tiefste gehenden Produktionen so reiche Land keine Geschichte hat und darin aufs stärkste sogleich gegen China kontrastiert, welches Reich eine so ausgezeichnete, auf die ältesten Zeiten zurückgehende Geschichte besitzt. Indien hat nicht allein alte Religionsbücher und glänzende Werke der Dichtkunst, sondern auch alte Gesetzbücher, was vorhin als eine Bedingung der Geschichtsbildung gefordert wurde, und doch keine Geschichte. Aber in diesem Lande ist die zu Unterschieden der Gesellschaft beginnende Organisation sogleich zu Naturbestimmungen in den Kasten versteinert, so dass die Gesetze zwar die Zivilrechte betreffen, aber diese selbst von den natürlichen Unterschieden abhängig machen und vornehmlich Zuständigkeiten (nicht sowohl Rechte als Unrechte) dieser Stände gegeneinander, d. i. der höheren gegen die niederen, bestimmen. Damit ist aus der Pracht des indischen Lebens und aus seinen Reichen das Element der Sittlichkeit verbannt. Über jener Unfreiheit der naturfesten Ständigkeit von Ordnung ist aller Zusammenhang der Gesellschaft wilde Willkür, vergängliches Treiben oder vielmehr Wüten ohne einen Endzweck des Fortschreitens und der Entwicklung: So ist kein denkendes Andenken, kein Gegenstand für die Mnemosyne vorhanden, und eine, wenn auch tiefere, doch nur wüste Phantasie treibt sich auf dem Boden herum, welcher, um sich der Geschichte fähig zu machen, einen der Wirklichkeit und zugleich der substantiellen Freiheit ungehörigen Zweck hätte haben müssen.

       Um solcher Bedingung einer Geschichte willen ist es auch geschehen, dass jenes so reiche, ja unermessliche Werk der Zunahme von Familien zu Stämmen, der Stämme zu Völkern und deren durch diese Ausdehnung herbeigeführte Ausbreitung, welche selbst so viele Verwicklungen, Kriege, Umstürze, Untergänge vermuten lässt, ohne Geschichte sich nur zugetragen hat; noch mehr, dass die damit verbundene Verbreitung und Ausbildung des Reiches der Laute selbst lautlos und stumm geblieben und schleichend geschehen ist. Es ist ein Faktum der Monumente, dass die Sprachen im ungebildeten Zustande der Völker, die sie gesprochen, höchst ausgebildet worden sind, dass der Verstand sich sinnvoll entwickelnd ausführlich in diesen theoretischen Boden geworfen hatte. Die ausgedehnte konsequente Grammatik ist das Werk des Denkens, das seine Kategorien darin bemerklich macht. Es ist ferner ein Faktum, dass mit fortschreitender Zivilisation der Gesellschaft und des Staates diese systematische Ausführung des Verstandes sich abschleift und die Sprache hieran ärmer und ungebildeter wird, – ein eigentümliches Phänomen, dass das in sich geistiger werdende, die Vernünftigkeit heraustreibende und bildende Fortschreiten jene verständige Ausführlichkeit und Verständigkeit vernachlässigt, hemmend findet und entbehrlich macht. Die Sprache ist die Tat der theoretischen Intelligenz im eigentlichen Sinne, denn sie ist die äußerliche Äußerung derselben. Die Tätigkeiten der Erinnerungen und der Phantasie sind ohne die Sprache unmittelbare Äußerungen. Aber diese theoretische Tat überhaupt wie deren weitere Entwicklung und das damit verbundene Konkretere der Völkerverbreitung, ihrer Abtrennung voneinander, Verwicklung, Wanderung bleibt in das Trübe einer stummen Vergangenheit eingehüllt; es sind nicht Taten des selbstbewusstwerdenden Willens, nicht der sich andere Äußerlichkeit, eigentliche Wirklichkeit gebenden Freiheit. Diesem wahrhaften Elemente nicht angehörend haben jene Völker ihrer Sprachentwicklung ungeachtet keine Geschichte erlangt. Die Voreiligkeit der Sprache und das Vorwärts- und Auseinandertreiben der Nationen hat erst teils in Berührung mit Staaten, teils durch eignen Beginn der Staatsbildung Bedeutung und Interesse für die konkrete Vernunft gewonnen.

      c) Nach diesen Bemerkungen, welche die Form des Anfanges der Weltgeschichte und das aus ihr auszuschließende Vorgeschichtliche betroffen haben, ist die Art des Ganges derselben näher anzugeben; doch hier nur von der formellen Seite. Die Fortbestimmung des konkreten Inhalts ist Angabe der Einteilung.

       Die Weltgeschichte stellt, wie früher bestimmt worden ist, die Entwicklung des Bewusstseins des Geistes von seiner Freiheit und der von solchem Bewusstsein hervorgebrachten Verwirklichung dar. Die Entwicklung führt es mit sich, dass sie ein Stufengang, eine Reihe weiterer Bestimmungen der Freiheit ist, welche durch den Begriff der Sache hervorgehen. Die logische und noch mehr die dialektische Natur des Begriffes überhaupt, dass er sich selbst bestimmt, Bestimmungen in sich setzt und dieselben wieder aufhebt und durch dieses Aufheben selbst eine affirmative, und zwar reichere, konkretere Bestimmung gewinnt, – diese Notwendigkeit und die notwendige Reihe der reinen abstrakten Begriffsbestimmungen wird in der Logik erkannt. Hier haben wir nur dieses aufzunehmen, dass jede Stufe als verschieden von der andern ihr bestimmtes eigentümliches Prinzip hat. Solches Prinzip ist in der Geschichte Bestimmtheit des Geistes, – ein besonderer Volksgeist. In dieser drückt er als konkret alle Seiten seines Bewusstseins und Wollens, seiner ganzen Wirklichkeit aus; sie ist das gemeinschaftliche Gepräge seiner Religion, seiner politischen Verfassung, seiner Sittlichkeit, seines Rechtssystems, seiner Sitten, auch seiner Wissenschaft, Kunst und technischen Geschicklichkeit. Diese speziellen Eigentümlichkeiten sind aus jener allgemeinen Eigentümlichkeit, dem besonderen Prinzipe eines Volkes zu verstehen, sowie umgekehrt aus dem in der Geschichte vorliegenden faktischen Detail jenes Allgemeine der Besonderheit herauszufinden ist. Dass eine bestimmte Besonderheit in der Tat das eigentümliche Prinzip eines Volkes ausmacht, dies ist die Seite, welche empirisch aufgenommen und auf geschichtliche Weise erwiesen werden muss. Dies zu leisten, setzt nicht nur eine geübte Abstraktion, sondern auch schon eine vertraute Bekanntschaft mit der Idee voraus; man muss mit dem Kreise dessen, worin die Prinzipien fallen, wenn man es so nennen will, a priori vertraut sein, so gut als, um den größten Mann in dieser Erkennungsweise zu nennen, Kepler mit den Ellipsen, mit Kuben und Quadraten und mit den Gedanken von Verhältnissen derselben a priori schon vorher bekannt sein musste, ehe er aus den empirischen Daten seine unsterblichen Gesetze, welche aus Bestimmungen jener Kreise von Vorstellungen bestehen, erfinden konnte. Derjenige, der in diesen Kenntnissen der allgemeinen Elementarbestimmungen unwissend ist, kann jene Gesetze, und wenn er den Himmel und die Bewegungen seiner Gestirne noch so lange anschaut, ebenso wenig verstehen, als er sie hätte erfinden können. Von dieser Unbekanntschaft mit den Gedanken des sich entwickelnden Gestaltens der Freiheit rührt ein Teil der Vorwürfe her, welche einer philosophischen Betrachtung über eine sonst sich empirisch haltende Wissenschaft wegen der sogenannten Apriorität und des Hineintragens von Ideen in jenen Stoff gemacht werden. Solche Gedankenbestimmungen erscheinen dann als etwas Fremdartiges, nicht in dem Gegenstande Liegendes. Der subjektiven Bildung, welche nicht die Bekanntschaft und Gewohnheit von Gedanken hat, sind sie wohl etwas Fremdartiges und liegen nicht in der Vorstellung und dem Verstande, den solcher Mangel sich von dem Gegenstande macht. Es folgt daraus der Ausdruck, dass die Philosophie solche Wissenschaften nicht verstehe. Sie muss in der Tat zugeben, dass sie den Verstand, der in jenen Wissenschaften herrschend ist, nicht habe, nicht nach den Kategorien solchen Verstandes verfahre, sondern nach Kategorien der Vernunft, wobei sie jenen Verstand aber, auch dessen Wert und Stellung kennt. Es gilt in solchem Verfahren des wissenschaftlichen Verstandes gleichfalls, dass das Wesentliche von dem sogenannten Unwesentlichen geschieden und herausgehoben werden müsse. Um dies aber zu vermögen, muss man das Wesentliche kennen, und dieses, wenn die Weltgeschichte im Ganzen betrachtet werden soll, ist, wie früher angegeben worden, das Bewusstsein der Freiheit und in den Entwicklungen desselben die Bestimmtheiten dieses Bewusstseins. Die Richtung auf diese Kategorie ist die Richtung auf das wahrhaft Wesentliche.

       Von den Instanzen und von dem Widerspruch gegen eine in ihrer Allgemeinheit aufgefasste Bestimmtheit kommt gewöhnlich auch ein Teil auf den Mangel, Ideen zu fassen und zu verstehen. Wenn in der Naturgeschichte gegen die entschieden sich ergebenden Gattungen und Klassen ein monströses, verunglücktes Exemplar oder Mischlingsgeschöpf als Instanz vorgewiesen wird, so kann man mit Recht das anwenden, was oft ins Unbestimmte hin gesagt wird, dass die Ausnahme die Regel bestätige, das heißt, dass an ihr es sei, die Bedingungen, unter denen sie stattfindet, oder das Mangelhafte, Zwitterhafte, das in der Abweichung von dem Normalen liegt, zu zeigen. Die Ohnmacht der Natur vermag


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