Geliebtes Carapuhr. Billy Remie

Geliebtes Carapuhr - Billy Remie


Скачать книгу
vor diesen Visionen. Aber denke auch daran, dass dein Verstand dir Streiche spielt. Es ist nicht wirklich Lohna, die du siehst, es ist dein Gewissen, das dich quält.«

      »Wenn der Tod zu mir spricht, bedeutet es, dass er kommt?«, hakte er nach und sah sie endlich an.

      Trauer und Bedauern standen in ihrem violetten Blick, sie legte den Kopf schief und seufzte. »Ich fürchte, ja. Der Tod versäumt nie, ungelegen aufzutreten, mein Sohn. Aber selten zeigt er uns, wen er wirklich holen will.«

      Kapitel 7

      Es war seltsam, wie schnell sich der Verstand an Dinge gewöhnen konnte. Desith hatte Vynsus Schnarchen in der allerersten Nacht als störend empfunden, doch in den letzten Wochen waren diese gegrummelten Laute seine Einschlafhilfe gewesen, wann immer er nachts aufgewacht war und die Gedanken um Derrick, um Dämonen, um die Zeit im Dschungel und die ungewisse Zukunft gewälzt hatte, hatte Vynsus Schnarchen ihn wieder eingeschläfert. Es war immer beständig, gleichmäßig, wurde nicht von plötzlich lauten Grunzern durchbrochen, es war mehr ein tiefes, zufriedenes Grollen, das es Desith leicht gemacht hatte, sich nur darauf zu konzentrieren und zu dem gewohnten Rhythmus einzuschlafen, ähnlich als ob er Schäfchen gezählt hätte.

      Nun, da es plötzlich fehlte, war die Stille wie ein Weckruf.

      Er blinzelte, es war ruhig im Zelt, aber er war nicht allein, Vynsu schlief jedoch nicht.

      »Du bist wach«, stellte er fest, ohne von dem Zaumzeug aufzusehen, das er mit liebevoller Hingabe einschmierte, bis es geschmeidig im Kerzenschein glänzte. Das Fett, das er benutzte, kitzelte Desith zugleich in der Nase und weckte eine Erinnerung in seinem Kopf. Ein leichtes, flüchtiges Ziehen im Unterleib folgte. Dieses Fett hatten er und Derrick in so manchen Nächten auch für andere Dinge benutzt.

      »Du auch«, stellte er fest und drehte sich auf den Rücken. Die Verbrennungen spannten noch und der Arm fühlte sich kalt an, fast fremd, aber allmählich gewöhnte er sich an das Gefühl. »Wie spät ist es?«, wollte er wissen und ließ den Arm auf der Stirn liegen.

      »Kurz nach Abenddämmerung«, antwortete Vynsu von seinem Stuhl aus, er klang in seine Arbeit versunken. »Zeit für deinen Schlaftrunk, würde ich sagen.«

      Desith schielte zu ihm rüber. »Muss ich wirklich noch mehr schlafen, oder meidest du nur ein Gespräch mit mir?« Obwohl er solange im Reich der Träume verweilt hatte, fühlte es sich nicht fremd an, zu sprechen, allerdings hörte er seiner eigenen Stimme an, dass sie schwach und kratzig klang.

      Vynsus braune Augen schielten zu ihm herüber, die violetten Sprenkel darin funkelten wie Edelsteinsplitter. »Du musst ruhen«, erwiderte er schlicht.

      Desith entgegnete: »Ich fühle mich gut.« Ihm war nicht mehr schwindelig, zumindest solange er lag, er fühlte sich nicht mehr wie erschlagen, seine Wunden waren nur noch ein entferntes Pochen, das Fieber hatte sich gelegt. Zwar spürte er eine gewisse Schwäche in Zehen und Fingern kribbeln, aber sein Geist wurde mit jedem Augenblick wacher und wacher und suchte nach einer Beschäftigung. Sein Körper war vielleicht noch dabei zu heilen, aber sein Verstand war hellwach – und seinen Gedanken wurde langweilig.

      Vynsu stand nicht direkt auf, er schien zuerst das alte Lederzaumzeug fertig einfetten zu wollen, dabei war er still und wirkte abwesend. Desith drehte den Kopf und betrachtete den Prinzen von Carapuhr eingehend. Die letzten Male, als er aufgewacht war, hatte er mehr und mehr die Veränderung an Vynsu wahrgenommen. Sie waren unübersehbar, aber das hatte er in seinem verwundeten, halbtoten Zustand nicht bewusst aufgefasst, er hatte nur gesehen, was ihm vertraut vorgekommen war, die Augen und die Stimme. Vynsu war größer geworden, männlicher, muskulöser, hünenhafter … älter. Wie alt? Desith hätte ihn zwischen fünfundzwanzig und siebenundzwanzig Sommer geschätzt. Was unmöglich war, denn das würde bedeuten, er selbst wäre mittlerweile ebenfalls mehr als zwanzig Sommer alt. Das wiederrum würde die Frage aufwerfen, wie viele Jahre er mit Derrick im Dschungel vergeudet hatte, aber diese Frage schob er weit nach hinten, sie konnte warten. Warten bis zu dem Moment, da er von selbst aufstehen und dieses Zelt verlassen konnte, wenn er hinaus in die Welt trat und herausfinden musste, wie sein Leben weiter gehen sollte. Ohne Derrick.

      Er verscheuchte die düsteren Überlegungen, ignorierte das Ziehen in seinem Herzen und drehte sich auf die Seite. Vynsu schien sich seiner Blicke bewusst, aber sie machten ihn nicht nervös, er fettete das Leder ein, als wäre er allein.

      »Du trägst das Haar anders«, stellte er leise fest.

      »Und du deines wie immer.« Der Barbarenprinz sah nicht auf.

      Vynsus violette Strähnen waren etwas dunkler als damals, sie erinnerten jetzt mehr an reife Auberginen. Es war gewachsen und er trug es zu einem langen, geflochtenen Zopf, der ihm bis zur Mitte seines breiten Rücken reichte, allerdings war sein Schädel an den Seiten und im Nacken kahlgeschoren, sodass er quasi nur den violetten Kamm hatte wachsen lassen. Auf seinen markanten Zügen breitete sich der Schatten eines dunklen Bartes aus, aber er trug keinen Vollbart, es wirkte viel mehr so, als habe er seine Rasur vernachlässigt. Sein Leib wurde von einem einfachen, braunen Lederhemd mit offener Schnürung verhüllt, ebenso von einer robusten Lederhose und Reitstiefel, nichts an ihm sah adelig oder gar prinzenhaft aus. Diese Bescheidenheit hatte Desith an den Barbaren immer schon gemocht, ihren Sinn für das praktische und einfache Leben. Er selbst war in dem sprichwörtlichen goldenen Käfig aufgezogen worden.

      Vynsus Augen zogen Desith immer wieder an, sie hatten sich stark verändert. Wobei, es war mehr der Blick, der sich gewandelt hatte. Früher hatte eine gewisse Wildheit in seiner Miene gestanden, heute wirkte er sehr ernst. Aber das konnte auch nur täuschen. Die restlichen Züge waren ihm jedoch sehr vertraut, das breite Kinn und die wulstige Stirn, die markante Nase, der perfekte Abstand zwischen den großen Augen, die langen, dunklen Wimpern, die sie umrandeten, und die regelrecht geschwollenen, dicken Lippen.

      Die einschlägigste Veränderung, die Desith auffiel, war ohnehin nichts Körperliches. Es war etwas Materielles. Der Ring an Vynsus Finger.

      Desith erinnerte sich, dass der Ring in Carapuhr ein Zeichen dafür war, dass ein Mann oder eine Frau bereits vermählt waren. Und da fiel ihm auch wieder ein, dass sein Vater ihm mitgeteilt hatte – damals, bevor er mit Derrick in Zadest zurückgeblieben war – dass Desiths geliebte Schwester dem Prinzen von Carapuhr versprochen worden war.

      Hatte er die Vermählung verpasst?

      Das würde sie ihm niemals verzeihen.

      »Wie geht es meiner Schwester?«, fragte er geradeheraus. Und als Vynsu ihn überrascht ansah, lächelte er wissend. »Sie ist etwas verwöhnt, nicht wahr? War sie wütend, weil ich nicht bei der Vermählungsfeier dabei war? Ist sie hier?«

      Vynsu schienen die Fragen für einen Moment die Sprache zu verschlagen, er starrte einfach zurück, fast wie zu Eis erstarrt, seine dicken Lippen standen leicht offen.

      »Vyn?« Desith kräuselte die Nase. »Du schaust mich an, als wäre mir ein Horn aus der Stirn gewachsen.« Zur Sicherheit tastete er seinen Kopf mit einer Hand ab, aber bis auf eine verschorfte Wunde fühlte er nichts.

      Vynsu blinzelte sich zurück in die Gegenwart. »Ich…« Er schüttelte den Kopf und senkte den Blick auf das Zaumzeug. »Entschuldige, und nein, sie war nicht wütend, sie war… Das Fest hat sie verängstigt, aber ich … ich war gut zu ihr, keine Sorge.«

      Das konnte er nicht wirklich glauben, er hatte Vynsu mit anderen Mädchen gesehen, aber er wollte in diesem Moment nicht darüber nachdenken, wie Vynsu mit Lohna die Ehe vollzogen hatte. Er würde ihm später noch androhen, sie besser gut zu behandeln, wenn ihm sein Leben lieb war. Später, wenn er wieder aufstehen konnte. Ansonsten fürchtete er, dass er nicht sehr glaubwürdig klingen würde.

      »Ist sie hier?« Desiths Brust füllte sich mit warmer, strahlender Hoffnung, er wollte so gerne jemanden aus seiner Familie sehen. Vor allem seine geliebte Schwester, mit ihr verband er immerhin seine Kindheit, seine Heimat. Die erste Liebe – abgesehen von jener für seine Mutter – die er gekannt hatte.

      Vynsu räusperte sich. »Nein, sie ist leider


Скачать книгу