Geliebter Unhold. Billy Remie
auch nicht mehr fern.
Doch als sie hinter dem Fremden blind in die Hütte liefen, war sofort deutlich, dass hier schon lange niemand mehr wohnte. Es war staubig, überall waren dicke Spinnweben und Nester, es roch morsch und klamm, ein kleiner Affe schreckte auf und entfloh aus einem Loch im Dach, von wo die Morgendämmerung herein schimmerte.
Sie waren von einer Falle in eine Falle gelaufen.
Siderius wiegte den Jungen im Arm und versuchte, ihn mit »Sh«-Lauten zu beruhigen, der Fremde schloss die Tür hinter ihnen.
Knurrend warf Xaith sich herum, zog seinen Dolch und stürzte sich mit flammenden Augen auf die kleinere Gestalt.
Siderius zuckte zusammen. »Was machst du denn?«
Es war nicht genug Zeit, ihm zu antworten.
Ein erschrockener Laut drang unter der weiten Kapuze hervor, als sie gemeinsam zu Boden gingen. Xaiths Aufprall wurde durch einen schlaksigen Leib abgefedert, unter dem Umhang spürte er jedoch weder eine Rüstung noch ein Schwert.
Verwundert hob er den Kopf, seine Klinge schnitt leicht in eine unheimlich schlanke, weiße Kehle, wodurch der hervorquellende Tropfen Blut schimmerte wie ein Edelstein. Der Fremde hob das Kinn instinktiv an, rechts und links von seinem Kopf lagen ergebend seine untätigen, zarten Hände.
Das Licht fiel durch das Loch im Dach direkt auf das Gesicht. Xaith stockte der Atem, blinzelte irritiert. Zwei riesige Augen blickten ihn an. Vertraute Augen. Zimtbraune Augen.
Perplex schüttelte Xaith den Kopf, das konnte nicht sein, er zog den Dolch zurück, als hätte er aus Versehen einen Heiligen bedroht. »Jin?«
*~*~*
Es herrschte langes Schweigen, ihre Blicke hielten sich fest. Blaues Schimmern küsste ihre Züge, während die Zeit verstrich.
Riath machte einen Schritt zurück in die Mitte des Zimmes, einen Schritt wagte er auf Kacey zu. »Also…?«, hakte er nach, feurige Lust loderte in seinen grünen Augen auf.
Kacey hatte die Arme vor der Brust verschränkt, zum Selbstschutz, er schlug die Augen nieder, weil er Riaths fordernden Blick nicht aushielt.
»Erzähl mir von Xaith«, verlangte er dann. »Ich habe herausgefunden, dass er versucht, euren Vater und eure Geschwister wiederzuerwecken, doch er sagte auch, dass er gescheitert wäre.«
Er hatte geglaubt, Xaith hätte von seinem Plan abgelassen, weil es schlicht unmöglich war.
Riath antwortete unheildrohend: »Ich habe Grund zur Annahme, dass er es dennoch versuchen wird.«
Kacey sah zu ihm auf, versuchte dabei so geschäftig und distanziert zu wirken, als wollte er eine politische Angelegenheit für die Magier klären.
Und genau das war es, was er und Riath seit gut einer Stunde hier taten. Sie debattierten darüber, ob Kacey sich ihm anschloss. Doch sich Riath anzuschließen, bedeutete nicht nur, für den Schutz der Magier zu kämpfen, sondern sich auch Riaths persönlichem Krieg mit Carapuhr anzuschließen. Und allen anderen Kriegen, die er anzetteln wollte.
»Ich verfolge meinen Bruder schon, seit er verschwunden ist«, begann Riath zu erklären. »Neben Hexenjägern und Barbaren, die mir an den Kragen wollen, lasse ich Xaiths Weg nachverfolgen.«
Riath wandte der Tür den Rücken zu, und aus einem unerfindlichen Grund fiel Kacey ein Stein vom Herzen. Er sah ihm nach.
»Xaith hat ganz Nohva nach alten Schriften abgesucht, Klöster, Kirchenarchive, alte Tempel der Elkanasai, immer auf der Suche nach Wiedererweckungszaubern, die bekanntlich unter Nekromantie und Dunkelzauberei fallen.« Riath lief auf und ab und ließ die Knöchel knacksen, schien plötzlich ruhelos. »Das blieb der Öffentlichkeit nicht verborgen, er wurde gesehen, die Menschen bekamen Angst. Sie sagen, er sei ein Nekromant. Jemand nutzte diese Angst und prompt hielten die Bürger uns alle für böse Zauberer, die wider der Natur handeln. Dann kam die Frage auf, ob so jemand ein Prinz, geschweige denn König sein durfte. Und die alten Schriften der Götter besagen: Nein, darf es nicht.«
Kacey begann, zu verstehen. »Er hat also den Konflikt ausgelöst, indem er alte Zauber suchte und stahl?«
»Die Frage, ob ich nach dem Erwachen meiner Fähigkeiten ein geeigneter Erbe bin, stand bereits von Anfang an im Raum«, gab Riath zu, sah Kacey an und zuckte mit den Schultern. »Aber nachdem Xaith ein wenig Staub aufgewirbelt hat, verschärfte sich alles. Sprich, meine Gegner wollten die Machenschaften meines Bruders gegen mich verwenden. Einige im Adel hofften wohl auch darauf, Wexmell würde sich mit einer ihrer Töchter vermählen und eigene Kinder zeugen.«
Mit verschränkten Armen ging Kacey hinüber zu seinem Tisch, dabei nahm er Riaths verbeulten Kelch vom Kaminsims. »Das hast du in deinen Briefen erklärt. Doch was ist mit Xaith, welches Ritual hat er gefunden, das vor ihm noch niemand gefunden haben soll? Und welchen Preis soll es am Ende kosten?«
»Er fand es nicht in Nohva, er reiste mit einem Schiff nach Malahnest.«
Kacey fuhr mitten im Lauf zu Riath herum, der vor seinem Bett stand und mit seiner überragenden Präsenz den Raum ausfüllte. »Er ist zu den freien Inselstaaten gereist?«
Selten kamen Händler oder Reisende von dort in die großen Reiche, noch seltener verirrten sich Besucher so weit in den Nordosten der See. Niemand wusste, wie es dort genau aussah, wer was regierte, es gab keine Könige, aber wohl Statthalter. Hin und wieder kursierte ein Gerücht über die Inseln, wie es dort aussah, welches Wetter dort herrschte, wie viele Städte oder Burgen es gab, doch jedes Gerücht widerlegte das andere.
Riath sah Kacey mit einer undurchdringlichen Miene an. »Ich bin ihm dorthin gefolgt, ein kleiner Abstecher, bevor ich nach Carapuhr reiste und deine Schwester traf.«
Kacey schüttelte den Kopf, während er eins und eins zusammenzählte, und sich mit dem Rücken an einen dunklen Stuhl lehnte, die Hände darauf abstützend. »Er stieß dort auf dieses uralte Ritual?«
»Es gibt in Malahnest und Irridohr keine Verbote oder Grenze für Zauberei«, erklärte Riath.
Interessiert horchte Kacey auf.
»Sie bewahren dort jeden Zauber in ihren Türmen und Museen und Archiven.« Riath drehte sich suchend um, entscheid sich für die Bettkante und setzte sich darauf, schien ermattet, müde vom Erzählen. »Ich war nicht rechtzeitig dort, Xaith entwischte mir, aber wir fanden einen Priester, mit dem Xaith gesprochen hatte. Dieser sagte uns, Xaith interessierte sich für eine alte Prophezeiung.«
»Das gefällt mir nicht.« Prophezeiungen waren nie etwas Gutes, wirklich nie.
Riath nickte beständig. »Es gibt einen Ort in Malahnest, wo angeblich ein Fenster zur Welt der Toten besteht. Sprich, eine Art dünner Schleier. Dort bauten sie vor Jahrtausenden einen Tempel, er ist heute verfallen, doch die Beschwörungshalle existiert noch, überwuchert von Pflanzen.« Er hielt kurz inne, schien zu überlegen, wie viel er erzählen wollte, und rieb nachdenklich die großen Hände aneinander.
Wie er da so saß, wirkte er auf Kacey beinahe zugänglich und menschlich. Er wollte sich zu ihm setzen, seine Hand berühren, sein schönes Gesicht…
»Es gibt dieses Ritual, Kacey, um die Toten zurückzubringen, doch um sie ins Leben zurückzurufen, braucht man vier lebendige, aber leere Gefäße.
Zuerst verstand Kacey nicht, doch als er Riaths bedeutsamen Blick bemerkte, stockte ihm entrüstet der Atem. »Du meinst, er müsste vier Seelen rauben, um vier sterbliche Hüllen zu haben.«
»Genau das meine ich.« Riath nickte. »Aber Xaith versucht, den Spruch umzuwandeln, er will die Seelen in vier Dracheneier pflanzen.«
Xaith versuchte, den Spruch umzuwandeln… Die vielen Experimente, das Durchstöbern der Bibliothek der Akademie, deswegen war Xaith hier gewesen!
Kacey rieb sich unwillkürlich den Hals. »Du sprachst von einem hohen Preis.«
Schwermütig nickte Riath. »Der Priester sagte, dass niemand je dieses Ritual vollzog, weil in