Ein verhängnisvoller Wunsch. Sabine von der Wellen
Freuden zu reduzieren.
Das war ein erschreckender Gedanke, den Isabel lieber verdrängte. So versuchte sie sich auf das zu konzentrieren, was sie hatte: ihren Job. Und sie musste sich zusammenreißen und den wieder meistern, wie sie es all die Jahre gemacht hatte.
Leider war ihr dahingehend in den letzten Monaten etwas der Elan abhandengekommen. Sie hatte dummerweise einige Böcke geschossen, die sie nur durch die Gutmütigkeit ihrer Chefin überstanden hatte. Aber die wusste noch nicht den neusten Clou ihrer einst besten Mitarbeiterin, die sich auf den Bereichsleiter der Logistikabteilung namens Hardy Meiners eingelassen hatte. Cornelia wird ihr bestimmt nicht gerade hoch anrechnen, dass die sich mit einem verheirateten Mitarbeiter der Firma eingelassen hatte. Ihre Chefin mochte so etwas gar nicht.
Niemals, in all den vergangenen Jahren, hatte Isabel damit gerechnet, dass sie dermaßen in eine Kurzschlusspanik verfallen könnte und sich damit sogar geschäftsschädigend verhalten würde. Und Hardy und ihre missratene Beziehung mit ihm waren der Höhepunkt einer langen Reihe dummer Fehlentscheidungen.
Aber jetzt hatte sie beschlossen, das neue Jahr zu ihrem werden zu lassen. Mit dem Beginn des neuen Jahres, und ihren Vorsätzen, sah sie sich in der Lage, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Wer brauchte schon eine nervende Beziehung und eine Familie mit quengeligen Kindern, wo man doch einen tollen Job hatte, der einen hoffentlich genug stresste, um jeglichen Anfall von Trübsal blasen im Kein zu ersticken.
„Hallo, ja, Ihnen auch ein schönes, neues Jahr. Klar habe ich schön reingefeiert“, verkündete Isabel einige Male, bevor sie den Fahrstuhl erreichte. Dabei warf sie ihre langen, braunen Haare nach hinten und ging erhobenen Hauptes durch das riesige Gebäude.
Sie fuhr mit dem Lift nach oben und betrat das obere Stockwerk. Hier war zum größten Teil die Chefetage, und Isabel steuerte das große, helle Büro an. Ihr riesiger Schreibtisch mit Blick auf den kleinen See, der auch zu dem Grundstück gehörte, erwartete sie, und ihre neue Aussicht auf einen arbeitsreichen Beginn des neuen Jahres. Doch noch bevor sie ihren Schreibtisch erreichte, schwang die Tür hinter ihr auf und ihre Chefin trat ein.
„Guten Morgen und ein schönes neues Jahr wünsche ich dir!“, rief sie freudestrahlend und gutgelaunt.
Isabel legte ihre Tasche an die Seite und ließ sich von der blonden, schlanken Frau umarmen.
„Das wünsche ich dir auch, Cornelia.“
„Dann wollen wir das neue Jahr mal anlaufen lassen. Ich hoffe, es wird so erfolgreich wie das vergangene.“ Lächelnd lief sie zu einer weiteren Tür, die fast an Isabels Schreibtisch angrenzte. Sie stieß sie auf und verschwand dahinter, als im gleichen Moment auch schon das Telefon auf Isabels Schreibtisch läutete. Isabel hörte Cornelia noch rufen: „Ich bin noch nicht im Haus!“, bevor ihre Tür zuschlug und die andere Tür vom Flur her sich öffnete.
Isabel griff über ihren Schreibtisch hinweg zum Hörer und meldete sich. Während sie dem Anrufer lauschte, schaltete sie den Computer an.
„Nein, tut mir leid. Frau Albers ist noch nicht im Haus. Aber wenn sie Sie zurückrufen soll, dann werde ich ihr das ausrichten. Sie können mir aber auch sagen, worum es sich handelt.“
Isabel spürte heißen Atem an ihrer Schulter und sah auf.
Hardy stand lächelnd hinter ihr.
Sie sah ihn fassungslos an. Es war das erste Mal, dass er sich von seinem entfernten Stützpunkt in die Chefetage verirrte. Dabei versuchte sie zu erfassen, was der Telefonteilnehmer am anderen Ende ihr mitteilte.
„Hm, das ist in der Tat etwas seltsam. Ich werde das gleich überprüfen und Frau Albers ausrichten. Sie wird sie dann verlässlich zurückrufen. Und ich werde Ihnen die nötigen Unterlagen zusenden“, versuchte sie den Kunden zu beruhigen und fühlte sich schon am ersten Tag des neuen Jahres überfordert. Sie warf Hardy einen düsteren Blick zu und sah zu dem freien Schreibtisch hinüber, der noch auf seinen Einsatz wartete, und zu Cornelias Tür, die gottseidank verschlossen war.
„Das tut mir wirklich leid. Ich werde sehen, was da schiefgelaufen ist und wir melden uns dann bei Ihnen so schnell es geht. Auf Wiederhören!“
Isabel warf den Hörer auf das Telefon und fauchte Hardy an: „Was willst du hier? Dass du dich noch unter meine Augen traust!“
„Aber Mäuschen! Es tut mir schrecklich leid wegen Silvester. Ich wollte gerade zu dir, als meine Eltern überraschend vorbeikamen. Ich konnte ihnen doch nicht sagen, dass ich noch auf Silvester ausfahre, während meine Frau mit den Kindern Zuhause bleibt. Versteh doch! Meine Eltern sind in solchen Dingen echt spießig. Bitte verzeih mir. Ich mache alles wieder gut.“
Isabel war einen kurzen Moment versucht, ihm wirklich zu verzeihen. Doch dann hörte sie wieder das Gelächter und die laute Musik, die sie gehört hatte, als sie fast schon früh am Morgen bei ihm angerufen hatte. Sie glaubte ihm kein Wort.
„Verschwinde! Ich möchte nicht mehr, dass wir uns treffen. Hast du verstanden?“ Sie wollte ihrer Stimme etwas mehr Nachdruck und einen bösen Unterton verleihen, aber sein verletzter Gesichtsausdruck ließ ihre Stimme nur traurig und niedergeschlagen klingen. So setzte er auch gleich an, es noch einmal zu versuchen. Doch Isabel winkte ab: „Vergiss es. Es ist mir wirklich ernst. Ich brauche keinen von euch Trotteln. Ihr seid es doch alle nicht wert, sich mit euch einzulassen.“
Puh, das klang gar nicht nett. War sie in der letzten Nacht etwa zu einer emanzipierten Frau herangereift, die wirklich meinte, was sie sagt?
Irgend so ein hirnloses Männchen in ihrem Inneren schrie: „Vergib ihm! Sonst bist du wieder völlig allein und deine vielleicht letzte Chance ist vertan.“
Nur mit Mühe konnte sie diese Stimme überhören. Die Sache mit der starken Frau gefiel ihr.
Geschlagen drehte Hardy sich um und ging langsam zur Tür. Bevor er sie hinter sich zuschlagen ließ, drehte er sich noch einmal um. Sein Blick war herzerweichend.
„Trotzdem Danke für die schönen Rosen. Aber es ist besser so“, rief sie ihm hinterher und setzte sich an den Schreibtisch.
Über sein Gesicht schob sich einen kurzen Moment lang ein überraschter Ausdruck. „Welche Rosen?“ Doch als Isabel schnell abwinkte, ging er.
Also waren die Rosen nicht von ihm.
Wieder wurde die Tür aufgerissen und Tanja kam im Eilschritt herein. „Hallo. Ein frohes Neues wünsche ich dir! Ich hatte doch glatt einen Platten … und das im neuen Jahr. Das fängt ja gut an.“
Sie hing ihre Jacke auf und setzte sich an den Schreibtisch, um den Computer hochzufahren.
„Was wollte dieser Kerl denn hier drinnen?“ Sie wies mit dem Kinn auf die Tür, hinter der Hardy kurz vorher verschwunden war. „Du hast doch nichts mit dem, oder?“
Isabel schüttelte den Kopf und erwiderte aufgebracht: „Wie kommst du denn darauf? Der ist doch verheiratet!“
„Ich meine nur. Was ich von dem schon alles gehört habe. Naja, ist auch egal. Ist die Chefin schon drinnen?“
„Ja, aber wir sollen noch keine Gespräche durchstellen. Aber … was … was hast du denn von dem gehört?“ Isabels Hand wedelte in Richtung Tür, hinter der Hardy verschwunden war, als wäre das eigentlich gar nicht von Belang. Aber ihr Herz begann unruhig zu schlagen.
Tanja sah noch einmal prüfend in einen Spiegel, den sie in ihrer untersten Schreibtischschublade immer bereitliegen hatte, und strich sich das kurze, blonde Haar zurecht. Dann sah sie ihre Tischnachbarin an. Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und packte den Spiegel zu den anderen Schminkutensilien. „Ach, das ist so ein Weiberheld. Trotz Frau und Kinder. Der kriegt jede! Das behauptet er zumindest, der Spinner. Der ist sowas von eingebildet, hält sich für den Größten und Schönsten und ist dabei ein völliges Arschloch. Und er macht einen beschissenen Job, habe ich gehört. Wenn er Pech hat, ist er bald seinen Posten als Logistikleiter los, weil er ständig irgendeinen Scheiß fabriziert.“
„Ach so“, schaffte Isabel nur zu erwidern und starrte auf die vielen Zahlen und