Veyron Swift und das Juwel des Feuers. Tobias Fischer

Veyron Swift und das Juwel des Feuers - Tobias Fischer


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einmal ein Prachtexemplar für dich, Veyron. So etwas habe ich noch nie gesehen, das wird dir gefallen. Enthauptet, aber keine der klassischen Methoden und darum so rätselhaft. Der CID steht vor einem Rätsel – wie immer. Die beiden Gerichtsmediziner haben mir bestätigt, dass sie so was noch nie zuvor gesehen haben. Aber für das ungewöhnliche Zeug bist du zuständig«, rief Strangley voller Begeisterung.

      Tom erschauerte. »Eine echte, wirkliche Enthauptung? Ist ja irre«, platzte es aus ihm heraus. Er war inzwischen so aufgeregt, dass er am liebsten wie verrückt herumgesprungen wäre.

      Strangley brachte Veyron, Jane und Tom hinunter in die pathologische Abteilung. Sie eilten einen schmalen Korridor entlang, dessen Ende Tom im Zwielicht der spärlichen Beleuchtung nicht ausmachen konnte. Fast jede dritte Lampe war ausgefallen oder flackerte. Die Wände waren mit zitronengelben Fliesen gekachelt, einige davon fehlten. Der Boden bestand aus graublauem Linoleum, das sich an den Ecken bereits löste. Tom war sofort klar, dass sie sich in einem sehr alten und nur selten benutzten Teil der Pathologie aufhielten. Die ganze Abteilung hätte dringend eine Sanierung nötig. Das Halbdunkel der Räume verlieh der ganzen Situation zusätzliche Spannung. Tom erwartete fast, dass aus irgendeiner Ecke ein Zombie hervorsprang und sie angriff.

      Sie erreichten das Labor, einen tristen, rechteckigen Raum mit weißen Wänden, in dessen Mitte ein einzelner Tisch stand. Obwohl die Leiche zugedeckt war, konnte Tom ausmachen, dass sie keinen Kopf mehr besaß. Der stand auf einem Beistelltisch daneben, zum Glück ebenfalls abgedeckt, aber die Form unter dem weißen Leichentuch war unverkennbar. Tom konnte sogar genau erkennen, wo sich die Nase befand. Er bekam augenblicklich eine Gänsehaut, seine Aufregung schlug in Furcht um. Jane blieb an der Tür stehen, während Strangley und Veyron hineingingen. Tom zögerte einen Moment. Er blickte zu Jane. Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie nicht, dass er sich das antat. Andererseits war dieses Wechselspiel von Neugier und Furcht unfassbar aufregend und reizvoll. Es war Tom unmöglich, diesem Drang zu widerstehen. Er musste da hinein und sich das Ganze ansehen – selbst wenn er sich danach sehr wahrscheinlich übergeben würde. Er schlüpfte an Jane vorbei und blieb in sicherer Entfernung zur Leiche stehen.

      Strangley schlug das weiße Laken zurück. Veyron bückte sich und betrachtete den blutverschmierten Halsstumpf. Schlagartig wurde Tom schlecht. Er musste sich wegdrehen, damit sein Mageninhalt nicht nach oben stieg.

      Veyron hatte dagegen nur Augen für die Leiche, hüpfte aufgeregt um sie herum und untersuchte alle möglichen Stellen ihres Körpers. »Personalien«, verlangte er so gefühlskalt wie ein Roboter.

      »Sarah Burrows, Studentin in Oxford. Sie hat für einen Professor Lewis Daring gearbeitet, der dort Geschichte, Vorgeschichte, Kunst und Germanistik unterrichtete. Daring ist inzwischen im Ruhestand, aber Burrows arbeitete nebenberuflich als seine Sekretärin«, klärte Jane die Anwesenden auf.

      Veyron fischte sein Smartphone aus der Manteltasche und schoss eine Vielzahl von Fotos. Das Gleiche wiederholte er bei dem abgerissenen Kopf. Tom kniff die Augen zu, um nicht weiter hinzuschauen. Als er wieder blinzelte, zoomte Veyron die Fotos so weit heran, bis er jedes noch so kleine Detail genauestens erkennen konnte. Wie eine Salzsäule stand er vor dem Seziertisch, starrte auf die Fotos, blätterte vor und zurück und wieder in die Gegenrichtung. Dann fing er an, hastig auf und ab zu gehen, und murmelte leise vor sich hin. Immer wieder blieb er stehen, um sich das eine oder andere Foto genauer anzusehen. »Ohne jeden Zweifel: Wir haben einen Fall!«, rief er nach einer Weile begeistert aus.

      Strangley deckte die Leiche wieder ab, zu Toms immenser Erleichterung.

      »Okay. Lass hören, Veyron«, bat Strangley neugierig.

      Veyron Swift gestattete sich ein kurzes Lächeln, dann schloss er die Augen, legte die Fingerspitzen aneinander und begann zu erklären: »Fürs Erste liegst du richtig, Bert. Das Opfer wurde enthauptet. Aber nicht mit einem Schwert, einer Axt oder eine Säge. Der Kopf wurde abgebissen. Ich weiß, ich weiß, es sind keine Bissspuren zu sehen; zumindest keine herkömmlichen. Betrachte das aufgerissene Fleisch im Nackenbereich und die zerquetschten Wirbel. Die Krafteinwirkung erfolgte von zwei Seiten gleichzeitig. Sämtliche Halswirbel bis hinauf zum Hinterkopf fehlen. Der Schädelknochen ist zertrümmert. Es war nur ein einziger Biss, wie von einer gewaltigen, gewellten und mit Zähnen versehenen Schere. Man kann die Abdrücke gut an den übrigen Wirbelknochen und an den Furchen im Fleisch erkennen. Warum also ein Biss und kein Werkzeug? Sieh dir die Zahnabdrücke an. Sie sind ungleichmäßig und unterschiedlich groß. Ein Werkzeug besäße vollkommen parallele Zähne, aber ein natürlich gewachsener Beißapparat nicht. Ganz klar: Das ist das Werk einer Bestie. Die Tat erfolgte von hinten, mit einer Neigung von fünfundvierzig Grad zur Brust hin. Demnach muss der Täter von oben zugeschlagen haben, und das mit einer Kraft, die kein Mensch der Welt – nicht einmal ein Vampir – aufbringen könnte.«

      Tom wurde ein wenig rot im Gesicht. Jetzt fühlte er sich noch mehr veralbert. Veyron machte diese spitze Bemerkung sicher nur, um ihn zu ärgern!

      Swift wandte sich blitzartig an Jane. »Ich brauche alle wichtigen Informationen vom Tatort. Sofort«, forderte er sie ungeduldig auf.

      »221e Webster Gardens, West Ealing. Zweispurige Straße, Bürgersteige links und rechts neben den Parkstreifen, alle paar Meter Straßenlaternen. Reihenhäuser auf beiden Seiten, eine schöne, friedliche Ecke. Keine Rettungsleitern oder Balkone. Die Anwohner haben jedoch in der Mordnacht einen ungewöhnlichen Lärm gehört, als wenn jemand mit einem Helikopter durch die Straßen flöge. Einige behaupten auch, tatsächlich einen dunklen Schatten gesehen zu haben, der jedoch rasend schnell wieder verschwand. Keine Fußspuren auf dem Asphalt, keine direkten Augenzeugen. Ein paar Leute haben Burrows gesehen und bezeugen, dass sie allein unterwegs war. Andere Passanten wurden zur Tatzeit nicht beobachtet. Es gibt keine Hinweise auf fremde Fahrzeuge oder andere Hinterlassenschaften, die ein Mörder zurückgelassen haben könnte. Keine Tatwaffe, keine Blutspuren – außer denen von Miss Burrows, keine Haar- oder Hautreste. Die Sache mit dem Helikopter klärt der CID zur Stunde noch ab. Aber es gab wohl zu dieser Zeit keine genehmigten Flugbewegungen in der Gegend«, ratterte Jane die Fakten runter.

      Tom erkannte, dass ihr die Vorstellung, eine riesige Bestie könnte das hier getan haben, durchaus Angst einflößte. Er aber hielt Veyrons Theorie für nichts anderes als einen albernen Scherz. Oder war da doch was dran? Niemand lachte, alle wirkten sie todernst. Konnte es wirklich sein? War eine gewaltige Bestie der Mörder von Sarah Burrows?

      Veyron schloss die Augen und begann wieder, auf und ab zu gehen. Er drückte sich Zeige- und Mittelfinger gegen die Schläfen und versank in tiefe Konzentration. Tom wurde immer aufgeregter. Am liebsten hätte er Veyron gepackt und angeschrien, ihm endlich zu sagen, was hier gespielt wurde.

      »Der Fall ist klar. Sarah Burrows wurde auf dem Nachhauseweg überrascht und binnen eines Augenblicks getötet. Im Schein der Straßenlaternen und wegen der vielen Anwohner in einer eher mittelständisch geprägten Straße fühlte sie sich sicher. Nie und nimmer rechnete sie mit einem Angriff aus der Luft. Den Angriff von oben verrät uns der Bisswinkel. Ihr Mörder muss plötzlich aufgetaucht und schnell gewesen sein. Das Monster hat sie von hinten gepackt, in die Luft gehoben, ihr den Kopf abgebissen und danach ihre Leiche einfach fallen lassen«, schlussfolgerte er.

      Jane sah ihn erstaunt an. »Woher wollen Sie das wissen? Ich habe gar nicht erzählt, dass wir die Leiche zwanzig Meter von den Fußspuren entfernt gefunden haben, den Kopf sogar noch ein paar Meter weiter«, wandte sie ein.

      Veyron drückte sich kurz mit den Fingern die Augen zu und atmete tief durch. »Hämatome an Beinen, Lenden und Brust, gebrochene Knochen und Stauchungen, überall Schürfwunden und diese sehr interessanten, tiefen Kratzer an Schulter und Rücken – immer paarweise. Ohne jeden Zweifel stammen sie von sichelförmig gebogenen Krallen. Sie wurde gepackt, hochgehoben und anschließend fallen gelassen. Die Verletzungen sind typisch für Stürze aus großer Höhe. Wurde Miss Burrows etwas gestohlen? Nein? Aha. Dann war es kein Raubmord. Das ist was Neues, Willkins. Das hier ist gefährlicher als alles, mit dem wir es bisher zu tun hatten. Vielleicht ein Drache«, erklärte Veyron im Tempo einer automatischen Waffe.

      Tom glaubte, nicht recht zu hören. Wollte sich sein Pate immer noch über ihn lustig machen? »Was labern Sie für Zeug? Vampire


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