Seerosenzauber. Heidi Oehlmann

Seerosenzauber - Heidi Oehlmann


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Arzt zu schleppen, aber er weigert sich konsequent. In dem Punkt ist mein Opa August stur, wie ein Maulesel. Er meint, dass alles kommt, wie es kommen muss und die Menschen früher auch nicht wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt gegangen sind.

      Meine Argumentation interessiert ihn nicht. Obwohl es sinnlos ist, gebe ich nicht auf und versuche, ihn in regelmäßigen Abständen zu einem Arztbesuch zu überreden.

      ***

      »Ich muss los«, sage ich erschrocken, als ich einen Blick auf meine Armbanduhr werfe. In einer halben Stunde muss ich auf der Arbeit sein. Da das Restaurant auf der anderen Seite der Stadt liegt, wird es knapp, rechtzeitig zu meiner Schicht anzukommen.

      Beim Thema Pünktlichkeit versteht der Küchenchef keinen Spaß. Er ist generell ein humorloser Mensch. Seit ich ihn kenne, habe ich ihn noch nie lächeln sehen. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, ob er dazu überhaupt in der Lage ist. Dafür ist Schreien eine Disziplin, die er perfekt beherrscht. Er brüllt jeden in seiner Küche an, selbst um jemandem etwas mitzuteilen. Als ich in dem Laden anfing, war der Umgang viel herzlicher. Der ehemalige Chef Bill wurde niemals laut, sogar wenn jemand den größten Mist gebaut hatte, blieb er ruhig. Mit ihm zu arbeiten hatte mir immer Spaß gemacht. Deshalb war ich glücklich, dass er mich nach der Lehre als Köchin eingestellt hatte.

      Leider ist er vor einem Jahr in Rente gegangen. Ich hätte den Laden gerne übernommen. Nur fehlte mir das nötige Kleingeld, um ihm alles abzukaufen. Also musste er sich nach einem anderen Käufer umsehen. Es gab nicht allzu viele Interessenten. Am Ende war Bill froh, als Eduard auftauchte und das Restaurant übernahm. Mit ihm wechselte nicht nur der Name von Bills Gasthaus in Eduards. Auch die Küche änderte sich von einer bodenständigen in eine gehobene.

      Obwohl Eduard so ein Griesgram ist, lieben die Gäste seine Kochkünste. Von seinem ersten Tag an war das Restaurant besser besucht als bei Bill.

      Erst vermutete ich, die Leute würden aus Neugier kommen. Vielleicht taten sie es auch, aber da der Ansturm bis heute so geblieben ist, muss es an der Küche liegen.

      Selbst der angrenzende Saal ist dauerhaft ausgebucht. Die Leute feiern dort Geburtstage, Hochzeiten und Jubiläen. So weit ich zurückdenke, kann ich mich nicht daran erinnern, dass es unter Bills Herrschaft jemals so gewesen war. Wenn es zwei Buchungen im Monat gab, war es schon viel.

      Mittlerweile wird der Saal sogar wochentags gebucht. Das gab es früher nie.

      Ich erhebe mich, verpasse meinem Opa einen Kuss auf die Wange und stürze aus dem Haus. Zum Glück läuft mein Wagen wieder, sodass ich nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen bin.

      In der letzten Woche stand mein kleines in die Jahre gekommenes Auto in der Werkstatt und ich verbrachte viel Zeit an Bushaltestellen. Mein Arbeitsweg hatte wesentlich länger gedauert. Gefühlt gibt es Hunderte von Haltestellen, die der Busfahrer von einem Ende der Stadt bis zum anderen Ende ansteuert. Auch das Einkaufen war anstrengend. Nicht nur, weil die Bushaltestelle ein Stück vom Supermarkt entfernt ist. Es ist auch gewöhnungsbedürftig, die Einkäufe mit sich rumschleppen zu müssen, statt sie einfach auf dem Supermarktparkplatz in den Kofferraum zu räumen und sie vor der Haustür wieder rauszuholen.

      Der KFZ-Mechaniker hatte mir mitgeteilt, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis mein Auto erneut liegen bleibt. Er hatte mir zuvor schon von einer Reparatur abgeraten. Aber der Kauf eines neuen Autos kostet Geld. Es würde meine Ersparnisse schmälern. Natürlich werde ich irgendwann ein anderes Auto anschaffen müssen. Spätestens, wenn ich selbstständig bin, brauche ich ein zuverlässiges Fahrzeug.

      Wenn ich ehrlich bin, versuche ich die Neuanschaffung so lange hinauszuzögern, wie es geht, da es sich bei dem schrottreifen Gefährt um mein erstes Auto handelt. Ich habe es damals von meinen Großeltern geschenkt bekommen. Meine Oma hatte es hauptsächlich ausgesucht. Das macht mir die Trennung besonders schwer. Es ist, als würde ich einen Teil von ihr mit dem Fahrzeug zusammen weggeben.

      Ich starte den Motor und bin erleichtert, als mein Wagen gleich beim ersten Versuch anspringt.

      ***

      »Schön, dass du auch schon kommst!«, schreit mich Eduard an, als ich in Küchenmontur die Küche betrete.

      Ich sage nichts. Immerhin hat meine Schicht vor fünf Minuten begonnen.

      Dafür, dass auf den Straßen heute so viel los war, bin ich relativ gut durchgekommen. Hätte ich mich nicht noch umziehen müssen, wäre ich rechtzeitig in der Küche gewesen.

      Am liebsten möchte ich Eduard für seine Kleinlichkeit in die Schranken weisen. Aber ich verkneife es mir. Eduard hat nicht nur seine Prinzipien, gleichzeitig fällt es ihm schwer, Kritik einzustecken.

      Vor einigen Monaten beschwerte sich ein Gast. Er meinte, sein Fisch wäre noch roh. Statt sich bei ihm zu entschuldigen, diskutierte Eduard so lange mit ihm, bis er entnervt das Restaurant verließ. Als Köchin weiß ich, dass der Gargrad so gewollt war, aber ich verstehe auch, wenn Menschen ihren Fisch richtig durchgegart haben wollen. Geschmäcker sind eben verschieden.

      Die meisten Kellner versuchen, die Kritik von unserem Küchenchef fernzuhalten. Das funktioniert allerdings nur so lange, wie der Gast keine Nachbesserung fordert. Wenn ein voller Teller zurück in die Küche gebracht wird, bekommt Eduard das mit. Er kann noch so beschäftigt sein, das entgeht ihm nie. Es ist fast, als hätte er ein Radar dafür, der anschlägt, sobald etwas nicht stimmt.

      Ich stehe vor ihm und schaue betreten zu Boden.

      »Was ist? Brauchst du eine Extraeinladung? Oder schaffst du es an deinen Arbeitsplatz?« Er deutet mit dem Messer in seiner Hand auf die andere Seite der Küche.

      Statt einer Antwort nicke ich ihm zu und eile davon.

      Bevor der Betrieb richtig losgeht, müssen sämtliche Vorbereitungen getroffen werden. Das sind die Momente, in denen ich mir vorkomme, als wäre ich eine Küchenhilfe statt einer ausgebildeten Köchin. Wie jeden Tag liegt auf meinem Arbeitsplatz jede Menge Gemüse, das geschnippelt werden muss.

      Neben mir steht mein Kollege John und ist dabei, Fisch zu filetieren.

      Er schaut zu mir und nickt mir mitleidig zu, bevor er sich wieder seiner Arbeit widmet.

      Wir trauen uns beide nicht, während der Arbeitszeit zu reden. Eduard sieht es überhaupt nicht gern, wenn in seiner Küche Privatgespräche stattfinden. Ein »Wie geht es dir?« ist ihm schon zu viel. Wenn seine Köche miteinander sprechen, dann darf es nur um berufliche Dinge gehen, dabei sollte möglichst laut geredet werden, damit der Küchenchef auch alles mitbekommt.

      Private Gespräche müssen wir uns für die Pausen aufheben.

      Das Arbeitsklima ist rau, wenn Eduard da ist. Und er ist so gut wie immer in der Küche. Er kommt vor uns und geht erst nach uns. Manchmal habe ich den Verdacht, er schläft hier. Vielleicht hat er in irgendeinem Regal einen Schlafsack versteckt, den er hervor holt, sobald wir weg sind. Anders kann ich mir nicht erklären, dass er fast täglich eine neue Kreation auffährt. Während des Kundenzulaufs kommt er kaum zum Experimentieren. Das geschieht immer nach Ladenschluss. Die Köche müssen am nächsten Tag vor Dienstbeginn seine neuesten Experimente bewerten. Manches ist wirklich sehr lecker, aber die meisten seiner Schöpfungen sind eher gewöhnungsbedürftig.

      Durch meine Verspätung bin ich wohl um ein Urteil herumgekommen. Die anderen werden die Verkostung bereits hinter sich gebracht haben.

      Normalerweise bin ich eine Viertelstunde vor Dienstantritt hier. Heute bin ich das erste Mal zu spät gekommen. Ich weiß nicht, warum ich die Zeit beim Frühstück aus den Augen verloren hatte. Vielleicht liegt es an dem Sturz, der mir von diesem arroganten Fremden beschert wurde.

      »Maja!«, lässt mich eine laute Männerstimme an meinem Ohr zusammenzucken. Obwohl ich mir angewöhnt habe, in der Küche Ohrenstöpsel zu tragen, ist die Stimme des Küchenchefs immer noch deutlich genug, um mich zu erschrecken. Wenn ich mir nichts in die Ohren stecken würde, wäre ich längst taub. Den Tipp hat mir John gegeben. Er benutzt die Dinger seit dem zweiten Tag.

      Ich drehe mich ruckartig um und sehe Eduard mit einem


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