Seerosenzauber. Heidi Oehlmann
Aber Maja?«
»Ja?«
»Bitte bring es ihm schonend bei! Er soll sich nicht aufregen!«
»Okay, das mache ich«, antworte ich und schaue dem Küchenchef und den Sanitätern nach, wie sie das Büro verlassen.
Ich starre eine Weile auf die Tür, um die Informationen zu verarbeiten. Es ist schwer zu begreifen, dass Eduard nun auf unbestimmte Zeit nicht in der Küche sein wird. Seine Worte wollen mein Gehirn nicht so recht erreichen. Er hat mir nie gesagt, was er von mir hält. Ich hätte nie gedacht, sein Vertrauen zu genießen. Er hat mich immer genauso streng behandelt, wie alle anderen. Seine Worte schmeicheln mir und schockieren mich gleichzeitig.
Nach einigen Minuten fange ich mich endlich und eile zum Schreibtisch. Manfreds Nummer ist in der Adresskartei auf dem Tisch. Ich suche die richtige Seite heraus und wähle seine Handynummer.
2. Gregor - Freitag
»Guten Morgen, Chef«, begrüßt mich meine Sekretärin, als ich das Vorzimmer meines Büros betrete.
Rosalie ist die gute Seele des Hauses. Für ihre einundsechzig Jahre hat sie sich gut gehalten. Wenn ich nicht wüsste, wie alt sie ist, würde ich sie auf Ende vierzig schätzen. Nur die grauen Haare, die in den letzten Jahren immer mehr geworden sind, verraten ihr Alter. Noch vor wenigen Jahren waren es ein paar vereinzelte Strähnen, die zwischen ihrem schwarzen Haar sichtbar waren. Inzwischen hat sich das Verhältnis umgekehrt. Von dem Schwarz ist nur noch wenig zu sehen. Doch Rosalie ist alles andere als eitel, sie steht zu ihrer natürlichen Haarfarbe. Sie ist eine der wenigen Frauen in meinem Leben, die sich nicht bis zur Unkenntlichkeit anmalen. Außerdem ist sie sehr herzlich. Für die Menschen, die sie liebt, kämpft sie wie eine Löwin.
»Guten Morgen, Rosalie!« Ich nicke ihr zu und gehe an ihr vorbei in mein Büro. Hinter mir schließe ich die Tür und atme tief durch.
Wie jeden Morgen genieße ich die ersten Minuten der Stille, bevor es hektisch wird. In einer halben Stunde beginnt unsere offizielle Öffnungszeit, bis dahin trudeln die restlichen Mitarbeiter ein.
Rosalie kommt meist eine Stunde früher und ist die erste. Durch meine morgendliche Joggingrunde treffe ich immer nach ihr ein.
Ich starte meinen Computer und lehne mich zurück. In Gedanken bin ich noch bei der Begegnung von heute Morgen. Ich sehe die leuchtend grünen Augen vor mir, die der Frau gehören, die behauptet hat, ich hätte sie geschubst. Dabei kann ich mich nicht daran erinnern, sie überhaupt berührt zu haben. Entweder war es ein Versuch, mich anzubaggern oder ich war so in Gedanken, dass ich es nicht bemerkt hatte. So sauer, wie die Kleine war, ist die erste Möglichkeit undenkbar. Sie könnte also im Recht sein. Trotzdem stritt ich es ab, sie umgestoßen zu haben.
Ich hätte es zugeben und sie nach ihrer Nummer fragen sollen.
Ein Klopfen an der Tür holt mich aus meinen Gedanken. »Ja«, rufe ich.
Die Tür wird geöffnet und Rosalie kommt mit einer Tasse Kaffee in der Hand hinein, die sie auf meinem Schreibtisch abstellt.
»Danke, du bist ein Schatz!«, sage ich und lächle meine Sekretärin an.
Insgeheim hoffe ich, sie in vier Jahren nicht an den Ruhestand zu verlieren. Die Hoffnung ist gering. Sie schwärmt mir ständig vor, wohin sie noch reisen will. Ihr Mann ist bereits in Rente und langweilt sich zu Hause zu Tode. Ihm wäre es am liebsten, wenn Rosalie ebenfalls sofort in den Ruhestand ginge und die beiden die Welt bereisen könnten.
Rosalie ist hin und her gerissen. Sie betont immer, wie gern sie für mich arbeitet und wie sehr sie es vermissen würde, wenn es vorbei wäre. Gleichzeitig ist sie vom Fernweh gepackt.
Sie lächelt mir mit ihrem typischen warmen Lächeln zu. »Gerne. Mittlerweile kenne ich deine Koffeinvorliebe.«
Ich lache laut auf. Meine Sekretärin kennt mich wirklich gut, besser als meine Eltern.
»Ach ja, Cindy von der Buchhaltung hat um einen kurzfristigen Termin gebeten. Ich habe sie heute dazwischen gequetscht. Ich hoffe, es ist okay.«
Ich seufze. »Klar. Scheint wichtig zu sein«, antworte ich. Insgeheim weiß ich, worauf ihr Besuch hinauslaufen soll. Mit Rosalie möchte ich aber nicht darüber reden.
»Bestimmt, was es genau ist, wollte sie mir nicht sagen.«
Ich nicke. »Na schön, dann wollen wir mal«, murmle ich gedankenverloren und greife nach der Maus. Seit ich die Firma gegründet habe, komme ich immer seltener dazu, meiner Leidenschaft, dem Programmieren, nachzugehen. In den letzten Jahren sind wir so gewachsen, dass ich zu viele andere Dinge zu tun habe. Mein Highlight sind die Besprechungen mit den Programmierern, wenn sie mir ihre Arbeit zeigen. Hin und wieder tüftle ich noch mit ihnen an Problemen. Leider ist das nur ein winziger Bruchteil meiner Arbeitszeit.
***
Es klopft an der Tür, als ich gerade damit beschäftigt bin, E-Mails von Kunden zu beantworten.
»Herein«, rufe ich und schaue auf.
Rosalie steckt den Kopf zur Tür hinein und hält einen Stapel Briefumschläge in der Hand. »Ich bringe dir die Post«, sagt sie und kommt herein. »Cindy ist auch schon da. Soll ich sie dir gleich reinschicken?«
»Okay, danke. Gib mir zwei Minuten, damit ich die Mail zu Ende schreiben kann.«
»Gut.«
Rosalie verlässt das Zimmer.
Ich lese meine Antwort an den Kunden noch einmal durch und überprüfe sie auf Fehler. Nachdem ich keine finden kann, drücke ich auf Senden und lehne mich zurück.
Mein Schreibtisch ist voll mit Arbeit, aber etwas Neues anzufangen, lohnt sich nicht, da die Buchhalterin jeden Moment hineinkommen wird.
Ich hoffe für sie, dass es wirklich wichtig ist. Bei Cindy weiß man das nie. Sie kam schon häufiger unter einem Vorwand zu mir.
Es klopft erneut an meiner Bürotür.
Ich atme tief durch und setze mich aufrecht hin. »Herein!«, rufe ich mit fester Stimme.
Die Tür geht auf und eine aufgetakelte Cindy betritt das Büro. Ihr schwarzer Rock ist kurz genug, um als Gürtel durchzugehen. Die weiße Bluse, die sie anhat, sieht aus, als würde sie jeden Moment explodieren wollen. Sie sitzt sehr eng und hat ordentlich damit zu tun, Cindys Oberweite zu halten. Die oberen beiden Knöpfe sind bereits geöffnet und bieten einen tiefen Einblick. Sie trägt wieder einmal High Heels, in denen sie kaum laufen kann. Sobald sie etwas schneller gehen muss, sieht sie aus, als würde sie über rohe Eier balancieren.
Ich schaue meiner Buchhalterin ins Gesicht. Wie immer ist sie stark geschminkt. Ich würde jede Wette eingehen, sie ungeschminkt nicht zu erkennen.
Ihre blonden Haare sind hochgesteckt, nur vereinzelte Strähnen hängen heraus. Ich bin mir sicher, Cindy hat sie mit Absicht so drapiert.
Sie trägt eine Mappe unter dem Arm und setzt ein Lächeln auf, als sie meine Musterung bemerkt.
Ich wende meinen Blick von ihr ab. »Bitte!«, sage ich und deute auf einen der Besucherstühle.
In Zeitlupe setzt sich meine Buchhalterin auf den Stuhl, der meinem genau gegenübersteht. Dabei achtet sie darauf, ihre Brust rauszustrecken und sich möglichst lange gebückt zu halten, um mir einen Einblick auf ihre Oberweite zu gewähren.
»Was gibt es so Dringendes?«, erkundige ich mich.
»Nun ja …«, stammelt sie.
Das Gestammel reicht mir, um zu wissen, wie unnötig dieser Termin ist.
»Was?«, frage ich in einem schroffen Ton.
»Ich habe da eine Buchung entdeckt, die ich nicht zuordnen kann.« Cindy starrt mich an und zieht dabei einen Schmollmund.
»Aha. Und?«
Sie erhebt sich im Schneckentempo, läuft um den Schreibtisch