Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte. Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Zusammenhang des Willens. Schon in rohen Staaten findet dies statt, dass der besondere Wille der Individuen nicht gilt, dass auf die Partikularität Verzicht getan wird, dass der allgemeine Wille das Wesentliche ist. Diese Einheit des Allgemeinen und Einzelnen ist die Idee selbst, die als Staat vorhanden ist, und die sich dann weiter in sich ausbildet. Der abstrakte, jedoch notwendige, Gang in der Entwicklung wahrhaft selbständiger Staaten ist dann dieser, dass sie mit dem Königtum anfangen, es sei dieses ein patriarchalisches oder kriegerisches. Darauf hat die Besonderheit und Einzelheit sich hervortun müssen, – in Aristokratie und Demokratie. Den Schluss macht die Unterwerfung dieser Besonderheit unter eine Macht, welche schlechthin keine andere sein kann als eine solche, außerhalb welcher die besonderen Sphären ihre Selbständigkeit haben, das ist die monarchische. Es ist so ein erstes und ein zweites Königtum zu unterscheiden. – Dieser Gang ist ein notwendiger, so dass in ihm jedes Mal die bestimmte Verfassung eintreten muss, die nicht Sache der Wahl, sondern nur diejenige ist, welche gerade dem Geiste des Volks angemessen ist.
Bei einer Verfassung kommt es auf die Ausbildung des vernünftigen, d. i. des politischen Zustandes in sich an, auf die Freiwerdung der Momente des Begriffs, dass die besonderen Gewalten sich unterscheiden, sich für sich vervollständigen, aber ebenso in ihrer Freiheit zu einem Zweck zusammenarbeiten und von ihm gehalten werden, d. i. ein organisches Ganze bilden. So ist der Staat die vernünftige und sich objektiv wissende und für sich seiende Freiheit. Denn ihre Objektivität ist eben dies, dass ihre Momente nicht ideell, sondern in eigentümlicher Realität vorhanden sind und in ihrer sich auf sie selbst beziehenden Wirksamkeit schlechthin übergehen in die Wirksamkeit, wodurch das Ganze, die Seele, die individuelle Einheit hervorgebracht wird und Resultat ist.
Der Staat ist die geistige Idee in der Äußerlichkeit des menschlichen Willens und seiner Freiheit. In denselben fällt daher überhaupt wesentlich die Veränderung der Geschichte, und die Momente der Idee sind an demselben als verschiedene Prinzipien. Die Verfassungen, worin die welthistorischen Völker ihre Blüte erreicht haben, sind ihnen eigentümlich, also nicht eine allgemeine Grundlage, so dass die Verschiedenheit nur in bestimmter Weise der Ausbildung und Entwicklung bestände, sondern sie besteht in der Verschiedenheit der Prinzipien. Es ist daher in Ansehung der Vergleichung der Verfassungen der früheren welthistorischen Völker der Fall, dass sich für das letzte Prinzip der Verfassung, für das Prinzip unsrer Zeiten, sozusagen, nichts aus denselben lernen lässt. Mit Wissenschaft und Kunst ist das ganz anders; z. B. die Philosophie der Alten ist so die Grundlage der neueren, dass sie schlechthin in dieser enthalten sein muss und den Boden derselben ausmacht. Das Verhältnis erscheint hier als eine ununterbrochene Ausbildung desselben Gebäudes, dessen Grundstein, Mauern und Dach noch dieselben geblieben sind. In der Kunst ist sogar die griechische, so wie sie ist, selbst das höchste Muster. Aber in Ansehung der Verfassung ist es ganz anders, hier haben altes und neues das wesentliche Prinzip nicht gemein. Abstrakte Bestimmungen und Lehren von gerechter Regierung, dass Einsicht und Tugend die Herrschaft führen müsse, sind freilich gemeinschaftlich. Aber es ist nichts so ungeschickt, als für Verfassungseinrichtungen unsrer Zeit Beispiele von Griechen und Römern oder Orientalen aufnehmen zu wollen. Aus dem Orient lassen sich schöne Gemälde von patriarchalischem Zustande, väterlicher Regierung, von Ergebenheit der Völker hernehmen, von Griechen und Römern Schilderungen von Volksfreiheit. Denn bei diesen finden wir den Begriff von einer freien Verfassung so gefasst, dass alle Bürger Anteil an den Beratungen und Beschlüssen über die allgemeinen Angelegenheiten und Gesetze nehmen sollen. Auch in unsern Zeiten ist dies die allgemeine Meinung, nur mit der Modifikation, dass, weil unsre Staaten so groß, der vielen so viele seien, diese nicht direkt, sondern indirekt durch Stellvertreter ihren Willen zu dem Beschluss über die öffentlichen Angelegenheiten zu geben haben, das heißt, dass für die Gesetze überhaupt das Volk durch Abgeordnete repräsentiert werden solle. Die sogenannte Repräsentativverfassung ist die Bestimmung, an welche wir die Vorstellung einer freien Verfassung knüpfen, so dass dies festes Vorurteil geworden ist. Man trennt dabei Volk und Regierung. Es liegt aber eine Bosheit in diesem Gegensatze, der ein Kunstgriff des bösen Willens ist, als ob das Volk das Ganze wäre. Ferner liegt dieser Vorstellung das Prinzip der Einzelheit, der Absolutheit des subjektiven Willens zugrunde, von dem oben die Rede gewesen. – Die Hauptsache ist, dass die Freiheit, wie sie durch den Begriff bestimmt wird, nicht den subjektiven Willen und die Willkür zum Prinzip hat, sondern die Einsicht des allgemeinen Willens, und dass das System der Freiheit freie Entwicklung ihrer Momente ist. Der subjektive Wille ist eine ganz formelle Bestimmung, in der gar nicht liegt, was er will. Nur der vernünftige Wille ist dies Allgemeine, das sich in sich selbst bestimmt und entwickelt und seine Momente als organische Glieder auslegt. Von solchem gotischen Dombau haben die Alten nichts gewusst.
Wir haben früher die zwei Momente aufgestellt, das eine: die Idee der Freiheit als der absolute Endzweck, das andere: das Mittel derselben, die subjektive Seite des Wissens und des Wollens mit ihrer Lebendigkeit, Bewegung und Tätigkeit. Wir haben dann den Staat als das sittliche Ganze und die Realität der Freiheit und damit als die objektive Einheit dieser beiden Momente erkannt. Denn wenn wir auch für die Betrachtung beide Seiten unterscheiden, so ist wohl zu bemerken, dass sie genau zusammenhängen, und dass dieser Zusammenhang in jeder von beiden liegt, wenn wir sie einzeln untersuchen. Die Idee haben wir einerseits in ihrer Bestimmtheit erkannt, als die sich wissende und sich wollende Freiheit, die nur sich zum Zweck hat: Das ist zugleich der einfache Begriff der Vernunft und ebenso das, was wir Subjekt genannt haben, das Selbstbewusstsein, der in der Welt existierende Geist. Betrachten wir nun anderseits die Subjektivität, so finden wir, dass das subjektive Wissen und Wollen das Denken ist. Indem ich aber denkend weiß und will, will ich den allgemeinen Gegenstand, das Substantielle des an und für sich Vernünftigen. Wir sehen somit eine Vereinigung, die an sich ist, zwischen der objektiven Seite, dem Begriffe, und der subjektiven Seite. Die objektive Existenz dieser Vereinigung ist der Staat, welcher somit die Grundlage und der Mittelpunkt der andern konkreten Seiten des Volkslebens ist, der Kunst, des Rechts, der Sitten, der Religion, der Wissenschaft. Alles geistige Tun hat nur den Zweck, sich dieser Vereinigung bewusst zu werden, d. h. seiner Freiheit. Unter den Gestalten dieser gewussten Vereinigung steht die Religion an der Spitze. In ihr wird der existierende, der weltliche Geist sich des absoluten Geistes bewusst, und in diesem Bewusstsein des an und für sich seienden Wesens entsagt der Wille des Menschen seinem besonderen Interesse; er legt dieses auf die Seite in der Andacht, in welcher es ihm nicht mehr um Partikulares zu tun sein kann. Durch das Opfer drückt der Mensch aus, dass er seines Eigentums, seines Willens, seiner besonderen Empfindungen sich entäußere. Die religiöse Konzentration des Gemüts erscheint als Gefühl, jedoch tritt sie auch in das Nachdenken über: Der Kultus ist eine Äußerung des Nachdenkens. Die zweite Gestalt der Vereinigung des Objektiven und Subjektiven im Geiste ist die Kunst: sie tritt mehr in die Wirklichkeit und Sinnlichkeit als die Religion; in ihrer würdigsten Haltung hat sie darzustellen, zwar nicht den Geist Gottes, aber die Gestalt des Gottes; dann Göttliches und Geistiges überhaupt. Das Göttliche soll durch sie anschaulich werden, sie stellt es der Phantasie und der Anschauung dar. – Das Wahre gelangt aber nicht nur zur Vorstellung und zum Gefühl, wie in der Religion, und zur Anschauung wie in der Kunst, sondern auch zum denkenden Geist; dadurch erhalten wir die dritte Gestalt der Vereinigung, – die Philosophie. Diese ist insofern die höchste, freieste und weiseste Gestaltung. Wir können nicht die Absicht haben, diese drei Gestaltungen hier näher zu betrachten; sie haben nur genannt werden müssen, weil sie sich auf demselben Boden befinden, als der Gegenstand, den wir hier behandeln, – der Staat.
Das Allgemeine, das im Staate sich hervortut und gewusst wird, die Form, unter welche alles, was ist, gebracht wird, ist dasjenige überhaupt, was die Bildung einer Nation ausmacht. Der bestimmte Inhalt aber, der die Form der Allgemeinheit erhält und in der konkreten Wirklichkeit, welche der Staat ist, liegt, ist der Geist des Volkes selbst. Der wirkliche Staat ist beseelt von diesem Geist in allen seinen besonderen Angelegenheiten, Kriegen, Institutionen usf. Aber der Mensch muss auch wissen von diesem seinen Geist und Wesen selbst und sich das Bewusstsein der Einheit mit demselben, die ursprünglich ist, geben. Denn wir haben gesagt, dass das Sittliche die Einheit ist des subjektiven und allgemeinen Willens. Der Geist aber hat sich ein ausdrückliches Bewusstsein davon zu geben, und der Mittelpunkt dieses Wissens ist die Religion. Kunst und Wissenschaft sind nur verschiedene Seiten und Formen ebendesselben Inhalts. – Bei Betrachtung der Religion kommt es darauf an, ob sich das Wahre, die Idee nur in ihrer Trennung oder sie in ihrer wahren Einheit