Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen. Johann Wolfgang von Goethe
klagten,
Meine lieben Mädchen! –
»Wohin ist sie? Wohin?« rufst du;
»Welchen Weg nahm der Verruchte?
Soll er ungestraft Jupiters Stamm entweihen?
Wohin geht der Pfad seiner Rosse?
Fackeln her!
Durch die Nacht will ich ihn verfolgen!
Will keine Stunde ruhen, bis ich sie finde,
Will keinen Gang scheuen,
Hierhin und dorthin.« –
Dir blinken deine Drachen mit klugen Augen zu,
Aller Pfade gewohnt, folgen sie deinem Lenken;
In der unbewohnten Wüste treibt dich's irre –
Ach nur hierher, hierher nicht!
Nicht in die Tiefe der Nacht,
Unbetreten den Ewiglebenden,
Wo, bedeckt von beschwerendem Graus,
Deine Tochter ermattet!
Wende aufwärts,
Aufwärts den geflügelten Schlangenpfad,
Aufwärts nach Jupiters Wohnung!
Der weiß es,
Der weiß es allein, der Erhabene,
Wo deine Tochter ist! –
Vater der Götter und Menschen!
Ruhst du noch oben auf deinem goldenen Stuhle,
Zu dem du mich Kleine
So oft mit Freundlichkeit aufhobst,
In deinen Händen mich scherzend
Gegen den endlosen Himmel schwenktest,
Daß ich kindisch droben zu verschweben bebte?
Bist du's noch, Vater? –
Nicht zu deinem Haupte,
In dem ewigen Blau
Des feuerdurchwebten Himmels,
Hier! hier! – –
Leite sie her!
Daß ich auf mit ihr
Aus diesem Kerker fahre!
Daß mir Phöbus wieder
Seine lieben Strahlen bringe,
Luna wieder
Aus den Silberlocken lächle!
O du hörst mich,
Freundlichlieber Vater;
Wirst mich wieder,
Wieder aufwärtsheben,
Daß, befreit von langer, schwerer Plage,
Ich an deinem Himmel wieder mich ergetze!
Letze dich, verzagtes Herz!
Ach! Hoffnung!
Hoffnung gießt
In Sturmnacht Morgenröte!
Dieser Boden
Ist nicht Fels, nicht Moos mehr;
Diese Berge
Nicht voll schwarzen Grauses!
Ach, hier find ich wieder eine Blume!
Dieses welke Blatt,
Es lebt noch,
Harrt noch,
Daß ich seiner mich erfreue!
Seltsam! seltsam!
Find ich diese Frucht hier?
Die mir in den Gärten droben
Ach! so lieb war –
Sie bricht den Granatapfel ab.
Laß dich genießen,
Freundliche Frucht!
Laß mich vergessen
Alle den Harm!
Wieder mich wähnen
Droben in Jugend,
In der vertaumelten
Lieblichen Zeit,
In den umduftenden
Himmlischen Blüten,
In den Gerüchen
Seliger Wonne,
Die der Entzückten,
Der Schmachtenden ward!
Sie ißt einige Körner.
Labend! labend
Wie greift's auf einmal
Durch diese Freuden,
Durch diese offne Wonne
Mit entsetzlichen Schmerzen,
Mit eisernen Händen
Der Hölle durch! –
Was hab ich verbrochen,
Daß ich genoß?
Ach, warum schafft
Die erste Freude hier mir Qual?
Was ist's? was ist's? –
Ihr Felsen scheint hier schrecklicher herabzuwinken,
Mich fester zu umfassen!
Ihr Wolken tiefer mich zu drücken!
Im fernen Schoße des Abgrunds
Dumpfe Gewitter tosend sich zu erzeugen!
Und ihr weiten Reiche der Parzen
Mir zuzurufen:
Du bist unser!
DIE PARZEN unsichtbar.
Du bist unser!
Ist der Ratschluß deines Ahnherrn:
Nüchtern solltest wiederkehren,
Und der Biß des Apfels macht dich unser!
Königin, wir ehren dich!
PROSERPINA.
Hast du's gesprochen, Vater?
Warum? warum?
Was tat ich, daß du mich verstößest?
Warum rufst du mich nicht
Zu deinem lichten Thron auf!
Warum den Apfel?
O verflucht die Früchte!
Warum sind Früchte schön,
Wenn sie verdammen?
PARZEN.
Bist nun unser!
Warum trauerst du?
Sieh, wir ehren dich,
Unsre Königin!
PROSERPINA.
O wäre der Tartarus nicht eure Wohnung,
Daß ich euch hin verwünschen könnte!
O wäre der Kozyt nicht euer ewig Bad,
Daß ich für euch
Noch Flammen übrig hätte!
Ich Königin,
Und kann euch nicht vernichten!
In ewigem Haß sei ich mit euch verbunden! –
So