Das Mädchen mit dem Flammenhaar. Janet Borgward

Das Mädchen mit dem Flammenhaar - Janet Borgward


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zwinkerte mir aufmunternd zu, wobei sie mir einen Teil der Sorgen abnahm. Zum Abschied nahm sie mich kurz in den Arm.

      „Bald wirst du deine Mädchen spüren können“, raunte sie mir zu und verließ mit schwingenden Hüften das Haus.

      Ich nahm mir das andere Huhn aus dem Wasser und gesellte mich schweigend zu Skyler. Die Küche sah aus, als wären die Viecher in unseren Händen explodiert. Überall flogen Federn herum. Plötzlich musste ich lachen über dieses groteske Bild.

      „Hoffentlich werden unsere Mädchen nicht solch hässliche Glucken wie die hier.“

      Ich hob den nackten Hals des Huhns in meiner Hand und wackelte spielerisch damit. Skylers Mundwinkel entspannten sich ein wenig.

      „Du hast mir einen mächtigen Schrecken eingejagt, Avery.“

      „Das tut mir leid. Es ist alles so neu für mich.“

      „Wie fühlst du dich sonst?“

      Ich horchte auf. In dieser Frage lag mehr als bloße Sorge um meine körperliche Verfassung.

      „Gut, soweit. Warum fragst du?“

      Er zupfte sich eine lästige Haarsträhne von der Stirn, um sie sich hinters Ohr zu klemmen. Die zahlreichen Piercings darin reflektierten das Licht der untergehenden Sonne und ließen ihn verwegen aussehen.

      „Ich muss morgen nach Timno Theben aufbrechen.“ Er sagte das so beiläufig, als rede er vom Wetter. „Die Wahlen stehen kurz bevor und werden in der Golden Stadt abgehalten. Ich lasse dich nur ungern in einem kritischen Zustand zurück.“

      „Schon morgen? Warum Timno Theben?“ Ging es nicht noch weiter weg? Ärger überkam mich. Ich wollte ihn in meiner Nähe wissen. „Außerdem kann ich dich doch begleiten.“

      „Ich brauche dich hier, Gen-Dom!“

      „Gen-Dom?“, hakte ich nach.

      „Heilerin. Wie gesagt, bei der heutigen Ratssitzung hätte ich dich gerne dabeigehabt.“

      Gewissenhaft rupfte er das Huhn zu Ende, ohne mich dabei anzuschauen. Die Arbeit ging ihm flink von der Hand.

      „Das ist nicht der wahre Grund, richtig?“ All meine Sinne standen auf Alarm. „Ist etwas vorgefallen?“

      „Leart ist tot. Man hat ihn auf dem Speicher seines Hauses gefunden. Erhängt.“

      Ich schlug mir vor Schreck die Hand vor den Mund und ließ das Huhn zu Boden gleiten. Leart war mit seiner jungen Familie vor einem knappen Jahr nach Gullorway gezogen. Er hinterließ ein nicht mal einjähriges Mädchen und seine schwangere Frau.

      „Und Annie?“

      Skyler schüttelte kaum merklich den Kopf.

      „Sie hat das Kind verloren, kurz nachdem sie Leart fand. Es geht ihr nicht gut.“

      Er sah mich an, Smaragd Augen, dunkel und bedrohlich, bevor sie wieder das klare Grün eines Peridots annahmen. Jetzt verstand ich seine übertriebene Sorge von soeben. Ich wischte mir die Hände an einem Küchentuch ab und schloss ihn in meine Arme.

      „Oh Fra-Leschart. Sag mir, ist es das wert?“

      „Noch vor Wochen hätte ich gesagt, ja. Für ein freies Kandalar, für dich, für mich, für unsere Kinder.“

      Leidenschaftlich presste er mich an seine stählerne Brust, dass mir die Luft wegblieb.

      „Er hat sich nicht selbst getötet, musst du wissen.“

      Verständnislos sah ich ihn an.

      „Jemand hatte ihm mit einem spitzen Gegenstand ‚Verräter‘ in den Arm geritzt.“

      Ein Schauder durchfuhr mich. Ich hatte es in Korays letzten Gedanken gelesen. Von wem mochten sie stammen?

      „Verstehst du?“ Er hob mein Kinn an. „Irgendjemand versucht meine Anhänger zu dezimieren, Angst und Schrecken zu verbreiten, um sie gegen mich aufzuwiegeln.“ Er fasste mich grob bei den Schultern. „Ich bin umgeben von Feinden, von denen ein jeder der Mörder sein könnte.“

      „Woher willst du wissen, dass es einer von den Ratsmitgliedern ist?“

      Er lockert den Griff wieder, strich mit dem Daumen entschuldigend über die Druckstellen, als könne er sie auf diese Weise fortwischen.

      „Ich weiß es natürlich nicht mit Bestimmtheit. Deshalb wollte ich dich heute dabeihaben, weil du in ihren Gesten und Gedanken liest.“

      In meinem Kopf herrschte Aufruhr.

      „Es wäre viel zu gefährlich, das zu tun. Früher oder später würden sie es bemerken.“

      „Ich weiß, dass du es kannst, ohne dass dein Gegenüber davon etwas mitbekommt.“

      Sein Vertrauen in meine Fähigkeiten ehrte mich, doch wollte ich den Bogen nicht überspannen. Es behagte mir schlichtweg nicht, dass er sich ohne mich auf den Weg begeben wollte.

      „Wer begleitet dich nach Timno Theben?“, fragte ich daher.

      „Zwei Männer aus dem Rat und eine Hand voll Wachen. Ich will keine zu große Aufmerksamkeit erregen. Aber dich allein hier zu wissen …“

      „Ich kann selbst auf mich aufpassen, Skyler, wenn es das ist was dir Sorgen bereitet“, gab ich mich zuversichtlich.

      „Ist das so? Du gibst ja noch nicht einmal auf deinen eigenen Körper acht!“

      In seiner Stimme schwang eine Mischung aus unterdrückter Wut und Angst mit.

      „Ich gelobe Besserung, versprochen. Schließlich werde ich die künftige Guhlant sein oder etwa nicht?“, bemühte ich mich, die angespannte Situation zu entschärfen.

      „Das wirst du, bei den Göttern, das wirst du.“

      Seine Lippen pressten sich verzweifelt auf die meinen. Ich erwiderte seine Küsse, sanfter, beruhigend. Wir taumelten zum Küchentisch hinüber, wie betrunkene. Hände, die wie Schlingpflanzen umeinander griffen, Haut, die aneinander rieb. Ich spürte die unnachgiebige Tischplatte in meinem Rücken, einen Holzteller, der mir ins Rückgrat bohrte.

      „Entschuldige“, nuschelte Skyler in mein Haar hinein, brachte den Teller hinter meinem Rücken hervor, fegte ihn scheppernd vom Tisch.

      Wie ein Orkan fegte er über mich hinweg. Ließ mich erbeben, eins ums andere Mal. Sein erlösender Schrei drang mir durch Mark und Bein, wie die Urgewalten einer vergangenen Zeit. Als sich der innere Sturm legte, richtete er sich wieder auf und sah mich entschuldigend an.

      „Verzeih mir Montai, ich …“

      Ich ließ die Beine hinabgleiten und kam umständlich wieder zum Stehen.

      „Da ist nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest, Fra-Leschart.“

      Sanft küsste ich ihn auf die Nasenspitze. Jede Faser seines Körpers wollte ich mir einprägen. Wäre es heute das letzte Mal, dass ich ihn sah, wollte ich mich so an ihn erinnern: stark, unerschütterlich. Mein Mann, der Vater unserer Kinder.

      Da ich wusste, dass Skyler Abschied hasste, war ich nicht verwundert, seinen Platz neben mir im Bett leer vorzufinden. Er brach irgendwann in den frühen Morgenstunden auf. Nur ein flüchtig gehauchter Kuss, zärtlich gemurmelte Worte, Sekunden eines süßen Traums.

      „Du stiehlst dich also einfach davon“, unternahm ich einen Versuch, ihn mittels meiner Gedanken zu erreichen. Es dauerte Ewigkeiten, wie mir schien, bis er antwortete. „Es ist nicht leicht für mich, ohne dich zu sein, Montai, das weißt du, oder?“Wie ein warmer Strom durchflossen seine Worte meine Synapsen. „Aber ich freue mich, wenn du mich in Gedanken aufsuchst.“Unwillkürlich musste ich lächeln. Es war, als stünde er direkt vor mir, so deutlich vernahm ich seine Stimme in meinem Kopf. „Sei vorsichtig, ja? Ich behalte dich im Auge.“„Ich dich auch.“Tatsächlich konnte ich seinen intensiven Blick beinahe spüren. Ich fühlte mich geborgen, obwohl er nicht bei mir war. Ich schwang die Beine aus dem Bett und schlüpfte in ein einfaches Leinenkleid mit einem Kittel darüber. Auf Jodees Anraten hin, ließ ich mir einige Kleidungsstücke anfertigen, die mir im Hinblick auf meine


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