Leichenschau. Irene Dorfner

Leichenschau - Irene Dorfner


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dieses Pflanzengifts, die völlig geruchlos war, leicht mit Cola oder Rotwein verwechseln, aber heute doch nicht mehr. Oder etwa doch?“

      Dr. Leichnahm recherchierte an seinem Laptop, während Christine Kaffee organisierte und nach zwanzig Minuten wieder zurück war.

      „Ich habe einige Unternehmen im Ausland gefunden, die Paraquat immer noch nach der alten Methode produzieren. Übers Internet an das Produkt ranzukommen, dürfte ein Kinderspiel sein.“

      „Ja, das ist der Fluch des Internets. So viel Positives man daraus auch ziehen kann, es ist auch ein Paradies für Spinner und Psychopathen, die ohne große Mühe an die gefährlichsten Dinge rankommen.“

      „Da muss ich Ihnen zustimmen. Man sollte so etwas wie einen Benutzerfingerabdruck einführen, damit jede Bestellung lückenlos zurückzuverfolgen ist.“

      „Komplette Überwachung und Kontrolle? Nein, davon halte ich nichts. Das hatten wir bereits in den 30er und 40er-Jahren, initiiert von einem Ihrer Landsmänner. Nein mein Freund, das brauchen wir nicht mehr. Ich appelliere dafür, dass an der Intelligenz, an der sozialen Basis und vor allem an der Toleranz und Menschlichkeit gearbeitet wird. Und das beginnend im Elternhaus und fortgeführt über Kindergärten und Schuleinrichtungen. Aber dieses Gespräch geht jetzt zu weit, das können wir ein andermal in einem privaten Rahmen weiter diskutieren.“

      „Gerne,“ sagte Dr. Leichnahm begeistert, der von der Art von Frau Dr. Künstle sehr begeistert war. Privat war sie ja noch viel interessanter, nahm auch hier kein Blatt vor den Mund und äußerte klar ihre eigene, persönliche Meinung, ohne beleidigend zu sein oder überheblich zu wirken.

      Christine trank ihren Kaffee aus, der erstaunlicherweise sehr gut schmeckte. „Sehr gute Arbeit, Herr Kollege, es war mir ein Vergnügen.“

      Dr. Leichnahm wurde rot und grinste. Ein richtig netter Kerl, dieser Österreicher, Christine mochte ihn immer mehr.

      „Dann werden wir wohl oder übel die schlechte Nachricht überbringen müssen. Ich fahre nach Mühldorf und werde die entsprechenden Unterlagen gleich mitnehmen. Wie sieht es aus, möchten Sie mich begleiten? Natürlich nur, wenn Sie Zeit und Lust haben.“

      „Und ob ich das möchte! Ich habe nichts anderes vor, auf mich wartet niemand und ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen.“

      Sie zogen sich um und gingen gemeinsam auf den Parkplatz. Christine gab strikte Anweisung an das Personal der Pathologie, auf die Leiche gut aufzupassen und unter keinen Umständen einen anderen Pathologen ranzulassen. Christine stand vor ihrem grasgrünen Kleinwagen, Dr. Leichnahm parkte mit seinem dicken Kombi nicht weit von ihr.

      „Eines sage ich Ihnen gleich, Dr. Leichnahm: Wir werden nicht hintereinander herfahren, denn das hasse ich wie die Pest. Jeder fährt so, wie er möchte und wir treffen uns auf dem Parkplatz der Polizei Mühldorf.“

      Dr. Leichnahm hätte es überhaupt nichts ausgemacht, hinter Dr. Künstle herzufahren. Heimlich tat er das auch, bemühte sich aber, dass sie ihn nicht bemerkte, denn er wollte sie auf keinen Fall verärgern. Während der ganzen Fahrt klangen die Worte von Frau Dr. Künstle in seinen Ohren. Er dachte ständig darüber nach, ob er damals wegen des Vorfalls nicht vorschnell und überzogen gehandelt hatte. Vielleicht war eine Rückkehr in seinen Beruf doch nicht für immer ausgeschlossen? Die Arbeit an der Leiche hatte ihm sehr viel Spaß gemacht und er fühlte sich wohl dabei. Er war erstaunt darüber, wie routiniert und sicher er vorgegangen war, obwohl seine letzte pathologische Arbeit einige Jahre her war. Er nahm sich vor, bei Gelegenheit mit Frau Dr. Künstle zu sprechen und sie um Rat zu bitten. So, wie er sie jetzt persönlich kennengelernt hatte, war sie ein Mensch, der offen und ehrlich seine Meinung sagte.

      Christine hatte Dr. Leichnahm längst im Rückspiegel bemerkt. Sie musste schmunzeln und war zufrieden. Der Österreicher hatte sich von ihr nicht verunsichern lassen und das mochte sie.

      Gegen halb fünf am Nachmittag betraten Christine und Dr. Leichnahm das Büro der Kriminalbeamten in Mühldorf. Viktoria und Leo waren hier, Hans und Werner waren noch im Außendienst und befragten Buspassagiere.

      „Hallo ihr beiden! Was ist los mit euch? Keine Begrüßung und keine Umarmung?“

      Viktoria und Leo waren sofort aufgesprungen, umarmten und küssten Christine, wobei Leo sie übermütig herumwirbelte. Ungeduldig hatte er immer wieder auf die Uhr gesehen und sich die größten Sorgen um sie gemacht, als sie immer noch nicht in Mühldorf eingetroffen war. Ihr Handy war ausgeschaltet. Leo war irgendwann davon überzeugt, dass Christine wohl direkt in die Pathologie nach München gefahren war. Ein kurzer Anruf dort bestätigte seine Vermutung.

      Dr. Leichnahm sah dem Geschehen überrascht zu. Er hielt Behörden bislang für kühl und distanziert, auch im Umgang untereinander.

      „Hör auf, du dummer Kerl, mir wird ja ganz schwindelig.“ Christine lachte und freute sich riesig, die ihr wichtigen Menschen wiederzusehen. „Ihr kennt Dr. Leichnahm?“

      „Sicher.“ Sie begrüßten ihn ebenfalls. „Seid ihr mit der Leiche durch?“

      „Ja und wir haben den Bericht mitgebracht.“

      „Todesursache?“

      „Nun mal langsam. Wir verkünden das Ergebnis erst, wenn die anderen auch anwesend sind, sonst müssen wir alles doppelt und dreifach erzählen. Ich gehe mit meinem Kollegen in die Cafeteria und ihr trommelt mittlerweile alle zusammen. In Ordnung?“

      „Alles klar. In einer Stunde im Besprechungs- zimmer?“

      Leo hatte in Christines Auftreten bereits erkennen können, dass sie keine guten Nachrichten hatte. Er war sich sicher, dass es sich bei der Toten um Krohmers Nichte handelte. Hatte er nicht bereits damit gerechnet?

      Pünktlich um halb sechs waren alle im Besprechungszimmer. Christine wurde herzlich begrüßt, vor allem Rudolf Krohmer. Der war völlig überrascht, dass es sich bei der fraglichen Pathologin um Christine Künstle handelte. Das hätte er sich ja eigentlich auch denken können! Dann erschien Krohmers Frau, die ebenfalls von Christine umarmt wurde. Krohmer hatte seine Frau mittlerweile informiert und sie warteten gemeinsam auf das Ergebnis der Obduktion. Sie ahnten beide nichts Gutes, denn Christines Blick sprach Bände.

      „Doktor Leichnahm hat den Hauptpart der Untersuchung vorgenommen. Ohne ihn hätten wir das Ergebnis wahrscheinlich erst sehr viel später auf dem Tisch. Er hat sehr schnell kombiniert und gründlich gearbeitet.“ Christine sprach in den höchsten Tönen über die Arbeit des Kollegen. Dr. Leichnahm wurde rot. Reihum bemerkte er die Anerkennung in den Augen der Polizisten. Heute muss wirklich sein Glückstag sein! Normalerweise war es nicht Christines Art, so lange um den heißen Brei zu sprechen. Aber ihr grauste vor der schonungslosen Wahrheit, die sie dem Ehepaar Krohmer mitzuteilen hatte. Gerade, als sie auf den Punkt kommen wollte, ging die Tür auf. Frau Gutbrod brachte eine Kanne Kaffee. Als sie Christine Künstle sah, die direkt neben ihrem Chef saß, wurde sie wütend. Diese schreckliche Person war bereits hier und machte sich an ihn ran! Nach dem ersten Schreck registrierte sie erst jetzt, dass auch Frau Krohmer anwesend war. Warum war sie hier und seit wann? Hatte der Chef deshalb die Zwischentür geschlossen und darum gebeten, nicht gestört zu werden? Neben Frau Krohmer saß ein Mann, den sie nicht kannte. Wer war er und warum nahm er an der Besprechung teil? Frau Gutbrod war vollkommen durcheinander.

      „Grüß Sie, Frau Gutbrod,“ rief Christine erfreut, die über die Störung nicht unglücklich war. Sie stand auf, ging auf sie zu und reichte ihr die Hand, die die völlig perplexe Frau Gutbrod entgegennahm. „Ich habe gehofft, Sie hier zu sehen. Wie geht es Ihnen und Ihrer reizenden Nichte Karin? Hat sie endlich einen Mann gefunden?“

      „Leider noch nicht,“ stammelte Frau Gutbrod, wobei sie es geschehen ließ, dass ihr diese schreckliche Frau die Kaffeekanne aus der Hand nahm, auf dem Tisch abstellte und sie zur Tür schob.

      „Eine Frau in Ihrer Position hat sicher viel zu tun. Ich übernehme es gerne, mich um den Kaffee zu kümmern. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, vielleicht laufen wir uns ja nochmal über den Weg, solange ich hier in Mühldorf bin. Viele liebe Grüße an Ihre Nichte Karin!“

      Noch


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