Feinde des Lebens. Johannes Anders
korrekt“, meldete Gael, noch ehe sie jemand danach gefragt hatte.
„Was ist nur geschehen?“, wunderte sich Zaya.
„Vielleicht ein Kartierungsfehler?“, überlegte Neno. „Es wäre nicht das erste Mal.“
„Oder ein Vulkanausbruch hat große Mengen Schwefeldioxid in die Atmosphäre geworfen“, mutmaßte Swo.
Eden Sturm konnte über den Feuerleitstand keine offensichtlichen Gefahren erkennen. Sie entspannte sich ein wenig.
„Wir müssen da hinunter und uns das ansehen“, befahl die Kommandantin. „Swo, du nimmst deinen Bastelkoffer mit. Storm, du gehst auch und hältst ihm den Rücken frei. Wir passen von hier oben auf euch auf.“
Eine vernünftige Entscheidung, befand Eden. Trotz ihrer Jugendlichkeit mauserte sich Zaya zu einer halbwegs brauchbaren Raumschiffkommandantin.
Während die Phönix durch die höheren Schichten der Atmosphäre sank, ließ die Schwefelsäure die Scheiben stumpf werden, sodass man nicht mehr hinausschauen konnte. Die Sensoren waren noch nicht beeinträchtigt. Eden checkte die einkommenden Daten auf mögliche Gefahren ab, während Swo nach Erklärungen suchte. Im Säurenebel setzte die Phönix auf einer Ebene auf.
„Die Säurekonzentration ist sehr hoch“, meldete Eden an die Crew im Orbit. „Unsere Raumanzüge halten das nur kurz aus. Wir gehen jetzt raus.“
„Roger“, meldete sich die Kommandantin aus der MCLANE. „Gebt auf euch Acht!“
Stell einen Timer auf fünfzehn Minuten, bat Eden den Coach.
Ist erledigt.
Draußen konnten sie sich kaum orientieren. Nach einigen Schritten blieb Eden mit dem Fuß an etwas hängen. Es sah aus wie ein Baumstamm, der sich im Zustand fortgeschrittener Zersetzung befand. „Ich habe hier etwas“, sprach Eden in ihr Mikrofon. „Ich glaube, es war einmal eine Art Baum.“
„Ich habe auch etwas gefunden“, antwortete Swo. „Könnte ein Tier gewesen sein. Es hatte mal Beine.“
„Nehmt Proben und kommt zurück auf die MCLANE“, wies Zaya den Landetrupp an.
An Bord wurden alle Daten ausgewertet und mit einer Nachrichtensonde an das Mutterschiff geschickt. Eine schlüssige Erklärung für die Zerstörung von HR-3072 fand sichnicht. Der Crew blieb nichts anderes, als ihre Mission fortzusetzen.
*
In Oreos Gedanken formte sich das Bild einer Felsspalte, die sich vor ihm auftat und sich so schnell vergrößerte, dass er nicht mehr hinüberspringen konnte. Er beschleunigte seine Schritte und überquerte den Ort, noch ehe die Spalte sich auftat. Dann sah er sich um und hielt sich an einem Baumstamm fest. Schon bebte der Boden und der Fels tat sich wie erwartet auf. Eine Qualmwolke kündigte einen Lavastrom an. Es würde nur ein kleiner Strom sein. Oreo wartete ihn nicht ab, sondern machte sich auf den Weg, um noch ein paar Köstlichkeiten einzusammeln.
Während er weitere Pflanzen pflückte und in seine Gürteltasche steckte, erreichte ihn ein Bild von Narala: Ein kleines Pelzwesen, bei dem es sich um seine Tochter Newira handelte, passte nicht auf und wurde von einem umstürzenden Felsblock erschlagen. Er sah, wie der Felsblock auf seiner Tochter lag und nur noch ein Arm herausschaute. Blut quoll hervor. Aber Oreo fühlte, dass es keine Ahnung Naralas war, sondern eine Befürchtung. Er schickte ihr ein Bild, auf dem er sie in den Armen hielt und tröstete. Narala machte sich ständig Sorgen um ihr Kind, weil ihrer Tochter vorhergesagt war, dass sie im Gegensatz zu allen anderen den letzten Tag nicht erleben würde.
Ein neues Bild erreichte Oreo, kurz nachdem seine Frau sich beruhigt hatte. Er sah, dass die Ältesten aus der Beratungshöhle hervorgekrochen waren. Das bedeutete, dass er heimkehren musste, um sich anzuhören, was sie zu verkünden hatten. Er pflückte noch eine Aurelis und machte sich auf den Weg.
Vor der Beratungshöhle hatten sich bereits viele Voltze gesammelt. Die Ältesten saßen auf bequemen Sesseln und hatten noch nicht begonnen, Bilder zu senden. Stattdessen genehmigten sie sich kaltes, klares Wasser, um sich von den anstrengenden Beratungen zu erholen. Oreo sah Narala im Publikum stehen und gesellte sich zu ihr. Kurz danach traf auch Newira mit ihrem Freund ein. Oreo sandte ein Bild an seine Frau, das sie alle in einer Umarmung vereint zeigte. Sie erwiderte es verhalten. Ein großer Schatten lag auf ihr, und nicht nur auf ihr.
Die Ältesten begannen nun, Bilder zu senden: Generationen von Voltzen und ein Abgrund. Schon lange war es vielen Neugeborenen bestimmt, den Abgrund zu sehen, also den letzten Tag zu erleben. Immer weniger Kinder wurden deshalb geboren. Mittlerweile war jedes neue Kind für den letzten Tag bestimmt. Jedem wurde dieses Schicksal vorhergesagt, bis auf zweien: Newira und ihrem Freund.
Sie würden schon vor dem letzten Tag sterben.
Und der letzte Tag war schon fast gekommen.
Newira erstarrte plötzlich. Sie schien eine große Ahnung zu haben. Oreo hielt erstaunt inne, denn eigentlich war sie noch zu jung dafür. Die Jungen ahnten Gefahren, sodass sie Wetterumschwüngen und ausbrechenden Vulkanen ausweichen konnten. Aber nur den Alten war es gegeben, das Schicksal des Volkes vorherzusehen. Und nur die ganz Alten kratzten an der Bestimmung des Universums.
Newira gab jetzt ihre Ahnung an alle weiter: Vier silbrige Wesen rasten mit unglaublicher Geschwindigkeit durch die Luft, nur wenige Meter über dem Boden. Plötzlich rumpelte es und der Boden hob sich unter ihnen empor. Konnten diese Wesen das nicht ahnen? Immerhin hielten sie gleichen Abstand zum sich auftürmenden Boden und wurden so über die Baumwipfel gestoßen. Kurz danach tauchten sie wieder in die Vegetation ein und setzten ihren mysteriösen Flug fort.
Die anwesenden Voltze wunderten sich. Was sollte das bedeuten? Wie standen die Bilder von den silbrigen Fremden in Verbindung mit dem letzten Tag? Waren die Fremden Newiras Bestimmung oder beeinflussten sie das Schicksal aller Voltze?
*
Die MCLANE hatte ihren Sprung beendet und war in den Orbit des Planeten HR-3121 eingeschwenkt, der als blühende Wasserwelt registriert war. Aber der Planet schimmerte nicht blau, sondern tieftürkis. Eine Algenpandemie hatte die Ozeane und alles Leben darin vergiftet. Ein Gefühl tiefer Trauer erfasste Eden im Angesicht der Katastrophe. Es war bereits die vierte Welt, die sie in einem beklagenswerten Zustand vorfanden.
„Hat die Auswertung der Proben etwas ergeben?“, erkundigte sich die Kommandantin.
„Leider nicht“, antwortete Swo, der neben seiner Arbeit als Bordingenieur auch die Rolle des Wissenschaftsoffiziers bekleidete. „Wir können nicht erklären, wie es zu diesen Katastrophen kam. Sie scheinen sich aber erst kürzlich abgespielt zu haben, sonst hätten wir nicht in allen Fällen Reste früheren Lebens gefunden.“
„ALLISTER, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich innerhalb kurzer Zeit auf vier Planeten unabhängig voneinander globale Katastrophen ereignen?“
„Du meinst Planeten, die nur wenige Lichtjahre voneinander entfernt sind? Und die Prämisse ist, dass es keine gemeinsame Ursache gibt?“, konkretisierte ALLISTER die Frage.
„Die Wahrscheinlichkeit ist gleich Null“, kam Coach Juli dem Bordcomputer zuvor.
„Willst du mich arbeitslos machen?“, beschwerte sich ALLISTER. „Die Wahrscheinlichkeit liegt exakt bei 0,000002 Prozent.“
„Also so gut wie Null“, übersetzte Coach Juli, der ALLISTER nicht allzu ernst zu nehmen schien. Oder entwickelte sich hier eine Konkurrenz zwischen den beiden KIs? „Das bedeutet, dass dies kein Zufall sein kann. Es muss eine äußere Einwirkung geben. Eine Kraft, die die Biosphären dieser Planeten zerstört hat.“
„Es könnte sich um das Terraformingprojekt einer unbekannten Rasse handeln“, brainstormte Swo.
„Das ist unwahrscheinlich“, widersprach Coach Juli. „Eine hypothetische Alienrasse würde überall die gleichen Bedingungen herstellen, in denen sie dann leben könnte. Die Veränderungen münden aber nicht in das gleiche Ergebnis. Ich halte es für umgekehrtes Terraforming.“
„Was