Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte. Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Gesinnung für den allgemeinen Zweck, bei dessen Gelegenheit es sich um jenen abmüht, oder gar, indem es das Allgemeine aufopfert; aber wer tätig für eine Sache ist, der ist nicht nur interessiert überhaupt, sondern interessiert dabei. Die Sprache drückt diesen Unterschied richtig aus. Es geschieht daher nichts, wird nichts vollbracht, ohne dass die Individuen, die dabei tätig sind, auch sich befriedigen; sie sind partikulare Menschen, das heißt, sie haben besondere, ihnen eigentümliche Bedürfnisse, Triebe, Interessen überhaupt: unter diesen Bedürfnissen ist nicht nur das des eignen Bedürfnisses und Willens, sondern auch der eignen Einsicht, Überzeugung, oder wenigstens des Dafürhaltens der Meinung, wenn anders schon das Bedürfnis des Räsonnements, des Verstandes, der Vernunft erwacht ist. Dann verlangen die Menschen auch, wenn sie für eine Sache tätig sein sollen, dass die Sache ihnen überhaupt zusage, dass sie mit ihrer Meinung, es sei von der Güte derselben, ihrem Rechte, Vorteil, ihrer Nützlichkeit, dabei sein können. Dies ist besonders ein wesentliches Moment unsrer Zeit, wo die Menschen wenig mehr durch Zutrauen und Autorität zu etwas herbeigezogen werden, sondern mit ihrem eignen Verstande, selbständiger Überzeugung und Dafürhalten den Anteil ihrer Tätigkeit einer Sache widmen wollen.
So sagen wir also, dass überhaupt nichts ohne das Interesse derer, welche durch ihre Tätigkeit mitwirkten, zustande gekommen ist, und indem wir ein Interesse eine Leidenschaft nennen, insofern die ganze Individualität mit Hintenansetzung aller andern Interessen und Zwecke, die man auch hat und haben kann, mit allen ihr innewohnenden Adern von Wollen sich in einen Gegenstand legt, in diesen Zweck alle ihre Bedürfnisse und Kräfte konzentriert, so müssen wir überhaupt sagen, dass nichts Großes in der Welt ohne Leidenschaft vollbracht worden ist. Es sind zwei Momente, die in unsern Gegenstand eintreten; das eine ist die Idee, das andere sind die menschlichen Leidenschaften; das eine ist der Zettel, das andere der Einschlag des großen Teppichs der vor uns ausgebreiteten Weltgeschichte. Die konkrete Mitte und Vereinigung beider ist die sittliche Freiheit im Staate. Von der Idee der Freiheit als der Natur des Geistes und dem absoluten Endzweck der Geschichte ist die Rede gewesen. Leidenschaft wird als etwas angesehen, das nicht recht ist, das mehr oder weniger schlecht ist: Der Mensch soll keine Leidenschaften haben. Leidenschaft ist auch nicht ganz das passende Wort für das, was ich hier ausdrücken will. Ich verstehe hier nämlich überhaupt die Tätigkeit des Menschen aus partikularen Interessen, aus speziellen Zwecken, oder wenn man will, selbstsüchtigen Absichten, und zwar so, dass sie in diese Zwecke die ganze Energie ihres Wollens und Charakters legen, ihnen anderes, das auch Zweck sein kann, oder vielmehr alles andere aufopfern. Dieser partikulare Inhalt ist so eins mit dem Willen des Menschen, dass er die ganze Bestimmtheit desselben ausmacht und untrennbar von ihm ist; er ist dadurch das, was er ist. Denn das Individuum ist ein solches, das da ist, nicht Mensch überhaupt, denn der existiert nicht, sondern ein bestimmter. Charakter drückt gleichfalls diese Bestimmtheit des Willens und der Intelligenz aus. Aber Charakter begreift überhaupt alle Partikularitäten in sich, die Weise des Benehmens in Privatverhältnissen usf., und ist nicht diese Bestimmtheit als in Wirksamkeit und Tätigkeit gesetzt. Ich werde also Leidenschaft sagen und somit die partikulare Bestimmtheit des Charakters verstehen, insofern diese Bestimmtheiten des Wollens nicht einen privaten Inhalt nur haben, sondern das Treibende und Wirkende allgemeiner Taten sind. Leidenschaft ist zunächst die subjektive, insofern formelle Seite der Energie, des Willens und der Tätigkeit, wobei der Inhalt oder Zweck noch unbestimmt bleibt; ebenso ist es bei dem eignen Überzeugtsein, bei der eignen Einsicht und bei dem eignen Gewissen. Es kommt immer darauf an, welchen Inhalt meine Überzeugung hat, welchen Zweck meine Leidenschaft, ob der eine oder der andere wahrhafter Natur ist. Aber umgekehrt, wenn er dies ist, so gehört dazu, dass er in die Existenz trete, wirklich sei.
Aus dieser Erläuterung über das zweite wesentliche Moment geschichtlicher Wirklichkeit eines Zwecks überhaupt geht hervor, indem wir im Vorbeigehen Rücksicht auf den Staat nehmen, dass nach dieser Seite ein Staat wohlbestellt und kraftvoll in sich selbst ist, wenn mit seinem allgemeinen Zwecke das Privatinteresse der Bürger bereinigt, eins in dem andern seine Befriedigung und Verwirklichung findet, – ein für sich höchst wichtiger Satz. Aber im Staate bedarf es vieler Veranstaltungen, Erfindungen, von zweckgemäßen Einrichtungen, und zwar von langen Kämpfen des Verstandes begleitet, bis er zum Bewusstsein bringt, was das Zweckgemäße sei, sowie Kämpfe mit dem partikularen Interesse und den Leidenschaften, eine schwere und langwierige Zucht derselben, bis jene Vereinigung zustande gebracht wird. Der Zeitpunkt solcher Vereinigung macht die Periode seiner Blüte, seiner Tugend, seiner Kraft und seines Glückes aus. Aber die Weltgeschichte beginnt nicht mit irgendeinem bewussten Zwecke, wie bei den besonderen Kreisen der Menschen. Der einfache Trieb des Zusammenlebens derselben hat schon den bewussten Zweck der Sicherung ihres Lebens und Eigentums, und indem dieses Zusammenleben zustande gekommen ist, erweitert sich dieser Zweck. Die Weltgeschichte fängt mit ihrem allgemeinen Zwecke, dass der Begriff des Geistes befriedigt werde, nur an sich an, das heißt, als Natur: er ist der innere, der innerste bewusste Trieb, und das ganze Geschäft der Weltgeschichte ist, wie schon überhaupt erinnert, die Arbeit ihn zum Bewusstsein zu bringen. So in Gestalt des Naturwesens, des Naturwillens auftretend, ist das, was die subjektive Seite genannt worden ist, das Bedürfnis, der Trieb, die Leidenschaft, das partikulare Interesse, wie die Meinung und subjektive Vorstellung sogleich für sich selbst vorhanden. Diese unermessliche Masse von Wollen, Interessen und Tätigkeiten sind die Werkzeuge und Mittel des Weltgeistes, seinen Zweck zu vollbringen, ihn zum Bewusstsein zu erheben und zu verwirklichen; und dieser ist nur, sich zu finden, zu sich selbst zu kommen und sich als Wirklichkeit anzuschauen. Dass aber jene Lebendigkeiten der Individuen und der Völker, indem sie das Ihrige suchen und befriedigen, zugleich die Mittel und Werkzeuge eines Höheren und Weiteren sind, von dem sie nichts wissen, das sie bewusstlos vollbringen, das ist es, was zur Frage gemacht werden könnte, auch gemacht worden, und was ebenso vielfältig geleugnet wie als Träumerei und Philosophie verschrieen und verachtet worden ist. Darüber aber habe ich gleich von Anfang an mich erklärt und unsre Voraussetzung (die sich aber am Ende erst als Resultat ergeben sollte) und unsern Glauben behauptet, dass die Vernunft die Welt regiert und so auch die Weltgeschichte regiert hat. Gegen dieses an und für sich Allgemeine und Substantielle ist alles andere untergeordnet, ihm dienend und Mittel für dasselbe. Aber ferner ist diese Vernunft immanent in dem geschichtlichen Dasein und vollbringt sich in demselben und durch dasselbe. Die Vereinigung des Allgemeinen, an und für sich Seienden überhaupt und des Einzelnen, des Subjektiven, dass sie allein die Wahrheit sei, dies ist spekulativer Natur und wird in dieser allgemeinen Form in der Logik abgehandelt. Aber im Gange der Weltgeschichte selbst, als noch im Fortschreiten begriffenen Gange, ist der reine letzte Zweck der Geschichte noch nicht der Inhalt des Bedürfnisses und Interesses, und indem dieses bewusstlos darüber ist, ist das Allgemeine dennoch in den besonderen Zwecken und vollbringt sich durch dieselben. Jene Frage nimmt auch die Form an, von der Vereinigung der Freiheit und Notwendigkeit, indem wir den inneren, an und für sich seienden Gang des Geistes als das Notwendige betrachten, dagegen das, was im bewussten Willen der Menschen als ihr Interesse erscheint, der Freiheit zuschreiben. Da der metaphysische Zusammenhang, d. i. der Zusammenhang im Begriff, dieser Bestimmungen in die Logik gehört, so können wir ihn hier nicht auseinanderlegen. Nur die Hauptmomente, auf die es ankommt, sind zu erwähnen.
In der Philosophie wird gezeigt, dass die Idee zum unendlichen Gegensatze fortgeht. Dieser ist der, von der Idee in ihrer freien allgemeinen Weise, worin sie bei sich bleibt, und von ihr als rein abstrakter Reflexion in sich, welche formelles Fürsichsein ist, Ich, die formelle Freiheit, die nur dem Geiste zukommt. Die allgemeine Idee ist so als substantielle Fülle einerseits und als das Abstrakte der freien Willkür anderseits. Diese Reflexion in sich ist das einzelne Selbstbewusstsein, das andere gegen die Idee überhaupt, und damit in absoluter Endlichkeit. Dieses andere ist eben damit die Endlichkeit, die Bestimmtheit, für das allgemeine Absolute: es ist die Seite seines Daseins, der Boden seiner formellen Realität und der Boden der Ehre Gottes. – Den absoluten Zusammenhang dieses Gegensatzes zu fassen, ist die tiefe Aufgabe der Metaphysik. Ferner ist mit dieser Endlichkeit überhaupt alle Partikularität gesetzt. Der formelle Wille will sich, dieses Ich soll in allem sein, was er bezweckt und tut. Auch das fromme Individuum will gerettet und selig sein. Dieses Extrem für sich existierend im Unterschied von dem absoluten, allgemeinen Wesen ist ein besonderes, weiß die Besonderheit und will dieselbe; es ist überhaupt auf dem Standpunkt der Erscheinung. Hierher fallen die besonderen Zwecke, indem die Individuen sich in ihre Partikularität legen, sie ausfüllen und verwirklichen.