Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte. Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte - Georg Wilhelm Friedrich Hegel


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die erste Bedingung könnten wir somit aussprechen, dass wir das Historische getreu auffassen; allein in solchen allgemeinen Ausdrücken, wie treu und auffassen, liegt die Zweideutigkeit. Auch der gewöhnliche und mittelmäßige Geschichtsschreiber, der etwa meint und vorgibt, er verhalte sich nur aufnehmend, nur dem Gegebenen sich hingebend, ist nicht passiv mit seinem Denken und bringt seine Kategorien mit und sieht durch sie das Vorhandene; bei allem insbesondere, was wissenschaftlich sein soll, darf die Vernunft nicht schlafen, und muss Nachdenken angewandt werden; wer die Welt vernünftig ansieht, den sieht sie auch vernünftig an, beides ist in Wechselbestimmung. Aber die unterschiedenen Weisen des Nachdenkens, der Gesichtspunkte, der Beurteilung schon über bloße Wichtigkeit und Unwichtigkeit der Tatsachen, welches die am nächsten liegende Kategorie ist, gehören nicht hierher.

       Nur an zwei Formen und Gesichtspunkte über die allgemeine Überzeugung, dass Vernunft in der Welt und ebenso in der Weltgeschichte geherrscht habe und herrsche, will ich erinnern, weil sie uns zugleich Veranlassung geben, den Hauptpunkt, der die Schwierigkeit ausmacht, näher zu berühren und auf das hindeuten, was wir weiter zu erwähnen haben.

      Das eine ist das Geschichtliche, dass der Grieche

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      Anaxagoras zuerst gesagt hat, der νοῦς, der Verstand überhaupt, oder die Vernunft, regiere die Welt, – nicht eine Intelligenz als selbstbewusste Vernunft, – nicht ein Geist als solcher –, beides müssen wir sehr wohl voneinander unterscheiden. Die Bewegung des Sonnensystems erfolgt nach unveränderlichen Gesetzen: diese Gesetze sind die Vernunft desselben, aber weder die Sonne noch die Planeten, die in diesen Gesetzen um sie kreisen, haben ein Bewusstsein darüber. So ein Gedanke, dass Vernunft in der Natur ist, dass sie von allgemeinen Gesetzen unabänderlich regiert wird, frappiert uns nicht, wir sind dergleichen gewohnt und machen nicht viel daraus: ich habe auch darum jenes geschichtlichen Umstandes erwähnt, um bemerklich zu machen, dass die Geschichte lehrt, dass dergleichen, was uns trivial scheinen kann, nicht immer in der Welt gewesen, dass solcher Gedanke vielmehr Epoche in der Geschichte des menschlichen Geistes macht.

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       Aristoteles sagt von Anaxagoras als vom Urheber jenes Gedankens, er sei wie ein Nüchterner unter Trunkenen erschienen. Von Anaxagoras hat Sokrates diesen Gedanken aufgenommen, und er ist zunächst in der Philosophie mit Ausnahme Epikurs, der dem Zufall alle Ereignisse zuschrieb, der herrschende geworden. „Ich freute mich desselben“, lässt Plato ihn sagen, „und hoffte einen Lehrer gefunden zu haben, der mir die Natur nach der Vernunft auslegen, in dem Besonderen seinen besonderen Zweck, in dem Ganzen den allgemeinen Zweck aufzeigen würde, ich hätte diese Hoffnung um vieles nicht aufgegeben. Aber wie sehr wurde ich getäuscht, als ich nun die Schriften des Anaxagoras selbst eifrig vornahm und fand, dass er nur äußerliche Ursachen, als Luft, Äther, Wasser und dergleichen, statt der Vernunft aufführt.“ Man sieht, das Ungenügende, welches Sokrates an dem Prinzip des Anaxagoras fand, betrifft nicht das Prinzip selbst, sondern den Mangel an Anwendung desselben auf die konkrete Natur, dass diese nicht aus jenem Prinzip verstanden, begriffen ist, dass überhaupt jenes Prinzip abstrakt gehalten blieb, dass die Natur nicht als eine Entwicklung desselben, nicht als eine aus der Vernunft hervorgebrachte Organisation gefasst ist. Ich mache auf diesen Unterschied hier gleich von Anfang an aufmerksam, ob eine Bestimmung, ein Grundsatz, eine Wahrheit nur abstrakt festgehalten oder aber zur näheren Determination und zur konkreten Entwicklung fortgegangen wird. Dieser Unterschied ist durchgreifend, und unter anderem werden wir vornehmlich auf diesen Umstand am Schlusse unsrer Weltgeschichte in dem Erfassen des neuesten politischen Zustandes zurückkommen.

       Das Weitere ist, dass diese Erscheinung des Gedankens, dass die Vernunft die Welt regiere, mit einer weiteren Anwendung zusammenhängt, die uns wohl bekannt ist, – in der Form der religiösen Wahrheit nämlich, dass die Welt nicht dem Zufall und äußerlichen zufälligen Ursachen preisgegeben sei, sondern eine Vorsehung die Welt regiere. Ich erklärte vorhin, dass ich nicht auf Ihren Glauben an das angegebene Prinzip Anspruch machen wolle, jedoch an den Glauben daran, in dieser religiösen Form, dürfte ich appellieren, wenn überhaupt die Eigentümlichkeit der Wissenschaft der Philosophie es zuließe, dass Voraussetzungen gelten, oder von einer andern Seite gesprochen, weil die Wissenschaft, welche wir abhandeln wollen, selbst erst den Beweis, obzwar nicht der Wahrheit, aber der Richtigkeit jenes Grundsatzes geben soll. Die Wahrheit nun, dass eine, und zwar die göttliche Vorsehung den Begebenheiten der Welt vorstehe, entspricht dem angegebenen Prinzipe, denn die göttliche Vorsehung ist die Weisheit nach unendlicher Macht, welche ihre Zwecke, das ist, den absoluten, vernünftigen Endzweck der Welt verwirklicht: die Vernunft ist das ganz frei sich selbst bestimmende Denken. Aber weiterhin tut sich nun auch die Verschiedenheit, ja der Gegensatz dieses Glaubens und unsres Prinzips gerade auf dieselbe Weise hervor wie die Forderung des Sokrates bei dem Grundsatze des Anaxagoras. Jener Glaube ist nämlich gleichfalls unbestimmt, ist, was man Glaube an die Vorsehung überhaupt nennt, und geht nicht zum Bestimmten, zur Anwendung auf das Ganze, auf den umfassenden Verlauf der Weltgeschichte fort. Die Geschichte erklären aber heißt, die Leidenschaften des Menschen, ihr Genie, ihre wirkenden Kräfte enthüllen, und diese Bestimmtheit der Vorsehung nennt man gewöhnlich ihren Plan. Dieser Plan aber ist es, welcher vor unsern Augen verborgen sein soll, ja welchen es Vermessenheit sein soll, erkennen zu wollen. Die Unwissenheit des Anaxagoras darüber, wie der Verstand sich in der Wirklichkeit offenbare, war unbefangen; das Bewusstsein des Gedankens war in ihm, und überhaupt in Griechenland, noch nicht weiter gekommen; er vermochte noch nicht sein allgemeines Prinzip auf das Konkrete anzuwenden, dieses aus jenem zu erkennen, denn Sokrates hat erst einen Schritt darin, die Vereinigung des Konkreten mit dem Allgemeinen zu erfassen, getan. Anaxagoras war somit nicht polemisch gegen solche Anwendung; jener Glaube an die Vorsehung aber ist es wenigstens gegen die Anwendung im Großen oder gegen die Erkenntnis des Plans der Vorsehung. Denn im Besondern lässt man es hie und da wohl gelten, wenn fromme Gemüter in einzelnen Vorfallenheiten nicht bloß Zufälliges, sondern Gottes Schickungen erkennen, wenn z. B. einem Individuum in großer Verlegenheit und Not unerwartet eine Hilfe gekommen ist, aber diese Zwecke selbst sind beschränkter Art, sind nur die besonderen Zwecke dieses Individuums. Wir haben es aber in der Weltgeschichte mit Individuen zu tun, welche Völker, mit Ganzen, welche Staaten sind, wir können also nicht bei jener, sozusagen, Kleinkrämerei des Glaubens an die Vorsehung stehen bleiben und ebenso wenig bei dem bloß abstrakten, unbestimmten Glauben, der nur zu dem Allgemeinen, dass es eine Vorsehung gebe, fortgehen will, aber nicht zu den bestimmteren Taten derselben. Wir haben vielmehr Ernst damit zu machen, die Wege der Vorsehung, die Mittel und Erscheinungen in der Geschichte zu erkennen, und wir haben diese auf jenes allgemeine Prinzip zu beziehen. Aber ich habe mit der Erwähnung der Erkenntnis des Plans der göttlichen Vorsehung überhaupt an eine in unsern Zeiten an Wichtigkeit obenan stehende Frage erinnert, an die nämlich, über die Möglichkeit Gott zu erkennen, oder vielmehr, indem es aufgehört hat eine Frage zu sein, an die zum Vorurteil gewordene Lehre, dass es unmöglich sei, Gott zu erkennen. Dem geradezu entgegengesetzt, was in der Heiligen Schrift als höchste Pflicht geboten wird, nicht bloß Gott zu lieben, sondern auch zu erkennen, herrscht jetzt das Geleugne dessen vor, was ebendaselbst gesagt ist, dass der Geist es sei, der in die Wahrheit einführe, dass er alle Dinge erkenne, selbst die Tiefen der Gottheit durchdringe. Indem man das göttliche Wesen jenseits unsrer Erkenntnis und der menschlichen Dinge überhaupt stellt, so erlangt man damit die Bequemlichkeit, sich in seinen eignen Vorstellungen zu ergehen. Man ist davon befreit, seiner Erkenntnis eine Beziehung auf das Göttliche und Wahre zu geben; im Gegenteil hat dann die Eitelkeit derselben und das subjektive Gefühl für sich vollkommene Berechtigung; und die fromme Demut, indem sie sich die Erkenntnis Gottes vom Leibe hält, weiß sehr wohl, was sie für ihre Willkür und eitles Treiben damit gewinnt. Ich habe deshalb die Erwähnung, dass unser Satz, die Vernunft regiere die Welt und habe sie regiert, mit der Frage von der Möglichkeit der Erkenntnis Gottes zusammenhängt, nicht unterlassen wollen, um nicht den Verdacht zu vermeiden, als ob die Philosophie sich scheue oder zu scheuen habe, an die religiösen Wahrheiten zu erinnern, und denselben aus dem Wege ginge, und zwar, weil sie gegen dieselben, sozusagen, kein gutes Gewissen habe. Vielmehr ist es in neueren Zeiten so weit gekommen, dass die Philosophie sich des religiösen Inhalts gegen manche Art von Theologie anzunehmen hat. In


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