Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen. Johann Wolfgang von Goethe
Sie versuchen an der Puppe verschiedenes, endlich bringen sie aus der Brust einen Sack hervor und erheben ein lautes Geschrei.
SORA. Was ist in dem Sack? Laßt sehn, was ist in dem Sack?
MANA. Häckerling ist drin, wie sich's anfühlen läßt.
SORA. Es ist doch zu schwer –
LATO. Es ist auch etwas Festes drin.
MELA. Bindet ihn auf; laßt sehn!
Andrason kommt.
ANDRASON. Ihr Kinder, wo seid ihr? Ich such euch überall ihr Kinder.
MANA. Du kommst eben zur gelegenen Zeit! Da sieh!
ANDRASON. Was Teufel ist das? meiner Frauen Kleider? meiner Frauen Gestalt?
MANA ihm den Sack zeigend. Mit Häckerling ausgestopft.
SORA. Sieh dich um! Das ist die Natur, worin der Prinz lebt, und das ist seine Geliebte.
ANDRASON auffahrend. Ihr großen Götter!
SORA. Mach nur den Sack auf!
ANDRASON aus tiefen Gedanken. Halt!
MANA. Was ist dir, Andrason?
ANDRASON. Mir ist, als wenn mir in dieser Finsternis ein Licht vom Himmel käme.
SORA. Du bist verzückt.
ANDRASON. Seht ihr nichts, ihr Mädchen? Begreift ihr nichts?
MANA. Ja, Ja! das Gespenst, das uns geängstet hat, ist begreiflich genug und der Sack, den ich in meinen Armen habe, dazu.
ANDRASON. Verehre die Götter!
SORA. Du machst mich mit deinem Ernst zu lachen.
ANDRASON. Seht ihr nicht die Hälfte des mir Glück weissagenden Orakels erfüllt? –
MANA. Daß wir nicht darauf gefallen sind!
ANDRASON. »Wenn wird ein greiflich Gespenst von schönen Händen entgeistert« –
SORA. Nichts kann klärer sein!
ANDRASON. »Und der leinene Sack seine Geweide gibt her«. Nun aufgemacht, ihr Kinder! Laßt uns vor allem sehn, was der enthält!
Sie binden ihn auf, und wie sie ihn umschütteln, fällt eine ganze Partie Bücher, mit Häckerling vermischt, heraus.
ANDRASON. Gebt acht, das werden Zauberbücher sein. Er hebt eins auf. Empfindsamkeiten!
MANA. O gebt's her!
Die andern haben indessen die übrigen Bücher aufgehoben.
ANDRASON. Was hast du? »Siegwart, eine Klostergeschichte, in drei Bänden.«
MANA. O das muß scharmant sein! Gib her, das muß ich lesen. – »Der gute Jüngling«!
LATO. Den müssen wir kennenlernen!
SORA. Da ist ja auch ein Kupfer dabei!
MELA. Das ist gut, da weiß man doch, wie er ausgesehen hat.
LATO. Er hat wohl recht traurig, recht interessant ausgesehn.
Es bleibt den Schauspielern überlassen, sich hier auf gute Art über ähnliche Schriften lustig zu machen.
ANDRASON. Eine schöne Gesellschaft unter einem Herzen!
MELA. Wie kommen die Bücher nur da herein?
ANDRASON. Laßt sehn! Ist das alles? Er wendet den Sack völlig um, es fallen noch einige Bücher und viel Häckerling heraus. Da kommt erst die Grundsuppe!
SORA. O laßt sehn!
ANDRASON. »Die neue Héloïse«! – weiter! – » Die Leiden des jungen Werthers«! – Armer Werther!
SORA. O gebt's! das muß ja wohl traurig sein.
ANDRASON. Ihr Kinder, da sei Gott vor, daß ihr in das Zeug nur einen Blick tun solltet! Gebt her!
Er packt die Bücher wieder in den Sack zusammen, tut den Häckerling dazu und bindet's ein.
MANA. Es ist nicht artig von Euch, daß Ihr uns den Spaß verderben wollt! Wir hätten da manche schöne Nacht lesen können, wo wir ohnedem nicht schlafen.
ANDRASON. Es ist zu euerm Besten, ihr Kinder! Ihr glaubt's nicht, aber es ist wahrlich zu euerm Besten. Nur ins Feuer damit!
MANA. Laßt sie nur erst die Prinzessin sehn!
ANDRASON. Ohne Barmherzigkeit! Nach einer Pause. Aber was erscheinen mir für neue Lichter auf dem dunkeln Pfade der Hoffnung! Ich seh! ich seh, die Götter nehmen sich meiner an.
SORA. Was habt Ihr für Erscheinungen?
ANDRASON. Hört mich! Diese Bücher sollen nicht ins Feuer!
MANA. Das ist mir sehr lieb.
ANDRASON. Und ihr sollt sie auch nicht haben!
SORA. Warum?
ANDRASON. Hört, was das Orakel ferner gesagt hat:
»Wird die geflickte Braut mit dem Verliebten vereinet:
Dann kommt Ruhe und Glück, Fragender, über dein Haus.«
Daß von dieser lieblichen Braut die Rede sei, das ist wohl keine Frage mehr. Wie wir sie aber mit dem lieben Prinzen vereinen sollen, das seh ich noch nicht ein. Ich will auch nicht darüber nachdenken; das ist der Götter Sache! Aber geflickt muß sie zuerst werden, das ist klar, und das ist unsere Sache!
Er tut den Sack wieder an den vorigen Ort, die Mädchen helfen dazu, und man bittet, daß alles mit der größten Dezenz geschehe. Darauf wird die
Maske wieder vorgebunden und die Puppe in gehörige Positur gesetzt.
SORA. Ich verstehe noch von allem dem kein Wort; und das, was mir an dem Orakel nicht gefällt, ist, daß es von so gemeinen Sachen und in so niedrigen Ausdrücken spricht.
ANDRASON. Liebes Kind, die gemeinen Sachen haben auch ihr hohes Interesse, und ich verzeihe dir, daß du den tiefen Sinn des Orakels nicht einsiehst.
MANA. Nun, so seid nicht so geheimnisvoll, erklärt einem was.
ANDRASON. Ist es nicht deutlich, meine schönen Kinder, daß in diesen Papieren eine Art von Talisman steckt, daß in ihnen diese magische Gewalt liegt, die den Prinzen an eine abgeschmackte, ausgestopfte Puppe fesselt, wozu er die Gestalt von eines ehrlichen Mannes Frau geborgt hat? Seht ihr nicht, daß, wenn wir diese Papiere verbrennten, der Zauber aufhören und er seine Geliebte als ein hohles Bild der Phantasie gleich erkennen würde? Die Götter haben mir diesen Wink gegeben, und ich danke ihnen, daß ich sie nicht mißverstanden habe. O du liebliche, holde, geflickte Braut, möge die Kraft aller lügenhaften Träume auf dich herabsteigen! möge dein papiernes Herz, deine leinenen Gedärme so viel Kraft haben, den hoch und fein empfindenden Prinzen an sich zu ziehen, wie sonst magische Zeichen, geweihte Kerzen, Alraune und Totenköpfe Geister und Schätze an sich zu ziehen pflegen! – Die Laube war wohl der Aufenthalt dieser himmlischen Nymphe? Kommt! wir wollen sie verwahren, alles in Ordnung bringen, niemand etwas davon entdecken und der Mitwirkung der Götter fürs Folgende gewiß sein.
MANA. Andrason, nun kommt mir's erst wunderbar vor, daß Ihr da seid.
ANDRASON. Ein Seltsames verdrängt die Empfindung des andern.
SORA. Wie kommt Ihr so schnell wieder und in tiefer Nacht bei uns an?
ANDRASON. Laßt's euch sagen und klagen, meine lieben Kinder! Als ich von euch wegging, eilte ich gerade nach Hause. Ich machte den Weg in ziemlich kurzer Zeit; das Verlangen, mein Haus, meine liebe Frau wiederzusehen, wurde immer größer bei mir. Ich fühlte mich schon in ihren Armen und letzte mich für die lange Abwesenheit recht herzlich. Wie ich in meinen Schloßhof hineintrete, ihr Kinder, höre ich oben ein Gebrause, ein Getöne, Rufen,