Seerosenzauber. Heidi Oehlmann

Seerosenzauber - Heidi Oehlmann


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ist.

      Seit ich denken kann, will ich nur kochen. Zu einem kleinen Teil konnte ich mir den Traum schon erfüllen. Die Ausbildung zur Köchin habe ich abgeschlossen und arbeite nun in einer Küche. Leider habe ich dort nichts zu melden. Ich bin nur eine von vielen, die Anweisungen befolgen muss. Kreativ ist nur der Küchenchef. Er ist der Einzige, der neue Rezepte entwickeln darf. Wir anderen müssen seine Kreationen nach Anweisung zubereiten. So hatte ich mir meinen Traumjob nicht vorgestellt. Dafür ist die Bezahlung anständig und bringt mich meinem Traum ein Stück näher. Jeden Monat lege ich einen Großteil meines Gehalts zur Seite. Zum Glück muss ich keine Miete bezahlen, da ich im Haus meiner Großeltern lebe.

      Ich bleibe stehen, schaue in den Himmel und seufze. Der Mensch, dem ich meine Leidenschaft zum Kochen verdanke, wird das alles nicht mehr miterleben. Meine Oma ist vor acht Jahren an Herzversagen gestorben. Nichts hatte darauf hingedeutet. Im Gegenteil. Anneliese Blum war einer der fittesten Menschen, die ich kannte. Von ihr konnte sich so manch einer der jüngeren Generationen eine Scheibe abschneiden. Sie war wie ein Wirbelwind.

      Ich liebte es, mit ihr zusammen in der Küche zu stehen. Trotz meiner Lehre lernte ich von ihr noch einige Kniffe. Ihre Rezepte waren einzigartig. Bereits als kleines Mädchen faszinierte es mich, ihr dabei zuzusehen, wie sie uns die leckersten Speisen zubereitet hatte.

      Bei dem Gedanken an unsere gemeinsame Zeit kommen mir die Tränen.

      Bevor ich sie mir von den Wangen wischen kann, werde ich hart zur Seite gestoßen. Ich falle hin. Zum Glück ist der Aufprall gedämpft, da ich im Gras lande.

      Ich schaue mich nach dem Übeltäter um, in der Erwartung jemand würde mit schuldbewusster Miene vor mir stehen und sich für sein Verhalten entschuldigen. Doch da ist keiner, zumindest nicht in meiner unmittelbaren Nähe.

      Ich kann nur die Rückansicht eines Joggers erkennen, der sich von mir entfernt. Sonst sehe ich niemanden. Also muss er mich zur Seite gestoßen haben.

      »Hey, du Idiot!«, brülle ich ihm hinterher.

      Doch er reagiert nicht. Entweder hat er mich nicht gehört oder er ignoriert mich konsequent.

      Kopfschüttelnd schaue ich ihm nach, bis er aus meinem Sichtfeld verschwunden ist.

      Wütend erhebe ich mich und untersuche meinen Körper auf Verletzungen. Bis auf ein paar Grasflecken auf der Hose scheine ich unbeschadet davon gekommen zu sein.

      Um sicherzugehen, lege ich die ersten Meter langsam zurück, bevor ich wieder in einen Laufschritt verfalle und mein Tempo wiederfinde.

      Gedankenverloren laufe ich weiter, bis ich an einer Bank einen Jogger wahrnehme, der dabei ist, sich zu dehnen.

      Seine Kleidung kommt mir bekannt vor. Er trägt die gleiche schwarze Hose und ein T-Shirt im identischen Blauton, wie der Flegel, der mich vor wenigen Minuten zur Seite gestoßen hat. Auch seine Rückansicht stimmt überein.

      Wutentbrannt stürme ich auf ihn zu, stemme meine Hände in die Hüften und schreie ihn an. »Was stimmt mit Ihnen nicht? Erst schubsen Sie Menschen um und dann halten Sie es nicht für nötig, sich zu entschuldigen! Ich hätte mir sonst was brechen können und Sie hätten mich einfach da liegen lassen. Schämen sollten Sie sich!« Mir liegen noch sämtliche Schimpftiraden auf der Zunge, die ich abfeuern möchte, doch als der Typ sich umdreht, verstumme ich. Er ist der bestaussehende Kerl, der mir je begegnet ist. Seine braunen Augen mustern mich von Kopf bis Fuß. Es fühlt sich an, als würde ich nackt vor ihm stehen.

      Während er mich betrachtet, tue ich es ihm gleich und lasse meine Augen über seinen muskulösen Körper wandern. Ich schaffe es gerade noch, ein entzücktes Seufzen zu unterdrücken.

      Dem Fremden ist sein gutes Aussehen durchaus bewusst. Er schenkt mir ein wissendes Grinsen, bevor er den Mund öffnet. »Reden Sie mit mir?«, fragt er scheinheilig.

      Ich atme tief durch und sammle mich. »Sehen …«, piepse ich.

      Das ermutigt den Kerl, noch breiter zu grinsen.

      Seine Arroganz macht mich wütend.

      Ich räuspere mich und setze zu einem neuen Versuch an. »Sehen Sie hier noch jemanden?«, frage ich mit fester Stimme. »Sie haben mich da hinten«, ich deute mit dem Finger in die Richtung, aus der ich gekommen bin, »einfach umgestoßen und sind weitergelaufen, als ob nichts geschehen wäre! Wollen Sie das jetzt etwa abstreiten?«

      »Nein, ich will gar nichts abstreiten.«

      »Also geben Sie es zu?«, frage ich verwundert.

      »Nein.«

      Ich starre ihn ungläubig an. »Sondern?«

      »Nichts. Ich muss mich für nichts rechtfertigen, was ich nicht getan habe«, antwortet er noch immer grinsend.

      Für einen Moment bin ich unsicher, ob er wirklich der Täter ist. Allerdings glaube ich nicht an Zufälle. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn es zwei Typen von dieser Sorte gäbe. Doch ich habe keine Beweise für das, was er getan hat. Zeugen gab es keine. Also steht Aussage gegen Aussage. Somit ist es sinnlos weiter mit ihm zu diskutieren.

      Wutschnaubend straffe ich die Schultern und gehe wortlos an dem Typen vorbei. Ich spüre seinen Blick in meinem Rücken. Es fühlt sich unangenehm an. Damit ich seinen Blicken schneller entkommen kann, beschleunige ich mein Tempo in einen ordentlichen Laufschritt.

      Obwohl meine Joggingrunde eigentlich noch nicht beendet ist, beschließe ich den Heimweg anzutreten. Ich will raus aus dem Park.

      Ich nehme den nächsten Pfad, der aus dem Park auf die Straße führt, und quäle mich durch die überfüllten Straßen. Zwischendurch muss ich etlichen Menschen ausweichen.

      ***

      »Guten Morgen, meine Kleine!«, begrüßt mich mein Großvater, als ich wenig später die Küche betrete.

      Er sitzt bereits am Küchentisch und schlürft seinen ersten Kaffee.

      »Morgen, Opa«, erwidere ich, während ich zu ihm gehe und ihm einen Kuss auf die Wange gebe.

      »Du bist aber heute früh zurück«, stellt er fest. »Ist alles in Ordnung?« Er schaut mich mit einer Mischung aus Neugier und Sorge an.

      »Ja, es ist alles gut. Ich wollte vor der Arbeit nur noch etwas erledigen«, rede ich mich raus.

      Ich kann meinem Großvater ansehen, dass er mir nicht glaubt, doch er sagt nichts. Er kennt mich eben gut genug und weiß, wie sinnlos es ist, mich in die Enge zu treiben.

      »Wo ist Waldi?«, frage ich, um vom Thema abzulenken.

      »Ich schätze, in seinem Körbchen.«

      Ich nicke wissend.

      »Warst du mit ihm draußen?«, erkundige ich mich.

      »Ja.«

      Ich weiß, dass die beiden nur vor der Tür waren. Wenn Waldi nicht gerade in der Küche ist, um zu fressen, schläft er am liebsten. Der Dackel ist mit seinen elf Jahren nicht mehr der Jüngste und das zeigt er auch. Früher konnte ich mit ihm stundenlang spazieren gehen. Inzwischen bin ich froh, ihn überhaupt nach draußen zu bekommen, damit er sein Geschäft verrichtet. Ab und zu lässt er sich zu einer winzigen Gassirunde überreden, aber nur, wenn die Bedingungen stimmen. Es darf nicht regnen oder zu kalt sein.

      »Ich springe schnell unter die Dusche«, sage ich und haste die Treppe nach oben.

      »Gut, ich mache uns Frühstück«, ruft mein Opa mir hinterher.

      Normalerweise hat er den Tisch bereits gedeckt, wenn ich vom Joggen zurück bin. Das hat sich im Laufe der Zeit so ergeben. Früher hatte meine Oma das Frühstück für uns gemacht. Nach ihrem Tod habe ich es eine Weile übernommen. Doch irgendwann hat mein Opa sich der Sache angenommen. Er meint, ich hätte genug zu tun und er bräuchte auch ein paar Aufgaben. Also überließ ich es ihm. Im Grunde bin ich über jede Kleinigkeit froh, die er mir abnimmt. Inzwischen ist er mit seinen 79 Jahren nicht mehr der Jüngste. Leider macht sich das immer häufiger bemerkbar. In den letzten


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