Das Mädchen mit dem Flammenhaar. Janet Borgward

Das Mädchen mit dem Flammenhaar - Janet Borgward


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Greenerdoors als auch Gullorways harmonisch miteinander verband. Auch ohne bauliches Verständnis waren die großzügig bemessenen Räume bereits jetzt deutlich auszumachen. Skyler verschwand aus meinem Blickfeld und kam kurz darauf mit einem Fass Bier zurück, das er unter den sehnsuchtsvollen Blicken seiner Ratsherren an die Handwerker weiterreichte. Der Baumeister dankte und lud sich das Fass pfeifend auf die Schulter. Dann folgte er seinen Männern nach draußen. Rasch waren ein paar umstehende Bretter und Holzblöcke als Tafel hergerichtet, der mitgebrachte Proviant für ein prächtiges Mahl darauf verteilt. Verstohlen wanderten die Blicke der Männer durch den unfertigen Raum. „Wird künftig noch ein Gemeindehaus von Nöten sein oder tagt der Rat der Stadt in diesen bescheidenen Räumlichkeiten?“, fragte Dannis, ein Scout aus Timno Theben, spöttisch. Unermüdlich kauend, mit prall gefüllten Backen wie ein Hamster vor dem Winterschlaf, bediente er sich großzügig von unseren Gaben. Von der Goldenen Stadt mochte er übermäßigen Prunk zwar gewöhnt sein, diesen jedoch mit unserem künftigen Zuhause gleichzusetzen, kam einer Beleidigung nach. Nur ich wusste von Skylers Traum, seine verlorene Heimat mit der meinen zu verbinden, was sich in dem Baustil manifestierte. Sein oftmals unruhiger Geist sehnte sich nach einem Rückzugsort, der ihn nicht einengte. Deshalb wählte er diesen Platz am Rande der Stadt, umgeben von altem Baumbestand, der das Grundstück wie einen Schutzwall umgab. Nur mit Mühe hatte ich ihn vorerst davon abbringen können, ein Baumhaus zu errichten. Skyler kaute genüsslich zu Ende, ließ sich mit der Antwort Zeit. „Selbstverständlich wird es auch künftig ein Gemeindehaus geben. Doch für ein Mahl unter Freunden richte ich es gerne ein, dieses in meinen Räumlichkeiten abzuhalten.“ Das saß. Dannis verschluckte sich, wurde abwechselnd puterrot und kreidebleich. „Wie sollten wir also vorgehen?“, setzte Skyler das Gespräch fort. Während ich meine Mahlzeit mit Heißhunger verzehrte, gab ich mich als stille Beobachterin. Irgendwie verdächtigte ich Skyler ja, dass dies der Grund für meine Anwesenheit war. Er traute kaum jemandem. Meines Wissens genossen derzeit nur Ethan, ein Clanführer des Nordens, der eine Herberge zweifelhaften Rufs führte, Jodee und ich diesen Vorzug – und mich band er zusätzlich mit einer Kapsel an sich. Mit einem Mal befiel mich eine unendliche Traurigkeit. Was bewog einen Menschen dazu, nichts und niemandem zu trauen? War das Ziel, Esch von Kandalar zu werden, diesen Preis wirklich wert? Dabei konnte ich mich genausogut an die eigene Nase packen. Wen zählte ich denn zu meinen Freunden, neben Jodee? Jodee. Irgendwie liefen alle Fäden bei ihr zusammen. Sie bildete das Bindeglied zwischen Skyler und mir, dem einzigen Menschen, dem wir beide blind vertrauten. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder den Männern zu. Dabei begann ich ihre Gesten zu analysieren, statt ihren Worten Bedeutung beizumessen. Das überließ ich Skyler. Bereits nach wenigen Augenblicken beobachtete ich bei einigen von ihnen, dass ihr Körper eine andere Sprache vermittelte als die Worte, die aus ihren Mündern flossen. Bei Jared, einem Scout aus Ludmins beispielsweise. Wortgewaltig sicherte er Skyler die Gefolgschaft seiner Männer zu, anstatt dem Statthalter von Ludimnis zu folgen. Dabei wedelte er hektisch mit den Armen, fasste sich von Zeit zu Zeit ans rechte Ohrläppchen, eine Geste, die seine Worte Lügen strafte. Auch sah er meist an Skyler vorbei, als stünde da noch jemand hinter ihm, den er davon überzeugen wollte. Oder Dannis. Äußerte er sich eben noch abfällig über unsere großzügig bemessenen Räumlichkeiten, drehte er sich nun wie ein Fähnchen im Wind. So wusste er aus erster Hand, wie er betonte, von Neuigkeiten aus Timno Theben die besagten, dass der derzeitige Statthalter die Gunst der Bürger zusehends verlor. Der Grund hierfür sei eine Beziehung, die er neben seiner Angetrauten zu einer Geliebten und ihren neunzehn- und siebzehnjährigen Töchtern gleichermaßen unterhielt. Während er diesen Klatsch blumig ausschmückte, lehnte er sich auf dem Schemel zurück, die Fingerspitzen aufeinandergepresst, dass man die Knochen knacken hörte. Ethan hingegen wirkte völlig entspannt. Seine Augen ruhten auf Skyler, ohne ihn anzustarren. Er klagte nicht an und stellte dessen Worte niemals infrage. Für ihn galt es in Zeiten wie diesen, nicht böswilligen Äußerungen zweifelhaftem Wahrheitsgehaltes Glauben zu schenken. Die wortreichen Schilderungen der Ratskollegen entlockten ihm nur ein müdes Lächeln. Seine Gestik drückte aus, dass ihn das Gesagte nicht überzeugte. „Das Geschwätz von Waschweibern gehört wohl kaum in diese Runde“, tat er Dannis‘ Bericht ab. Hitzige Debatten entbrannten. Nur mit Mühe verschaffte sich Koray Gehör. „In diesen Zeiten ist es nicht leicht, an wahre Informationen zu gelangen“, echauffierte er sich, die schweißnasse Stirn mit einem fleckigen Tuch betupfend. Ein abgenagtes Hühnerbein flog in die Mitte des Tisches. Seine wurstigen Finger griffen bereits nach einem weiteren. „Die Götter allein wissen, was mir noch alles blüht, wenn man mich dabei zu fassen bekommt, wie ich hier am Tisch mit euch sitze, um treuherzig über die Geschehnisse in Faronbendras zu berichten.“ „Machen wir uns nichts vor: Wir alle sind hier, weil wir uns erhoffen, nach den Jahren der Tyrannei in Skyler endlich einen würdigen Anführer zu finden“, räumte Ethan ein. „Einem Esch, der mit Avery an seiner Seite und uns als sein Sprachrohr, für Kandalar eine starke Allianz hinter sich weiß. Daher verstehe ich eure Ängste ehrlich gesagt nicht. Warum sich bei der Berichterstattung vor der Wahrheit verschließen? Die Stadtväter sind nicht befugt, euch den Kopf vom Rumpf zu trennen, nur weil ihr eine andere Meinung vertretet.“ „Ach nein? Wie nennst du es dann, wenn sie meinen Hof anzünden, Frau und Kinder in der brennenden Scheune festhalten, weil ich es gewagt habe mich gegen den Statthalter Faronbendras zu stellen?“ Vor Schreck über das soeben Gehörte glitt mir das Besteck aus der Hand, ein Geräusch wie ein Donnerschlag in der nun entstandenen Stille. Skyler und Ethan wechselten rasch Blicke miteinander. „Verzeih, davon wusste ich nichts“, gab Ethan entschuldigend zur Antwort. „Wer hat das getan, Koray?“, ergriff Skyler das Wort. „Ich habe sie nicht gesehen, Skyler, weil sie mir mit dem Knüppel eins übergebraten haben“, erklärte er mit bebender Stimme, im Begriff, die Beherrschung zu verlieren. Zitternd schob er seine verschwitzen Haare, die ihm wie ein Helm am Kopf hafteten, beiseite und ließ eine blutverkrustete Beule erkennen. „Doch sie hatten dafür gesorgt, dass ich rechtzeitig mein Bewusstsein erlangte, um das verzweifelte Hämmern der vom Feuer Eingeschlossenen zu hören, bis ihre Schreie mir fast den Verstand raubten.“ Die letzten Worte waren nur noch geflüstert. Seine Hand, die das angenagte Hühnerbein hielt, hämmerte wie Trommelschläge auf die Tischplatte ein, teilnahmslos in die Ferne blickend. Bei seinen ergreifenden Worten spulten sich Bilder in meinem Kopf ab, wie ich sie selbst vor wenigen Jahren erlebte. Nur zu gut verstand ich, was Koray gerade durchmachte. Von Gefühlen überwältigt, erhob ich mich, um ihn tröstend in die Arme zu schließen. Dies brachte ihn gänzlich aus der Fassung. Er vergrub den Kopf an meiner Brust und begann hemmungslos zu schluchzen. Ich hörte Stühle rücken. Einer nach dem anderen verließ diskret den Raum, doch nicht ohne vorher Korays Schulter stärkend zu klopfen oder einfach nur Trost spendende Worte zu murmeln. Ein jeder von ihnen griff in seine Geldkatze, brachte ein paar Münzen hervor, die er auf dem leeren Teller neben ihn fallen ließ, bis nur noch Skyler, Ethen und ich zurückblieben. Als Koray allmählich die Fassung zurückerlangte, wagte er nicht, Skyler in die Augen zu sehen. Ergriffen nahm ich meinen Platz neben Skyler wieder ein. Eine Entschuldigung murmelnd verließ schließlich auch Ethan den Raum. „Es tut mir leid, was dir widerfahren ist, Koray. Ich weiß, dass keiner meiner Worte deinen Verlust je zu lindern vermag. Aber sei versichert, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.“ Koray saß in sich zusammengesunken da. Als einziges Zeichen seines inneren Aufruhrs war das stetige Zittern seiner Hände wahrzunehmen. Skyler erhob sich und legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter, woraufhin er sich versteifte, die Hände zu Fäusten geballt. „Was kannst du denn schon tun?“, stieß er aufgebracht hervor. „Ich kenne weder ihre Namen noch ihre Gesichter.“ Die fleischigen Finger verhakten sich ineinander, als müsse er sie davor bewahren, etwas Unkontrolliertes damit anzustellen. Skyler brachte wieder etwas Abstand zwischen sie beide. „Ich will dich nicht bedrängen, Koray. Aber solltest du darüber reden wollen, lass es mich wissen, hm?“ Koray sah ihn flüchtig an, als wolle er noch etwas sagen, dann stand er wortlos auf und verließ den Raum. Skyler wartete, bis er außer Hörweite war, bevor mir sein Zorn entgegenschlug. „Wie konntest du ihn derart kompromittieren, Avery?“ „Ich? Was habe ich denn getan?“ „Ihn vor allen Ratsmitgliedern wie eine Amme an deine Brust zu nehmen, so dass er die Fassung verlor. Jetzt werden sie ihn für verweichlicht halten.“ „Bist du sicher, dass die anderen ihn so sehen, oder ist es eher die Eifersucht, die an dir nagt?“ Nur mühsam hielt ich meine Wut zurück. Uns gegenseitig anzuschreien machte keinen Sinn. „Du solltest mich inzwischen besser kennen, Avery.“ Seine peridotgrünen Augen sprühten Funken.
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