Geliebter Unhold. Billy Remie
hatte, dann, dass nichts einfach nur Schwarz und Weiß war, und Riath war gewiss nicht einfach nur grausam. Er war ein dummer Junge gewesen, gewiss, der so groß und legendär wie sein Vater hatte sein wollen, und der von einer kalten Mutter dazu erzogen wurde, um jeden Preis ein König zu sein. Sie hatte ihm eingebläut, dass Mord in Ordnung war. Nein, Kacey konnte nicht nur der Mutter die Schuld geben, das wusste er, Riath war für seine Taten selbst verantwortlich, doch Kacey … verstand ihn. Er war schockiert gewesen, aber er hatte den jungen Burschen verstanden, der diese dumme, ungeheuerliche Tat verübt hatte.
Er war mit Riath verschmolzen, hatte seine Verzweiflung gefühlt, sein Bedauern, als wären es seine eigenen Gefühle gewesen, hatte mit ihm schreien und weinen und sich selbst hassen wollen, hatte mit ihm zusammen die Tat akzeptiert und hingenommen, dass das Schicksal ihn bestrafen würde. Er hatte diesen zerstörten Jungen in sich aufgenommen, Mitleid empfunden, und vor allem hatte er in ihn hineingesehen und seinen Schmerz gespürt, seine Einsamkeit.
Jemand, der so sehr litt, der konnte nicht herzlos sein. Jemand, der so viel Reue empfand, würde sich für Gerechtigkeit einsetzen.
Und genau das hatte Riath auch getan, wenn auch auf eine äußerst blutige Art.
Was tat er bloß, wieso wollte er Entschuldigen für ihn finden?
Weil du sein Herz kennst und weißt, dass er nicht nur ein kaltblütiger Gegner, sondern auch ein starker, liebender Beschützer war. Und dass die Magier – dass DU – diese Mischung vielleicht brauchen.
Sarsars Tod war unentschuldbar, doch alles, was Riath danach getan hatte, war für Kacey sogar nachvollziehbar, auch wenn er es gar nicht verstehen wollte. Riath führte Krieg mit seinen Feinden, und Kacey war nicht so naiv zu glauben, dass dabei irgendeine Seite ihre Hände in Unschuld wusch. Vielleicht bedeutete Freiheit am Ende, sie sich zu erkämpfen. Wer wusste das besser als ein ehemaliger Sklave? Mit netten Bitten ließen sich die, die Macht über einen hatten, nur selten erweichen, die Welt mit den Augen derer zu sehen, die ihren Launen ausgeliefert waren.
Eine Berührung an seiner Wange ließ ihn in die Gegenwart zurückkehren. Riaths Gesicht war dem seinem so nahe, ihr Atem vermischte sich, sie sogen dieselbe Luft in ihre Münder.
»Du warst ein Junge, der einen Fehler begangen hat, einen schrecklichen, und du wusstest um deine Tat, du hast sie nie verleugnet oder dich gerechtfertigt, weder vor mir noch vor dir selbst«, sagte Kacey zu ihm, direkt in diese klugen, abgeklärten Augen. »Wer bist du heute? Ein Mann, der sich auf die Schulter klopft?«
Riath schlug die Augen nieder, seine Hand glitt von Kaceys Gesicht. »Und ich dachte, du kennst mich.« Er ließ von ihm ab, trat einen Schritt zurück, dann noch einen. »Es vergeht kein Augenblick, an dem ich es nicht bereue, was ich meinem Bruder angetan habe, doch ich bin kein Mann, der in Selbstmitleid zerfließt, ich lerne damit zu leben. Wenn ich mir nicht vergeben kann, wird es niemand sonst tun.«
Kacey fühlte sich, als ob ein kühler Windzug ihn erfasste, er fröstelte, verschränkte die Arme und blickte zur Seite weg.
»Kacey…«, versuchte Riath, zu ihm durchzudringen, klang ungewohnt sanft, »…ich werde nicht lügen, um deine Gunst zu erlangen, du musst schon selbst entscheiden, was für dich richtig ist. Doch wisse, dass ich für die Gerechtigkeit kämpfe, und es würde niemanden helfen, wenn ich mich selbst bemitleide. Nein, ich muss stark sein und ich muss immer das tun, was für mich richtig ist. Denn das ist, wozu ich geboren wurde, ich bin ein König, Kacey, ich werde es zumindest eines Tages sein, weil ich fähig dazu bin, die Entscheidungen zu treffen, die niemand wagen würde, auch wenn es bedeutet, dass sie mich zu einem Monster machen. Nur so kann ich das schützen, was ich liebe.«
»Und was liebst du?«
»Meine Familie, meine Brüder, meine Kinder und unseresgleichen. Mein Volk, meine Leute, Kacey, stammen nicht nur aus Nohva, sondern von überall, so wie ich es dir einst schwor. Jeder Magier, jeder Illusionist, jeder Jäger, jeder Verzauberer gehört zu mir.« Er sprach aus der Seele, mit Leidenschaft und Entschlossenheit. Und genau dieses Feuer war es, das Kacey beeindruckte, denn wer außer Riath würde sich je mit solcher Überzeugung für die Magier einsetzen? »Ich will sie nicht beherrschen, ich will sie vereinen, dazu brauche ich dich. Du musst deine Schützlinge darauf vorbereiten, sich zu wehren.« Er machte eine kurze Pause, wirkte so stark und selbstsicher, dass Kacey ihn um diese Charaktereigenschaften beneidete, denn er selbst wusste nicht, wo ihm der Kopf stand.
»Denk darüber nach«, bat ihn Riath sanfter. »Tu, was du für richtig hältst, ich werde deinen Idealen nicht im Weg stehen, doch … ich werde tun, was ich für richtig halte. Und ja, dazu gehört auch, meine Feinde leiden zu lassen, vor allem … Melecay.« Den letzten Namen knurrte er. Kacey betrachtete ihn nur schweigend. Dann sagte Riath bedauernd: »Und ich werde dir ganz sicher nicht erklären, was für Beweggründe mich antreiben, solange wir einander nicht vertrauen.«
Was sollte Kacey darauf erwidern? Er wusste es nicht, wusste nicht, was sie hier taten.
Liefere ihn aus, sichere dir die Gunst des Kaisers.
Nein, vertrau ihm, denn er wird auf jeden Fall mit Leidenschaft für deinesgleichen kämpfen.
»Er ist nicht mehr hier«, erklärte er dann, um das Thema fallen zu lassen, da es für ihn zu nichts als Verwirrung und Selbstzweifel führte. »Ich habe versagt«, gestand er und wandte mit vor der Brust verschränkten Armen Riath und seinem feurigen Blick den Rücken zu. »Xaith hat deine Briefe gefunden und ist verschwunden, er weiß, dass du wolltest, dass ich ihn hier festhalte.«
Er wusste allerdings nicht, dass Kacey mit Xaith geschlafen hatte und er rieb es ihm wohlweislich auch nicht unter die Nase. Kacey… hütete es wie einen Schatz.
Riath schnaubte. »Du bist ein unverbesserlicher Romantiker.«
Vor dem Kamin blieb er stehen und schloss gequält die Augen, denn es stimmte.
»Solche Art Briefe verbrennt man, Kacey«, belehrte Riath ihn. Es klang, als würde er sich in Richtung Terrasse bewegen. »Bevor sie deinem Vater in die Hände fallen.«
»Sie sind nun verbrannt, keine Sorge«, gab er zurück, er fühlte sich dumm. Und er wollte nur noch allein sein, das Gespräch ermüdete ihn.
»Mach dir um Xaith keine Sorgen.« Riaths Schmunzeln in der Stimme ließ Kacey sich nach ihm umdrehen. Er ging tatsächlich zur Tür. »Ich weiß, wo mein Bruder ist, du solltest ihn nur … bremsen, und das hast du getan.«
Kacey starrte Riath an, wusste nicht, was er sagen sollte.
»Du hast deine Pflicht erfüllt«, Riath zuckte mit den Achseln, nahm seinen Umhang, der über einer Stuhllehne gelegen hatte, und warf ihn sich um die Schultern, »wenn du dich lieber zukünftig aus den Belangen der Magier raushalten…«
»Ich bin auch ein Magier, Riath! Tu nicht so scheinheilig, als ob ich allem einfach den Rücken zukehren würde, weil ich mich fürchte! Doch ich weiß nicht, was der ganze Konflikt mit der Magie mit dem Großkönig oder mit Xaith zu tun hat! Ich verstehe dich nicht.«
Riath sah auf den Boden vor Kaceys Füßen und lächelte müde. »Ganz einfach, Kacey, wenn ich Melecay nicht vernichte, werden ich und meine Brüder nie wieder sicher sein. Und wenn ich Xaith nicht finde, wird er ein Ritual zu Ende bringen, das einen so hohen Preis fordern wird, dass danach nie wieder ein Magier frei sein kann, weil uns niemals wieder irgendjemand vertrauen wird.«
Kacey spürte, wie ihn das Entsetzen packte, doch Riath sprach nicht weiter. Sie sahen sich kurz an, Riath schien auf etwas zu warten, zuckte dann enttäuscht mit den Achseln, als Kacey ihn nur grübelnd anstarrte, und wandte sich zur Buntglastür.
»Warte!«, hörte Kacey sich sagen.
Erwartungsvoll drehte Riath sich wieder zu ihm um.
~7~
Es knackte und krachte über ihnen, als ob der Sturm zurückkäme. Doch es war kein Donner, der die Kronen des Urwaldes erschütterte, und auch keine