Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte. Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte - Georg Wilhelm Friedrich Hegel


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Betrachten wir den Geist nach dieser Seite, dass seine Veränderungen nicht bloß Übergänge als Verjüngungen, d. h. Rückgänge zu derselben Gestalt sind, sondern vielmehr Verarbeitungen seiner selbst, durch welche er den Stoff für seine Versuche vervielfältigt, so sehen wir ihn nach einer Menge von Seiten und Richtungen hin sich versuchen, sich ergehen und genießen, in einer Menge, die unerschöpflich ist, weil jede seiner Schöpfungen, in der er sich befriedigt hat, ihm von neuem als Stoff gegenübertritt und eine neue Anforderung der Verarbeitung ist. Der abstrakte Gedanke bloßer Veränderung verwandelt sich in den Gedanken des seine Kräfte nach allen Seiten seiner Fülle kundgebenden, entwickelnden und ausbildenden Geistes. Welche Kräfte er in sich besitze, erfahren wir aus der Mannigfaltigkeit seiner Produkte und Bildungen. Er hat es in dieser Lust seiner Tätigkeit nur mit sich zu tun. Zwar verwickelt mit der Naturbedingung, der inneren und äußeren, wird er an ihr nicht nur Widerstand und Hindernisse antreffen, sondern durch sie auch seine Versuche oft misslingen sehen und den Verwicklungen, in die er durch sie oder durch sich versetzt wird, oft unterliegen. Aber er geht so in seinem Berufe und in seiner Wirksamkeit unter und gewährt auch so noch das Schauspiel, als geistige Tätigkeit sich bewiesen zu haben.

      Der Geist handelt wesentlich, er macht sich zudem, was er an sich ist, zu seiner Tat, zu seinem Werk; so wird er sich Gegenstand, so hat er sich als ein Dasein vor sich. So der Geist eines Volkes: Er ist ein bestimmter Geist, der sich zu einer vorhandenen Welt erbaut, die jetzt steht und besteht, in seiner Religion, in seinem Kultus, in seinen Gebräuchen, seiner Verfassung und seinen politischen Gesetzen, im ganzen Umfang seiner Einrichtungen, in seinen Begebenheiten und Taten. Das ist sein Werk, – das ist dies Volk. Was ihre Taten sind, das sind die Völker. Ein jeder Engländer wird sagen: Wir sind die, welche den Ozean beschiffen und den Welthandel besitzen, denen Ostindien gehört und seine Reichtümer, welche Parlament und Geschworenengerichte haben usf. – Das Verhältnis des Individuums dazu ist, dass es sich dieses substantielle Sein aneigne, dass dieses seine Sinnesart und Geschicklichkeit werde, auf dass es etwas sei. Denn es findet das Sein des Volkes als eine bereits fertige, feste Welt vor sich, der es sich einzuverleiben hat. In diesem seinem Werke, seiner Welt genießt sich nun der Geist des Volkes und ist befriedigt.

       Das Volk ist sittlich, tugendhaft, kräftig, indem es das hervorbringt, was es will, und es verteidigt sein Werk gegen äußere Gewalt in der Arbeit seiner Objektivierung. Der Zwiespalt dessen, was es an sich ist, subjektiv, in seinem inneren Zweck und Wesen, und was es wirklich ist, ist gehoben; es ist bei sich, es hat sich gegenständlich vor sich. Aber so ist diese Tätigkeit des Geistes nicht mehr nötig, er hat, was er will. Das Volk kann noch viel tun in Krieg und Frieden, im Innern und Äußern, aber es ist gleichsam die lebendige, substantielle Seele selbst nicht mehr in Tätigkeit. Das gründliche, höchste Interesse hat sich darum aus dem Leben verloren; denn Interesse ist nur vorhanden, wo Gegensatz ist. Das Volk lebt so, wie das vom Manne zum Greisenalter übergehende Individuum, im Genuss seiner selbst, das gerade zu sein, was es wollte und erreichen konnte. Wenn seine Einbildung auch darüber hinausging, so hat es dieselbe als Zweck aufgegeben, wenn die Wirklichkeit sich nicht dazu darbot, und den Zweck nach dieser beschränkt. Diese Gewohnheit (die Uhr ist aufgezogen und geht von selbst fort) ist, was den natürlichen Tod herbeiführt. Die Gewohnheit ist ein gegensatzloses Tun, dem nur die formelle Dauer übrig sein kann, und in dem die Fülle und Tiefe des Zwecks nicht mehr zur Sprache zu kommen braucht, – eine gleichsam äußerliche, sinnliche Existenz, die sich nicht mehr in die Sache vertieft. So sterben Individuen, so sterben Völker eines natürlichen Todes; wenn letztere auch fortdauern, so ist es eine interesselose, unlebendige Existenz, die ohne das Bedürfnis ihrer Institutionen ist, eben weil das Bedürfnis befriedigt ist, – eine politische Nullität und Langeweile. Wenn ein wahrhaft allgemeines Interesse entstehen sollte, so müsste der Geist eines Volkes dazu kommen, etwas Neues zu wollen, – aber woher dieses Neue? Es wäre eine höhere, allgemeinere Vorstellung seiner selbst, ein Hinausgegangensein über sein Prinzip, – aber eben damit ist ein weiter bestimmtes Prinzip, ein neuer Geist vorhanden.

       Ein solches Neues kommt dann allerdings auch in den Geist eines Volkes, der zu seiner Vollendung und Verwirklichung gekommen ist. Er stirbt nicht bloß natürlichen Todes, denn er ist nicht bloß einzelnes Individuum, sondern geistiges, allgemeines Leben, an ihm erscheint vielmehr der natürliche Tod als Tötung seiner durch sich selbst. Der Grund, warum dies verschieden ist vom einzelnen, natürlichen Individuum, ist, weil der Volksgeist als eine Gattung existiert, daher das Negative seiner in ihm selbst, in seiner Allgemeinheit zur Existenz kommt. Gewaltsamen Todes kann ein Volk nur sterben, wenn es natürlich tot in sich geworden, wie z. B. die deutschen Reichsstädte, die deutsche Reichsverfassung.

      Der allgemeine Geist stirbt überhaupt nicht bloß natürlichen Todes, er geht nicht nur in die Gewohnheit seines Lebens ein, sondern insofern er ein Volksgeist ist, welcher der Weltgeschichte angehört, so kommt er auch dazu, zu wissen, was sein Werk ist, und dazu, sich zu denken. Er ist überhaupt nur welthistorisch, insofern in seinem Grundelemente, in seinem Grundzweck ein allgemeines Prinzip gelegen hat; nur insofern ist das Werk, welches ein solcher Geist hervorbringt, eine sittliche, politische Organisation. Sind es Begierden, welche Völker zu Handlungen treiben, so gehen solche Taten spurlos vorüber, oder ihre Spuren sind vielmehr nur Verderben und Zerstörung. So hat zuerst Kronos, die Zeit geherrscht, – das goldene Zeitalter, ohne sittliche Werke, und was erzeugt worden ist, die Kinder dieser Zeit, sind von ihr selbst aufgezehrt worden. Erst Jupiter, der aus seinem Haupt die Minerva geboren, und zu dessen Kreise Apollo nebst den Musen gehört, hat die Zeit bezwungen und ihrem Vergehen ein Ziel gesetzt. Er ist der politische Gott, der ein sittliches Werk, den Staat, hervorgebracht hat.

      Im Elemente eines Werks ist selbst die Bestimmung der Allgemeinheit, des Denkens enthalten; ohne den Gedanken hat es keine Objektivität, er ist die Basis. Der höchste Punkt der Bildung eines Volkes ist nun dieser, auch den Gedanken seines Lebens und Zustandes, die Wissenschaft seiner Gesetze, seines Rechts und Sittlichkeit zu fassen; denn in dieser Einheit liegt die innerste Einheit, in der der Geist mit sich sein kann. Es ist ihm in seinem Werke darum zu tun, sich als Gegenstand zu haben; sich aber als Gegenstand in seiner Wesenhaftigkeit hat der Geist nur, indem er sich denkt.

       Auf diesem Punkt weiß also der Geist seine Grundsätze, das Allgemeine seiner Handlungen. Dieses Werk des Denkens aber ist als das Allgemeine verschieden zugleich der Form nach von dem wirklichen Werk und von dem wirksamen Leben, wodurch dieses Wert zustande gekommen. Es gibt jetzt ein reales Dasein und ein ideales. Wenn wir die allgemeine Vorstellung und den Gedanken dessen, was die Griechen gewesen sind, gewinnen wollen, so finden wir dies im Sophokles und Aristophanes, im Thukydides und Plato. In diesen Individuen hat der griechische Geist sich selbst vorstellend und denkend gefasst. Dies ist die tiefere Befriedigung; aber sie ist zugleich ideell und unterschieden von der reellen Wirksamkeit.

      Wir sehen darum notwendig in solcher Zeit ein Volk eine Befriedigung in der Vorstellung von der Tugend finden, und das Gerede von der Tugend sich teils neben die wirkliche Tugend, teils aber auch an die Stelle von deren Wirklichkeit setzen. Der einfache, allgemeine Gedanke weiß aber, weil er das Allgemeine ist, das Besondre und Unreflektierte, – den Glauben, das Zutrauen, die Sitte –, zur Reflexion über sich und über seine Unmittelbarkeit zu bringen und zeigt dasselbe dem Inhalte nach in seiner Beschränktheit auf, indem er teils Gründe an die Hand gibt, sich von den Pflichten loszusagen, teils überhaupt nach Gründen und nach dem Zusammenhang mit dem allgemeinen Gedanken fragt und solchen nicht findend die Pflicht überhaupt als unbegründet wankend zu machen sucht.

      Damit tritt zugleich die Isolierung der Individuen voneinander und vom Ganzen ein, die einbrechende Eigensucht derselben und Eitelkeit, das Suchen des eignen Vorteils und Befriedigung desselben auf Kosten des Ganzen: nämlich jenes sich absondernde Innere ist auch in der Form der Subjektivität, – die Eigensucht und das Verderben in den losgebundenen Leidenschaften und eignen Interessen der Menschen.

       So ist denn auch Zeus, der dem Verschlingen der Zeit ein Ziel gesetzt und dies Vorübergehen sistiert hat, indem er ein in sich Festes begründet hat, – Zeus und sein Geschlecht selbst verschlungen worden, und zwar ebenso von dem Erzeugenden, nämlich dem Prinzipe des Gedankens, der Erkenntnis, des Räsonnements, der Einsicht aus Gründen und der Forderung von Gründen.

      Die Zeit ist das Negative im Sinnlichen: Der Gedanke ist dieselbe Negativität, aber die innerste, die unendliche Form selbst, in welcher daher


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