Ein verhängnisvoller Wunsch. Sabine von der Wellen
einen oder anderen Fehler von ihm in den letzten vier Wochen ausgebügelt. Aber damit war jetzt Schluss. Und wenn er auch nur einem verriet, dass sie sich von ihm erweichen lassen hatte, dann wird sie sogar selbst dafür sorgen, dass er nicht mehr länger in dieser Firma tätig ist.
Sie sah in Tanjas blaue Augen, die sie herausfordernd musterten, als sie nichts weiter dazu sagte. Wahrscheinlich wusste sie sowieso schon Bescheid. Wahrscheinlich wussten alle Bescheid!
Am liebsten würde Isabel sich verkriechen. Warum machte sie sich in den letzten Jahren nur immer wieder zum Gespött der Menschen? Was war nur los? Konnte sie denn wirklich nicht mehr Gut von Böse unterscheiden? War sie nicht mehr in der Lage, vernünftig zu denken? Nah, das wird sich jetzt ein für alle Male ändern.
Eine blecherne Stimme meldete sich. „Isabel, es können jetzt Gespräche durchgestellte werden. Gab es heute Morgen schon etwas Wichtiges?“
„Ja, ein Herr Sachser von der Firma Mellcopp fragte nach, warum die letzte Lieferung ausgeblieben ist und wieso noch kein Katalog für dieses Jahr zugesandt wurde. Ich habe ihn erst einmal vertröstet und suche jetzt die Unterlagen heraus. Ich bringe sie dir dann rein.“
Cornelia bedankte sich nachdenklich und die Verbindung wurde beendet.
„Weißt du etwas darüber, dass die Firma Mellcopp die letzte Lieferung nicht bekommen hat und warum an die Firma keine neuen Kataloge geschickt wurden? Die haben wir doch schon Anfang Dezember verteilt. Da muss etwas schiefgelaufen sein.“ Isabel sah Tanja fragend an, die aber nur unwissend die Schultern hochzog.
Ein ungutes Gefühl beschlich sie. Hatte sie die Sache vielleicht verbockt?
„Mellcopp, Mellcopp …“ Ihr wollte nichts so recht zu dem Namen einfallen. Doch sie war sich darüber im Klaren, dass es durchaus möglich sein konnte, dass sie die Firma irgendwie aus dem Computer gekickt hatte. Auch jetzt fand sie nichts in ihren Listen und sie ging zu dem großen Aktenschrank, um in den alten Karteikarten nachzusehen.
„Tatsächlich. Da ist sie!“ Isabel wurde blas. Das war eine Firma aus ihrem Ressort. Sie ging mit der Karte in der Hand zu ihrem Schreibtisch zurück und gab die Daten neu ein. Der Computer zeigte ihr an, dass diese Firma in einer anderen Rubrik abgespeichert war. Isabel sah nach und fand sie bei den Importeuren wieder.
Das konnte doch nicht sein! In welchem seltsamen Wahn hatte sie denn das verbockt?
„Hast du etwas gefunden?“, fragte Tanja, während sie ihre Finger über die Tastatur jagte, um die Inventur für das vergangene Jahr abzuschließen. Sie musste das bis zehn Uhr dem Chef vorlegen.
Es war Isabel etwas peinlich. Sie war seit fast zehn Jahren hier und solche Fehler durften ihr eigentlich nicht passieren. Dazu kam, dass sie in den letzten Monaten öfters falsche Eingaben gemacht hatte. Das hatte zum Teil verheerende Auswirkungen gehabt. Dazu kamen noch andere Patzer.
„Ich glaube schon. Ich meine, ich weiß es. Es ist wohl mein Fehler. Ich habe das verbockt.“ Isabel seufzte betroffen und fing sich einen beunruhigten Blick von Tanja ein. Sie wusste, dass Isabel im letzten Jahr einige Fehler gemacht hatte, die nicht alle im Verborgenen gehalten werden konnten.
Das kommt nur wegen der Männer. Du läufst schon seit Monaten mit einem Brett vor dem Kopf durch die Welt und hast wirklich lange gebraucht, endlich etwas zu begreifen.
„Jaja!“
„Was sagst du?“, rief Tanja mit einem seltsamen Blick.
„Ach nichts!“ Isabel winkte schnell ab.
Das Telefon läutete und sie nahm den Hörer in die Hand, der tonnenschwer war, und meldete sich. Nach einem kurzen Gespräch stellte sie zu ihrer Chefin durch.
Für sie stand fest, dass sie Cornelia noch am selben Vormittag ihren Patzer beichten musste. Sie schluckte schwer. Diese Fehler kamen in letzter Zeit einfach zu häufig vor. Sie wusste schon, was dann kommen wird …
„Ich glaube, du hast ganz dringend einen längeren Urlaub nötig. Seit vier Jahren lässt du dir das meiste davon ausbezahlen, ohne wirklich mal länger auszuspannen. Das kann doch nicht gut gehen. Sieh das doch mal ein!“
Isabel hasste das Wort Urlaub. Das hieß morgens aufstehen, nichts mit seinem Tag anfangen zu können, herumzulungern, traurig, überflüssig und nutzlos zu sein.
Sie brauchte diese Firma. Sie brauchte die Menschen hier und die Arbeit. Zuhause war sie nur einsam. Sie hasste diese Einsamkeit, diesen Frust. Es reichte ihr schon, dass sie am Samstagnachmittag oft früh nach Hause gehen konnte und sonntags frei hatte. Sie traf sich dann zwar mal mit Freunden oder ging abends zu einer Geburtstagsparty. Aber ihr Bekanntenkreis bestand immer mehr aus Ehepaaren, die zum Teil schon Kinder hatten, Pärchen, die schon ewig zusammen waren oder den wenigen Singles, bei denen sich das, wie bei ihr, nie ändern wird. Manchmal beneidete sie diese verheirateten, verlobten, verliebten. Doch wie oft wurde sie schon Zeuge von Tragödien. Es hatte schon bitterböse Scheidungen gegeben und Zänkereien. Sie mochte diese Traurigkeit bei anderen nicht, weil sie dann immer mitlitt.
Liebe ist doch nur etwas für Schwachköpfe. Nur ein Mittel, um sich zu Quälen.
Isabel musste erneut an Silvester denken und die vielen Tränen, die sie geweint hatte. Es war auch wirklich zu dumm, dass man nicht in der Lage war, Gefühle aus dem Spiel zu lassen. Eine Beziehung ohne Liebe und Gefühle … nur blanker, wilder Sex …
Schön wärs, wenn das ihr Ding wäre. Aber der bloße Gedanke daran trieb ihr die Schamröte ins Gesicht. Außerdem musste sie feststellen, dass solche Begegnungen meist ziemlich unbefriedigend verliefen. Es musste schon mehr sein. Sie musste wenigstens das Gefühl haben, dass sie ihrem Bettgefährten auch wirklich echte und aufrichtige Gefühle entgegenbrachte … oder ihn zumindest irgendwie mochte. Meistens entpuppte sich das zwar sehr schnell als Fehlfunktion einer ihrer Gehirnregionen, aber der Sex wurde damit zumindest angenehmer.
„Isabel, es klingelt. Soll ich abnehmen?“
Isabel griff schnell zum Hörer und meldete sich. Tanja sollte nicht merken, dass sie mit ihren Gedanken wieder einmal weit weg gewesen war.
Auch das zweite Telefon läutete und Tanja übernahm. Langsam wurde es rege. So liebte Isabel das. Dann wurde sie zumindest von ihren Gedanken abgelenkt. Außerdem gewann sie so Zeit, um sich eine plausible Erklärung für die erneut aufgetretenen Missstände auszudenken, die sie ihrer Chefin noch beichten musste.
Aber ewig konnte sie das nicht hinausschieben und was dann geschah würde sich zeigen.
Erschöpft und unzufrieden fuhr Isabel am Abend in die Garage, die sie vor zwei Monaten endlich mieten konnte. Damit war ihr heißgeliebter Beetle nicht mehr schutzlos dem Wetter ausgesetzt.
Sie nahm die Tüte mit dem gebratenen Huhn in süßsaurer Soße vom Beifahrersitz und ging über den Hinterhof, um das Haus herum, zur Eingangstür. Noch bevor sie ihren Schlüssel aus der Handtasche geklaubt hatte, wurde die Tür von innen aufgezogen und ein Mann sprang ihr eilig entgegen.
Isabel stolperte erschrocken zur Seite und umklammerte ihr Huhn in Soße.
„Guten Abend!“, meinte sie gehörte zu haben und sah dem Davoneilenden hinterher. Doch ihr Blick erhaschte nur noch die dunkelblonden, welligen Haare und die große, schlanke Gestalt in einem ziemlich konservativen Anzug.
Schnell schlüpfte sie durch die Tür ins Haus und ließ sie kopfschüttelnd zuschlagen. Sie hatte diesen Typ hier noch nie gesehen. War das ein neuer Nachbar?
„Ist doch egal“, ermahnte sie sich aufgebracht, weil ihr Innerstes schon wieder zu lechzen begann, wie ein Hund nach einem fleischigen Knochen in erreichbarer Höhe.
Schnell ging sie die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf, wo ihre Atemwege immer noch einen aufregenden, männlichen Aftershaveduft wahrnahmen. Sie reagierte schon immer besonders auf Aftershaves und dieses war extrem angenehm.
Als wolle ihr Gewissen sie an andere Aftershaveerlebnisse erinnern, kam ihr Carsten in den Sinn. Der hatte sich immer so viel eines furchtbar süßen Duftes ins Gesicht,