Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen. Johann Wolfgang von Goethe

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      Vierter Auftritt

      Karoline. Breme.

      KAROLINE. Lieber Vater, wie geht's? was macht der junge Graf?

      BREME. Es ist eine starke Kontusion; doch ich hoffe die Läsion soll nicht gefährlich sein. Ich werde eine vortreffliche Kur machen, und der Herr Graf wird sich künftig, so oft er sich im Spiegel besieht, bei der Schmarre mit Achtung seines geschickten Chirurgi, seines Breme von Bremenfeld, erinnern.

      KAROLINE. Die arme Gräfin! wenn sie nur nicht schon morgen käme.

      BREME. Desto besser! und wenn sie den übeln Zustand des Patienten mit Augen sieht, wird sie, wenn die Kur vollbracht ist, desto mehr Ehrfurcht für meine Kunst empfinden. Standespersonen müssen auch wissen, daß sie und ihre Kinder Menschen sind; man kann sie nicht genug empfinden machen, wie verehrungswürdig ein Mann ist, der ihnen in ihren Nöten beisteht, denen sie wie alle Kinder Adams unterworfen sind, besonders ein Chirurgus. Ich sage dir, mein Kind, ein Chirurgus ist der verehrungswürdigste Mann auf dem ganzen Erdboden. Der Theolog befreit dich von der Sünde, die er selbst erfunden hat; der Jurist gewinnt dir deinen Prozeß und bringt deinen Gegner, der gleiches Recht hat, an den Bettelstab; der Medikus kuriert dir eine Krankheit weg, die andere herbei, und du kannst nie recht wissen, ob er dir genutzt oder geschadet hat: der Chirurgus aber befreit dich von einem reellen Übel, das du dir selbst zugezogen hast oder das dir zufällig und unverschuldet über den Hals kommt; er nutzt dir, schadet keinem Menschen, und du kannst dich unwidersprechlich überzeugen, daß seine Kur gelungen ist.

      KAROLINE. Freilich auch, wenn sie nicht gelungen ist.

      BREME. Das lehrt dich den Pfuscher vom Meister unterscheiden. Freue dich, meine Tochter, daß du einen solchen Meister zum Vater hast: für ein wohldenkendes Kind ist nichts ergetzlicher, als sich seiner Eltern und Großeltern zu freuen.

      KAROLINE mit traurigem Ton, wie bisher. Das tu ich, mein Vater.

      BREME sie nachahmend. Das tust du, mein Töchterchen, mit einem betrübten Gesichtchen und weinerlichen Tone. – Das soll doch wohl keine Freude vorstellen?

      KAROLINE. Ach, mein Vater!

      BREME. Was hast du, mein Kind?

      KAROLINE. Ich muß es Ihnen gleich sagen.

      BREME. Was hast du?

      KAROLINE. Sie wissen, der Baron hat diese Tage her sehr freundlich, sehr zärtlich mit mir getan; ich sagt' es Ihnen gleich und fragte Sie um Rat.

      BREME. Du bist ein vortreffliches Mädchen! wert, als eine Prinzessin, eine Königin aufzutreten.

      KAROLINE. Sie rieten mir, auf meiner Hut zu sein, auf mich wohl achtzuhaben, aber auch auf ihn; mir nichts zu vergeben, aber auch ein Glück, wenn es mich aufsuchen sollte, nicht von mir zu stoßen. Ich habe mich gegen ihn betragen, daß ich mir keine Vorwürfe zu machen habe; aber er –

      BREME. Rede, mein Kind, rede!

      KAROLINE. O, es ist abscheulich. Wie frech, wie verwegen! –

      BREME. Wie? Nach einer Pause. Sage mir nichts, meine Tochter, du kennst mich, ich bin eines hitzigen Temperaments, ein alter Soldat; ich würde mich nicht fassen können, ich würde einen tollen Streich machen.

      KAROLINE. Sie können es hören, mein Vater, ohne zu zürnen; ich darf es sagen, ohne rot zu werden. Er hat meine Freundlichkeit übel ausgelegt, er hat sich in Ihrer Abwesenheit, nachdem Luise auf das Schloß geeilt war, hier ins Haus geschlichen. Er war verwegen, aber ich wies ihn zurechte. Ich trieb ihn fort, und ich darf wohl sagen: seit diesem Augenblick haben sich meine Gesinnungen gegen ihn geändert. Er schien mir liebenswürdig, als er gut war, als ich glauben konnte, daß er es gut mit mir meinte; jetzt kommt er mir vor, schlimmer als jeder andere. Ich werde Ihnen alles, wie bisher, erzählen, alles gestehen und mich Ihrem Rat ganz allein überlassen.

      BREME. Welch ein Mädchen! welch ein vortreffliches Mädchen! O ich beneidenswerter Vater! Wartet nur, Herr Baron, wartet nur! Die Hunde werden von der Kette loskommen und den Füchsen den Weg zum Taubenschlag verrennen. Ich will nicht Breme heißen, nicht den Namen Bremenfeld verdienen, wenn in kurzem nicht alles anders werden soll.

      KAROLINE. Erzürnt Euch nicht, mein Vater.

      BREME. Du gibst mir ein neues Leben, meine Tochter; ja, fahre fort, deinen Stand durch deine Tugend zu zieren, gleiche in allem deiner vortrefflichen Urgroßmutter, der seligen Bürgemeisterin von Bremenfeld. Diese würdige Frau war durch Sittsamkeit die Ehre ihres Geschlechts und durch Verstand die Stütze ihres Gemahls. Betrachte dieses Bild jeden Tag, jede Stunde, ahme sie nach und werde verehrungswürdig wie sie! Karoline sieht das Bild an und lacht. Was lachst du, meine Tochter?

      KAROLINE. Ich will meiner Urgroßmutter gern in allem Guten folgen, wenn ich mich nur nicht anziehen soll wie sie. Ha, ha, ha! Sehn Sie nur, so oft ich das Bild ansehe, muß ich lachen, ob ich es gleich alle Tage vor Augen habe, ha, ha, ha! Sehn Sie nur das Häubchen, das wie Fledermausflügel vom Kopfe lossteht.

      BREME. Nun, nun! zu ihrer Zeit lachte niemand darüber, und wer weiß, wer über euch künftig lacht, wenn er euch gemalt sieht; denn ihr seid sehr selten angezogen und aufgeputzt, daß ich sagen möchte, ob du gleich meine hübsche Tochter bist: sie gefällt mir! Gleiche dieser vortrefflichen Frau an Tugenden und kleide dich mit besserm Geschmack, so hab' ich nichts dagegen, vorausgesetzt, daß, wie sie sagen, der gute Geschmack nicht teurer ist als der schlechte. Übrigens dächt' ich, du gingst zu Bette; denn es ist spät.

      KAROLINE. Wollen Sie nicht noch Kaffee trinken? das Wasser siedet, er ist gleich gemacht.

      BREME. Setze nur alles zurechte, schütte den gemahlenen Kaffee in die Kanne, das heiße Wasser will ich selbst darüber gießen.

      KAROLINE. Gute Nacht, mein Vater! Geht ab.

      BREME. Schlaf wohl, mein Kind.

      Fünfter Auftritt

      BREME allein. Daß auch das Unglück just diese Nacht geschehen mußte! Ich hatte alles klüglich eingerichtet, meine Einteilung der Zeit als ein echter Praktikus gemacht. Bis gegen Mitternacht hatten wir zusammen geschwatzt, da war alles ruhig; nachher wollte ich meine Tasse Kaffee trinken, meine bestellten Freunde sollten kommen zu der geheimnisvollen Überlegung. Nun hat's der Henker! Alles ist in Unruhe. Sie wachen im Schloß, dem Kinde Umschläge aufzulegen. Wer weiß, wo sich der Baron herumdrückt, um meiner Tochter aufzupassen. Beim Amtmann seh' ich Licht, bei dem verwünschten Kerl, den ich am meisten scheue. Wenn wir entdeckt werden, so kann der größte, schönste, erhabenste Gedanke, der auf mein ganzes Vaterland Einfluß haben soll, in der Geburt erstickt werden. Er geht ans Fenster. Ich höre jemand kommen; die Würfel sind geworfen, wir müssen nun die Steine setzen; ein alter Soldat darf sich vor nichts fürchten. Bin ich denn nicht bei dem großen unüberwindlichen Fritz in die Schule gegangen?

      Sechster Auftritt

      Breme. Martin.

      BREME. Seid Ihr's, Gevatter Martin?

      MARTIN. Ja, lieber Gevatter Breme, das bin ich. Ich habe mich ganz stille aufgemacht, wie die Glocke zwölfe schlug, und bin hergekommen; aber ich habe noch Lärm gehört und hin und wider gehen, und da bin ich im Garten einigemal auf und ab geschlichen, bis alles ruhig war. Sagt mir nur, was Ihr wollt, Gevatter Breme, daß wir so spät bei Euch zusammenkommen, in der Nacht; konnten wir's denn nicht bei Tag abmachen?

      BREME. Ihr sollt alles erfahren, nur müßt Ihr Geduld haben, bis die andern alle beisammen sind.

      MARTIN. Wer soll denn noch alles kommen?

      BREME. Alle unsere guten Freunde, alle vernünftigen Leute. Außer Euch, der Ihr Schulze von dem Ort hier seid, kommt noch Peter, der Schulze von Rosenhahn, und Albert, der Schulze von Wiesengruben; ich hoffe, auch Jakob wird kommen, der das hübsche Freigut besitzt. Dann sind recht ordentliche und vernünftige Leute beisammen, die schon was ausmachen können.

      MARTIN. Gevatter Breme, Ihr seid ein wunderlicher Mann; es ist Euch alles eins, Nacht und Tag, Tag und Nacht, Sommer und Winter.

      BREME.


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