Eine neue Göttin für Myan. Sigrid Jamnig

Eine neue Göttin für Myan - Sigrid Jamnig


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      „Eher Millionen – das gibt ein furchtbares Klingeln in den Ohren. Da sind uns die Anträge um einiges lieber!“, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihnen. Die drei Frauen drehten sich um. Hinter ihnen stand eine hübsche Frau mit langen roten Haaren und grünen Augen. Sie hatte ein freundliches Gesicht, eine kleine Stupsnase und viele Sommersprossen. Im Gegensatz zu den Schicksalsgöttinnen trug sie keine wallenden weißen Gewänder, sondern eine langen luftigen Rock, wobei die untere Hälfte aus einem durchsichtigen Material bestand. Ihr T-Shirt war mit der Aufschrift „Ich war’s nicht“ und dem Bild einer Katze mit großen Augen und unschuldigem Blick bedruckt. Auch ihre Kleidung war weiß. Schuhe hatte sie keine an.

      „Hallo Tina!“, wurde sie von den Schicksalsgöttinnen mit Küsschen begrüßt. Anscheinend war diese Art der Begrüßung auch auf Myan üblich. Ally hoffte, sich diesem Ritual nicht anschließen zu müssen. Sie mochte dieses Herumgeküsse nicht, vor allem, weil sie Angst vor Nähe hatte. Warum konnten die Leute nicht einfach beim klassischen Händeschütteln bleiben? Auch hatte Ally das Gefühl, dass sich die Leute von Myan einiges von den Menschen auf der Erde abgeschaut hatten. Fast so wie die Menschen aus Österreich von den Amerikanern.

      Sharon stellte Ally Tina vor. Sie schüttelten sich kurz die Hände.

      „Ich hab dich schon erwartet, Ally!“, sagte Tina dann. Die Frau wirkte nett – soweit Ally das in der kurzen Zeit beurteilen konnte.

      „Tina wird dich unterrichten!“, erklärte ihr Sharon. Ally wusste nicht, was sie sagen sollte, also schwieg sie einfach. Ihr war es aber doch etwas unangenehm. Sie mochte das Gefühl nicht, nichts zu sagen zu haben. Dabei hatte sie immer das Gefühl, dass sie nicht intelligent genug war, um überhaupt zu einer Konversation beizutragen. In ihrem Kopf hörte sich alles irgendwie dumm an und ihr kam es so vor, als würden ihr die anderen diese Gefühle ansehen.

      Tina lächelte sie freundlich an. „Wir werden mit dem Unterricht so bald wie möglich beginnen. Also: Was machst du morgen?“

      Ally dachte einen Moment nach. Morgen war Samstag, folglich hatte sie auch nichts vor.

      „Ich habe morgen Zeit“, sagte sie schließlich.

      „Gut, dann treffen wir uns morgen um zehn Uhr hier?“

      Ally nickte. Sie konnte es kaum erwarten mit ihrer Ausbildung zu beginnen. Alles in ihr kribbelte. Sie hatte das Gefühl, irgendjemandem davon erzählen zu müssen, weil es sonst unmöglich wahr sein konnte. Aber dann sagte Sharon etwas, das alles furchtbar kompliziert machte. Es schien fast, als hätte sie ihre Gedanken gelesen.

      „Du darfst niemanden davon erzählen.“

      „Aber warum?“ Ally hatte zwar vermutet, dass sie dies alles nicht an die große Glocke würde hängen dürfen, aber sie hatte angenommen, wenigstens ihrer besten Freundin davon erzählen zu können.

      „Die Menschheit ist noch nicht bereit für dieses Wissen.“

      „Ich möchte es ja auch nicht der ganzen Menschheit mitteilen, sondern nur meiner besten Freundin!“ Aber die Göttinnen schienen auch das nicht zu wollen.

      „Je mehr Menschen darüber Bescheid wissen, desto größer ist die Gefahr, dass all das hier auffliegt!“ Ally war immer noch nicht ganz glücklich damit, aber sie war noch nie gut darin gewesen, irgendjemanden von irgendetwas zu überzeugen, also fragte sie stattdessen das ihr am nächsten wichtig Erscheinende.

      „Wie komme ich morgen hierher?“ Tina holte ein kleines schwarzes Plastikkästchen aus ihrer Tasche. Es hatte Ähnlichkeit mit einem MP3-Player. Es gab einen kleinen Bildschirm, einen Power-Knopf, zwei Pfeiltasten und einen großen grünen Knopf. Der Bildschirm nahm die obere Hälfte und der grüne Knopf die untere Hälfte in Anspruch. Die anderen Tasten befanden sich an den Seiten.

      „Das ist ein Tayler!“, erklärte sie. „Damit kannst du dich von einem Ort zu einem anderen bewegen, also taylen.“ Sie schaltete das Gerät ein. „Du brauchst es nur einschalten, den gewünschten Ort auswählen und auf den grünen Knopf drücken!“

      Ally nahm den Tayler in die Hand und klickte durch die Orte. Die wenigsten Städte und Gegenden sagten ihr etwas. Sie hatte keine Ahnung, wo Silenda oder Blue Moon war. Doch auch ihre Wohnung war verzeichnet.

      „Wo ist Blue Moon?“, fragte sie Tina.

      „Das ist eine Bar in Wien.“

      „Und warum steht die da drin?“

      „Ich wusste nicht, welche Orte du tatsächlich brauchen wirst. Und da es länger dauern wird, bis du es ohne Hilfe kannst, dachte ich mir, dass ich einfach eine kleine Auswahl einspeichere.“

      Ally starrte das kleine Kästchen an. Sie war verwirrt. Alles hier erinnerte sie an einen verrückten Traum. Sie war davon überzeugt, dass sie jeden Moment aufwachen würde. Die Menschen liefen um sie herum. Sie hörte Gesprächsfetzen von irgendwelchen Wünschen. Die Frau hinter dem Empfangstresen erklärte einem Mann gerade, dass sie keine sofortige Antwort auf seinen Antrag geben konnte, da dieser erst geprüft werden musste.

      „Kann mich mal jemand kneifen?“, flüsterte Ally leise. Alles kam ihr so unwirklich vor. Shila kam Allys Aufforderung auch tatsächlich nach.

      „Au!“ Ally strich mit ihrer rechten Hand über die Stelle, wo Shila sie gezwickt hatte. Sie grinste Ally an. Und Ally schaute verwundert zurück. „Es kommt mir immer noch wie ein Traum vor!“

      „Du musst dich erst daran gewöhnen. Es war auch wirklich viel auf einmal“, erwiderte diese und lächelte verständnisvoll. Ally versuchte sich vorzustellen, dass alles wahrhaftig passiert war. Aber das Gefühl, dass alles nur ein Irrtum sein konnte und sie bald aufwachen würde, ließ sich nicht ganz abschütteln. Daher schob sie diese Gedanken erst mal beiseite und schaute sich stattdessen den restlichen Saal an. Eine große zweiflügelige Tür befand sich auf der anderen Seite der Treppe. Auch diese Tür stand offen, und Menschen gingen aus und ein. Ansonsten gab es noch viele Gemälde an den Wänden. Unter jedem Gemälde hing ein Namensschild. Das Gemälde einer schönen jungen Frau mit langen blonden Haaren, das ihr am nächsten hing, war mit „Christinelle – der ‚eine’ Gott“ beschriftet.

      „Gott ist ein Frau?“, wunderte sich Ally.

      „Tja“, murmelte Sharon, „wir wollten den Irrtum der Menschen ja aufklären, aber dann war es bereits zu spät.“ Das konnte sich Ally gut vorstellen, schließlich war die Erde von Völkern bewohnt worden, wo Männer bevorzugt wurden. In der modernen Zeit hatte sich das zwar geändert, aber es gab nach wie vor Angelegenheiten, wo Frauen noch immer nicht gleich behandelt wurden. Auf Myan schien es dieses Problem nicht zu geben.Im Saal hing noch ein Gemälde des bärtigen Mannes mit den langen Haaren, welchen Ally vor wenigen Minuten vor dem Gebäude gesehen hatte. Er war aus dem Nichts aufgetaucht. Dieses Bild war mit „Jesus Christus “ beschriftet. Jetzt wusste Ally auch, warum er ihr so bekannt vorgekommen war.

      „Ich hätte nicht gedacht, dass das alles wirklich passiert ist!“, sagte sie zu den Schicksalsgöttinnen und Tina, während sie langsam durch den Saal ging und die restlichen Bilder betrachtete. Es gab auch ein Gemälde von Sharon und Shila, welches angab, dass sie vollständig Sharonelle und Shilanja hießen.

      „Es war nicht ganz so, wie es in der Bibel steht“, erklärte ihr Shila. „Aber ja … es ist passiert!“

      Nun wurde Ally neugierig. „Wirklich? Wie war es dann?“ Die Schicksalsgöttinen kicherten leise.

      „Es war ein Unfall!“, beantwortete Tina ihre Frage.

      „Tatsache?“

      „Ja!“

      „Inwiefern?“

      „Na ja, Chrissy war ungewollt schwanger geworden, und sie war sich nicht sicher, ob sie das Kind bekommen sollte. Also hat sie ihre beste Freundin Heather gebeten, ihr zu helfen.“

      Ally sah auf das Gemälde einer Frau mit stechend blauen Augen und kurzen wirren Haaren, welche ihr vom Kopf abstanden, als ob sie in eine Steckdose gegriffen hätte. Sie hatte einen ziemlich verwirrten Gesichtsausdruck


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