Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte. Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Mittel für ihn wäre, als ob das Subjekt neben den andern Subjekten seine Freiheit so beschränkte, dass diese gemeinsame Beschränkung, das Genieren aller gegeneinander jedem einen kleinen Platz ließe, worin er sich ergehen könne; vielmehr sind Recht, Sittlichkeit, Staat, und nur sie, die positive Wirklichkeit und Befriedigung der Freiheit. Die Freiheit, welche beschränkt wird, ist die Willkür, die sich auf das Besondere der Bedürfnisse bezieht.
Der subjektive Wille, die Leidenschaft ist das Betätigende, Verwirklichende; die Idee ist das Innere; der Staat ist das vorhandene, wirklich sittliche Leben. Denn er ist die Einheit des allgemeinen, wesentlichen Wollens und des subjektiven, und das ist die Sittlichkeit. Das Individuum, das in dieser Einheit lebt, hat ein sittliches Leben, hat einen Wert, der allein in dieser Substantialität besteht. Antigone beim Sophokles sagt: Die göttlichen Gebote sind nicht von gestern, noch von heute, nein, sie leben ohne Ende, und niemand wüsste zu sagen, von wannen sie kamen. Die Gesetze der Sittlichkeit sind nicht zufällig, sondern das Vernünftige selbst. Dass nun das Substantielle im wirklichen Tun der Menschen und in ihrer Gesinnung gelte, vorhanden sei und sich selbst erhalte, das ist der Zweck des Staates. Es ist das absolute Interesse der Vernunft, dass dieses sittliche Ganze vorhanden sei; und hierin liegt das Recht und Verdienst der Heroen, welche Staaten, sie seien auch noch so unausgebildet gewesen, gegründet haben. In der Weltgeschichte kann nur von Völkern die Rede sein, welche einen Staat bilden. Denn man muss wissen, dass ein solcher die Realisation der Freiheit, d. i. des absoluten Endzwecks ist, dass er um sein selbst willen ist; man muss ferner wissen, dass allen Wert, den der Mensch hat, alle geistige Wirklichkeit, er allein durch den Staat hat. Denn seine geistige Wirklichkeit ist, dass ihm als Wissenden sein Wesen, das Vernünftige gegenständlich sei, dass es objektives, unmittelbares Dasein für ihn habe; so nur ist er Bewusstsein, so nur ist er in der Sitte, dem rechtlichen und sittlichen Staatsleben. Denn das Wahre ist die Einheit des allgemeinen und subjektiven Willens; und das Allgemeine ist im Staate in den Gesetzen, in allgemeinen und vernünftigen Bestimmungen. Der Staat ist die göttliche Idee, wie sie auf Erden vorhanden ist. Er ist so der näher bestimmte Gegenstand der Weltgeschichte überhaupt, worin die Freiheit ihre Objektivität erhält und in dem Genuss dieser Objektivität lebt. Denn das Gesetz ist die Objektivität des Geistes und der Wille in seiner Wahrheit; und nur der Wille, der dem Gesetze gehorcht, ist frei, denn er gehorcht sich selbst und ist bei sich selbst und frei. Indem der Staat, das Vaterland, eine Gemeinsamkeit des Daseins ausmacht, indem sich der subjektive Wille des Menschen den Gesetzen unterwirft, verschwindet der Gegensatz von Freiheit und Notwendigkeit. Notwendig ist das Vernünftige als das Substantielle, und frei sind wir, indem wir es als Gesetz anerkennen und ihm als der Substanz unsres eignen Wesens folgen: Der objektive und der subjektive Wille sind dann ausgesöhnt und ein und dasselbe ungetrübte Ganze. Denn die Sittlichkeit des Staates ist nicht die moralische, die reflektierte, wobei die eigne Überzeugung waltet; diese ist mehr der modernen Welt zugänglich, während die wahre und antike darin wurzelt, dass jeder in seiner Pflicht steht. Ein atheniensischer Bürger tat gleichsam aus Instinkt dasjenige, was ihm zukam; reflektiere ich aber über den Gegenstand meines Tuns, so muss ich das Bewusstsein haben, dass mein Wille hinzugekommen sei. Die Sittlichkeit aber ist die Pflicht, das substantielle Recht, die zweite Natur, wie man sie mit Recht genannt hat, denn die erste Natur des Menschen ist sein unmittelbares, tierisches Sein.
Die ausführliche Entwicklung des Staates ist in der Rechtsphilosophie zu geben; doch muss hier erinnert werden, dass in den Theorien unsrer Zeit mannigfaltige Irrtümer über denselben im Umlauf sind, welche für ausgemachte Wahrheiten gelten und zu Vorurteilen geworden sind; wir wollen nur wenige derselben anführen und vornehmlich solche, die in Beziehung auf den Zweck unsrer Geschichte stehen.
Was uns zuerst begegnet, ist das direkte Gegenteil unsres Begriffes, dass der Staat die Verwirklichung der Freiheit sei, die Ansicht nämlich, dass der Mensch von Natur frei sei, in der Gesellschaft aber und in dem Staate, worin er zugleich notwendig trete, diese natürliche Freiheit beschränken müsse. Dass der Mensch von Natur frei ist, ist in dem Sinne ganz richtig, dass er dies seinem Begriffe, aber eben damit nur seiner Bestimmung nach, das ist, nur an sich ist; die Natur eines Gegenstandes heißt allerdings so viel als sein Begriff. Aber zugleich wird damit auch die Weise verstanden und in jenen Begriff hineingenommen, wie der Mensch in seiner nur natürlichen unmittelbaren Existenz ist. In diesem Sinne wird ein Naturzustand überhaupt angenommen, in welchem der Mensch als in dem Besitze seiner natürlichen Rechte in der unbeschränkten Ausübung und in dem Genuss seiner Freiheit vorgestellt wird. Diese Annahme gilt nicht gerade dafür, dass sie etwas Geschichtliches sei, es würde auch, wenn man Ernst mit ihr machen wollte, schwer sein, solchen Zustand nachzuweisen, dass er in gegenwärtiger Zeit existiere oder in der Vergangenheit irgendwo existiert habe. Zustände der Wildheit kann man freilich nachweisen, aber sie zeigen sich mit den Leidenschaften der Rohheit und Gewalttaten verknüpft und selbst sogleich, wenn sie auch noch so unausgebildet sind, mit gesellschaftlichen, für die Freiheit sogenannten beschränkenden Einrichtungen verknüpft. Jene Annahme ist eines von solchen nebulosen Gebilden, wie die Theorie sie hervorbringt, eine aus ihr fließende notwendige Vorstellung, welcher sie dann auch eine Existenz unterschiebt, ohne sich jedoch hierüber auf geschichtliche Art zu rechtfertigen.
Wie wir solchen Naturzustand in der Existenz empirisch finden, so ist er auch seinem Begriffe nach. Die Freiheit als Idealität des Unmittelbaren und Natürlichen ist nicht als ein Unmittelbares und Natürliches, sondern muss vielmehr erworben und erst gewonnen werden, und zwar durch eine unendliche Vermittlung der Zucht des Wissens und des Wollens. Daher ist der Naturzustand vielmehr der Zustand des Unrechts, der Gewalt, des ungebändigten Naturtriebs unmenschlicher Taten und Empfindungen. Es findet allerdings Beschränkung durch die Gesellschaft und den Staat statt, aber eine Beschränkung jener stumpfen Empfindungen und rohen Triebe, wie weiterhin auch des reflektierten Beliebens der Willkür und Leidenschaft. Dieses Beschränken fällt in die Vermittlung, durch welche das Bewusstsein und das Wollen der Freiheit, wie sie wahrhaft, d. i. vernünftig und ihrem Begriffe nach ist, erst hervorgebracht wird. Nach ihrem Begriffe gehört ihr das Recht und die Sittlichkeit an, und diese sind an und für sich allgemeine Wesenheiten, Gegenstände und Zwecke, welche nur von der Tätigkeit des von der Sinnlichkeit sich unterscheidenden und ihr gegenüber sich entwickelnden Denkens gefunden und wieder dem zunächst sinnlichen Willen, und zwar gegen ihn selbst eingebildet und einverleibt werden müssen. Das ist der ewige Missverstand der Freiheit, sie nur in formellem, subjektivem Sinne zu wissen, abstrahiert von ihren wesentlichen Gegenständen und Zwecken; so wird die Beschränkung des Triebes, der Begierde, der Leidenschaft, welche nur dem partikularen Individuum als solchem ungehörig ist, der Willkür und des Beliebens für eine Beschränkung der Freiheit genommen. Vielmehr ist solche Beschränkung schlechthin die Bedingung, aus welcher die Befreiung hervorgeht, und Gesellschaft und Staat sind die Zustände, in welchen die Freiheit vielmehr verwirklicht wird.
Zweitens ist eine andere Vorstellung zu erwähnen, welche gegen die Ausbildung überhaupt des Rechts zur gesetzlichen Form geht. Der patriarchalische Zustand wird entweder für das Ganze oder wenigstens für einige einzelne Zweige als das Verhältnis angesehen, in welchem mit dem Rechtlichen zugleich das sittliche und gemütliche Element seine Befriedigung finde und die Gerechtigkeit selbst nur in Verbindung mit diesen auch ihrem Inhalte nach wahrhaft ausgeübt werde. Dem patriarchalischen Zustande liegt das Familienverhältnis zugrunde, welches die allererste Sittlichkeit, zu der der Staat als die zweite kommt, mit Bewusstsein entwickelt. Das patriarchalische Verhältnis ist der Zustand eines Übergangs, in welchem die Familie bereits zu einem Stamme oder Volke gediehen und das Band daher bereits aufgehört hat, nur ein Band der Liebe und des Zutrauens zu sein, und zu einem Zusammenhange des Dienstes geworden ist. Es ist hier zunächst von der Familiensittlichkeit zu sprechen. Die Familie ist nur eine Person, die Mitglieder derselben haben ihre Persönlichkeit (damit das Rechtsverhältnis, wie auch die ferneren partikularen Interessen und Selbstsüchtigkeiten) entweder gegeneinander aufgegeben (die Eltern) oder dieselbe noch nicht erreicht (die Kinder, die zunächst in dem vorhin angeführten Naturzustande sind). Sie sind damit in einer Einheit des Gefühls, der Liebe, dem Zutrauen, Glauben gegeneinander; in der Liebe hat ein Individuum das Bewusstsein seiner in dem Bewusstsein des andern, ist sich entäußert, und in dieser gegenseitigen Entäußerung hat es sich (ebenso sehr das andere wie sich selbst als mit dem andern eines) gewonnen. Die weiteren Interessen der Bedürfnisse, der äußeren Angelegenheiten des Lebens, wie die Ausbildung innerhalb ihrer selbst, in Ansehung der