Wir denken an..... Heinrich Jordis-Lohausen

Wir denken an.... - Heinrich Jordis-Lohausen


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hatte.

      Franz Defregger

      Es gibt Begnadete, deren Kunst ihren Beschauern Welten eröffnen. So Rembrandt und so Leonardo. Und es gibt andere, die – minder unumschränkt – solchen Welten gegenüber wie Ausschnitte scheinen: Van Gogh etwa oder Grunewald oder Botticelli.

      Noch ist ihr Werk in sich unbegrenzt. Noch steht irgendwo das Tor zu einem unsichtbaren Paradies (oder zu einer unsichtbaren Hölle, wie bei Picasso); noch ist der Engel fühlbar, der dem Künstler insgeheim den Pinsel geführt hat und ihm mehr sagen ließ, als er selbst wusste.

      Die Chinesen (und auch Walt Whitman) sagen, dass das Tao auch in einem Grashalm verkörpert sei, und Meister Ekkehard sagt, ein Stein wäre so nahe zu Gott wie ein Mensch, nur - der Stein wüsste es nicht.

      Und wer sich japanischer Tuschzeichnungen erinnert, etwa einer Bambusstaude im Wind – nichts als ein Zweig und ein paar Dutzend Blätter – weiß, was gemeint ist. In diesen paar Blättern ist der Atem dessen, der alles geschaffen hat. Und in manchem Kolossalgemälde ist er nicht. Das ist der Unterschied.

      Und er scheidet alle Kunst in zwei Hälften. „Rückverbunden“ oder „nicht rückverbunden“ nennt sie Othmar Spann. „Flach“ oder „tief“ Oswald Spengler; mit oder ohne „metaphysischen Hintergrund“ lautet eine andere Bezeichnung. Indessen, ihre Grenzen zu ziehen, wird niemand gelingen. Der Unterschied liegt tief im Beschauer. Kindern und Naiven winkt das Ewige zuweilen aus Gemälden, die Kennern gegenüber verstummen. Ungezählten Geschlechtern sprach das Göttliche nur aus Götterbildern, das Heilige nur aus Heiligendarstellungen. Und erst späteren Zeitaltern eröffnete sich das Unsagbare jenseits aller menschlichen Gebärde – im einfachen Stein oder Grashalm. Nebstbei aber gab es seit je eine Kunst – oder besser: ein „Können“ – , das ohne Anspruch auf „Ewigkeit“ in der vollendetsten Wiedergabe irgendeines Diesseitigen, Zufälligen, Individuellen, Zeitlichen, Einmaligen (es gibt viele Namen dafür), ihr Genügen fand.

      Ich möchte die Kunst zum Unterschied von der vorgenannten als „aktuelle“ bezeichnen. „Aktuell“, weil sie ihr Ziel, im Augenblick zu fesseln, mit raschem Veraltern bezahlt und weil das Interesse, das sie in kommenden Zeiten noch findet, vor allem ein kunsthistorisches ist und kein künstlerisches.

      Bei der sogenannten „Historienmalerei“ des 19. Jahrhunderts wird dieses einmalig-aktuelle noch durch die Absicht des Künstlers verstärkt, Geschichte selbst zur Darstellung zu bringen. So wirkt Pilotys ziemlich bekanntes Gemälde: „Seni an der Leiche Wallensteins“ unmittelbar nur auf diejenigen, denen die dazugehörige Legende aus dem Geschichtsunterricht bekannt ist. Vermag ihn das Historisch-Individuelle an Wallenstein zu erschüttern, so erschüttert ihn möglicherweise auch dieses Bild. Andernfalls lässt es ihn kalt.

      So einem Gemälde haftet nichts Allgemeingültiges an, wie einem Akt oder einer Landschaft. Was es sonst noch bedeutet, ist Technik oder Routine. So interessiert es in doppelter Hinsicht einzig den Fachmann; den Historiker nämlich und den Maler. Piloty war das Haupt einer um 1860 herum in München blühenden Schule und einer seiner bedeutendsten Schüler war Defregger. War Pilotys Reich die Weltgeschichte von Alexander bis auf unsere Zeit, so war Defreggers Anteil nur dessen kleinste Provinz: Tirol und seine Geschichte oder vielmehr – das Leben der Bauern Tirols und ihre Erhebung im Jahre 1809. Defregger malte, was seine Welt war: dieses Land mit seinen Leuten und die Erzählungen der Ältesten aus seiner Heldenzeit. Er malte das und eigentlich nichts sonst als das. Und diese ihm völlig natürliche Beschränkung auf mehr oder minder ein Thema war letztlich die Ursache seines raschen und im Grunde wohlverdienten Erfolgs. Die Kinder des alten Österreich begegneten dem Abdrucke seines Meisterwerkes „Das letzte Aufgebot“ in allen Geschichtsbüchern, und die unerbittlichen Gestalten der alten Tiroler Bauern, die mit Morgensternen und Sensen auszogen, um sich ihren französischen Bedrückern und der Weltmacht Kaiser Napoleons entgegenzustellen, machten ihnen frühzeitig klar, dass nur derjenige in Freiheit leben kann und in Freiheit zu leben verdient, der gegebenen Falles auch bereit ist, für diese Freiheit das äußerste Opfer zu bringen.

      Vielleicht verstanden es nicht alle und nicht alle ganz, aber auf diesem Bild stand es klar zu lesen: Auf dieser Erde wird nichts geschenkt und auf die Dauer auch nicht erhandelt, am wenigsten Frieden und Freiheit.

      Und heute, da jeder Schuss aus Tiroler Stutzen von dichtbebrillten Filmzensoren mit einem übereifrigen Jungendverbot bedacht wird, um die heranwachsenden Knaben früh genug unserem idyllisch gewaltlosen Atombombenzeitalter anzubequemen – heute könnten die Enkel jener altösterreichischen Schulkinder statt der unzeitgemäß kriegerischen, den zeitgemäß-friedlichen Volksszenen desselben Defregger in ihren Büchern begegnen, denn kein Künstler hat das volkstümlich-alpenländische in einer so harmlosen, weitläufigen Weise darzustellen gewusst wie er.

      Franz Defregger ist am 30. April 1835 auf einem einsamen Berghof im Pustertal – dem Ederhof bei Stronach in der Pfarrgemeinde Dölsach – geboren. Als einziger Sohn des Bauern neben vielen Schwestern, von denen alle starben bis auf eine. Als Franz sechs Jahre alt war, starb auch die Mutter.

      Seine Jugend verläuft ziemlich ereignislos. Seine frühesten Erinnerungen betreffen schon die ersten Bekundungen seines Darstellungstriebs.

      Er formte sich Tiere und Figuren aus Krapfenteig, schnitt sich Rüben und Kartoffel zurecht und verfügte darin schon über allerlei Erfahrung, als er zum ersten Mal einen Bleistift erblickte. Dieser erste Bleistift und die Weiteren, die ihm sein erstaunter Vater bald darauf schenkte, eröffneten seinem Betätigungsdrang unerwartete Möglichkeiten. Nun konnte er seinen Figuren auch Gesichter zeichnen. Und das tat er unermüdlich, denn er hatte sonst nichts zu tun, als das Vieh zu hüten. Und aus den Träumen der Hirten und Viehhüter sind schon mehr große Dinge hervorgegangen als aus den schnellatmigen Überlegungen anderer arbeitsüberladener Berufe – nicht nur Reiche, wie die des Cyrus und des Dschingis-Khan, auch Religionen, Weltbekenntnisse, Heldengedichte.

      Immer war da Zeit, in Gedanken vorzubereiten, was man einmal tun würde – in Gedanken oder in emsigen Strichen auf allen Papieren, deren er habhaft werden konnte und an allen Wänden, die sich bekritzeln ließen, bis der halbwüchsige Defregger eines Tages der Wette eines Nachbarn zuliebe eine 50-Guldennote ganz arglos, aber doch so täuschend nachahmte, dass sein Vater, der zu dieser Zeit gerade Gemeindevorsteher war, alle Mühe hatte, Franz vor einer gerichtlichen Ahndung seines übelvermerkten Streiches zu bewahren. Dieses Erlebnis verleidete Defregger seine Lieblingsbeschäftigung für lange Zeit gründlich.

      Dazu kam, dass Franz alsbald der Sitte gemäß vom Hirten zum Knecht seines Vaters aufrückte und sieben Jahre später – als sein Vater plötzlich starb – zum Herrn über das ganze, ziemlich gewaltige Anwesen. Damals schien es, als wäre sein einstiges Können in Arbeit erstickt und für immer vergessen. Doch erwies es sich bald, dass der junge Bauer, unfähig bei Kauf und Verkauf in der gehörigen Weise den eigenen Vorteil zu wahren, in all seinen Unternehmungen fehlschlug und statt zu gewinnen, immer nur zusetzte, so dass der Hof unter seiner Leitung zwar allmählich, aber doch sichtbar zurückging. Zwei Jahre lebte er so – zurückgezogen und verträumt – obgleich er, reich, kräftig und gerade gewachsen, wie er war, mehr dazu angetan gewesen wäre, unter den Jungen des Dorfes den Ton anzugeben – als ein plötzlich ausgebrochenes Auswanderungsfieber auch ihn befiel und er kurzer Hand sein Erbe verkaufte. Als dies geschehen war, ließen sich die anderen zum Bleiben beschwatzen, und Defregger, der nun zwischen zwei Stühlen saß, wagte es nicht, allein über das große Wasser zu fahren. Da kam ihm, wie in Erinnerung an seine einstigen Fertigkeiten, der Gedanke Bildhauer zu werden. Heiligenstatuen für die Kirchen wollte er schnitzen und ähnliches. Durch Vermittlung des Pfarrers kam er nach Innsbruck auf die Gewerbeschule. Der Professor dort erkannte bald sein Talent und riet ihm zur Malerei. Und brachte ihn weiter nach München, wo es mehr zu sehen und zu lernen gab als in Innsbruck – am meisten aber im Atelier Pilotys.

      Dort stand der junge Tiroler in Joppe und Lederhose vor dessen gewaltigen Nerobild und wusste, dass das nun auf Lebenszeit sein Weg sein würde: malen!

      Er bleibt nicht lange in München. Schon im nächsten Jahr ist Defregger in Paris und 15 Monate lang bildet ihn, ohne dass er es selbst weiß, der Geist und der Formensinn


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