Der Pfadfinder. James Fenimore Cooper
als so eine Art von Sohn."
„Vielleicht, Pfadfinder," bemerkte Jasper mit einer Unsicherheit der Stimme, welche den beabsichtigten Scherz vereitelte, „würde er erfreut sein, in Euch wirklich einen solchen zu besitzen?"
„Und wenn er's wäre, Eau-douce, läge etwas Arges darin? Er weiß, was ich auf der Fährte und als Kundschafter bin, und hat mich oft Aug' in Auge mit den Franzosen gesehen. Ich habe bisweilen gedacht, Junge, daß wir Alle uns Weiber suchen sollten, denn der Mann, der beständig in den Wäldern und in Berührung mit seinen Feinden oder seiner Beute steht, muß zuletzt einige Gefühle seines Geschlechts verlieren."
„Nach den Proben, die ich davon gesehen habe," erwiederte Mabel, „möchte ich sagen, daß die, welche viel in den Wäldern leben, auch vergessen, so Manches von der Hinterlist und den Lastern der Städte zu lernen!"
„Es ist nicht leicht, Mabel, immer in der Gegenwart Gottes zu weilen, und nicht die Macht seiner Güte zu fühlen. Ich habe den Gottesdienst in den Garnisonen besucht und, wie es einem braven Soldaten ziemt, versucht, an den Gebeten Antheil zu nehmen; denn, obgleich ich nicht auf der Dienstliste des Königs stehe, so kämpfe ich doch in seinen Schlachten und diene seiner Sache; — aber so sehr ich mich auch bemühte, den Garnisonsbrauch würdig mitzumachen, so konnte ich mich doch nie zu den feierlichen Gefühlen und zu der treuen Hingebung erheben, welche ich empfinde, wenn ich allein mit Gott in den Wäldern bin. Hier stehe ich Angesicht in Angesicht mit meinem Meister. Alles um mich ist frisch und schön, wie es aus Seiner Hand kommt. Da gibt es keine spitzfindigen Doktrinen, um das Gefühl zu erkälten. Nein, nein, die Wälder sind der wahre Tempel Gottes, in welchem die Gedanken frei sich erheben und über die Wolken dringen."
„Ihr sprecht die Wahrheit, Meister Pfadfinder," sagte Cap, „und eine Wahrheit, welche Alle, die viel in der Einsamkeit leben, kennen. Was ist zum Beispiel der Grund, daß die Seeleute im Allgemeinen so religiös und gewissenhaft in ihrem ganzen Thun und Lassen sind, wenn es nicht der Umstand ist, daß sie sich so oft allein mit der Vorsehung befinden, und so wenig mit der Gottlosigkeit des Landes verkehren? Oft und vielmal bin ich auf meiner Wache gestanden, unter dem Aequator oder auf dem südlichen Ocean, wenn die Nächte leuchteten von dem Feuer des Himmels; und dieses, meine Lieben, ist der geeignetste Zeitpunkt, dem sündigen Menschen seinen Zustand zu zeigen. Ich habe mich unter solchen Umständen wieder und wieder niedergeworfen, bis die Wandtaue und Talje-Reepen meines Gewissens mit Macht erknarrten. Ich stimme Euch daher bei, Meister Pfadfinder, und sage, wenn Ihr einen wahrhaft religiösen Mann sehen wollt, geht auf's Meer, oder geht in die Wälder."
„Onkel, ich habe geglaubt, die Seeleute ständen im Allgemeinen in dem Rufe, daß sie wenig Achtung vor der Religion hätten?"
„Alles heillose Verläumdung, Mädchen! frage einmal einen Seefahrer, was seine wirkliche Herzensmeinung über die Bewohner des Landes, die Pfarrer und alle Uebrigen sei, so wirst du etwas ganz Anderes hören. Ich kenne keine Menschenklasse, welche in dieser Beziehung mehr verläumdet wird, als die Seeleute, und aus keinem andern Grund, als weil sie nicht zu Hause bleiben, um sich zu vertheidigen und die Geistlichkeit zu bezahlen. Sie haben freilich nicht so viel Unterricht, als die auf dem Land; aber was das Wesen des Christenthums anbelangt, so segeln die Seeleute die Ufermenschen stets in den Grund."
„Ich will für alles Dieß nicht einstehen, Meister Cap," entgegnete Pfadfinder, „obschon Einiges davon wahr sein mag. Aber es bedarf nicht des Donners und des Blitzes, um mich an meinen Gott zu erinnern, und ich bin nicht der Mann, Seine Güte eher in der Verwirrung und Trübsal zu bewundern, als an einem feierlichen, ruhigen Tage, wo Seine Stimme aus dem Krachen der todten Baumzweige, oder im Gesange eines Vogels meinen Ohren wenigstens eben so lieblich tönt, als wenn ich sie in dem Aufruhr der Elemente vernehmen müßte. Wie ist es mit Euch, Eau-douce? Ihr habt es eben so gut mit Gewittern zu thun, als Meister Cap, und müßt etwas von den Gefühlen kennen, welche im Angesicht eines Sturmes auftauchen."
„Ich fürchte, daß ich zu jung und unerfahren bin, um viel über diesen Gegenstand sagen zu können," erwiederte Jasper bescheiden.
„Ihr fühlt aber doch Etwas dabei!" sagte Mabel rasch. „Ihr könnt nicht — Niemand kann unter solchen Scenen leben, ohne zu empfinden, wie sehr er des Vertrauens auf Gott bedarf."
„Ich will meine Erziehung nicht zu sehr verläugnen, und deßhalb gestehen, daß ich wohl dabei bisweilen meine Gedanken habe, aber ich fürchte, daß dieses nicht so oft und so viel geschieht, als es sollte."
„Frisch-Wasser!" erwiederte Cap nachdrücklich. „Du wirst doch nicht zu viel von dem jungen Mann erwarten, Mabel. Ich denke, man nennt Euch bisweilen mit einem Namen, der alles Dieß bezeichnet, Eau-de-vie, nicht wahr?"
„Eau-douce," entgegnete mit Ruhe Jasper, der sich bei Gelegenheit seiner Fahrten auf dem See sowohl die Kenntniß des Französischen, wie auch mehrere Dialekte der Indianer zu eigen gemacht hatte. „Es ist der Name, den die Irokesen mir gegeben haben, um mich von einigen meiner Gefährten zu unterscheiden, welche einmal eine Fahrt auf dem Meere mitgemacht haben, und nun die Ohren der Landbewohner mit Geschichten von ihren großen Salzwasserseen erfüllen."
„Und warum sollten sie das nicht thun? Sie thun dadurch den Wilden keinen Schaden, und wenn es auch nichts zu ihrer Civilisation beiträgt, so kommen sie dadurch doch nicht in eine noch größere Barbarei. Ja, ja, Eau-douce, denn das mag doch wohl den weißen Branntwein bedeuten, den man füglich genug Eau-deuce[Ein unübersetzbares Wortspiel Mischen dem im Englischen gleichlautenden Eau-douce und Eau-deuce, von denen das letztere Teufelswasser bedeutet.] nennen kann, weil er so ein verteufelter Stoff ist."
„Die Bedeutung von Eau-douce ist süßes Wasser, oder Wasser, welches getrunken werden kann; die Franzosen nennen so das frische Wasser," erwiederte Jasper, welchen die von Cap gemachte Bemerkung, obgleich er Mabels Onkel war, nicht auf's Angenehmste berührte.
„Wer wie zum Henker können sie aus Eau-in-deuce Wasser machen, wenn sie unter Eeau-de-vie Branntwein verstehen? So mögen es meinetwegen die Franzosen in dieser Gegend halten; das ist aber nicht der Brauch in Burdox und andern französischen Häfen. Außerdem versteht man bei den Seeleuten unter Eau immer Branntwein, und unter Eau-de-vie einen Branntwein von höherer Stärke. Ich verdenke Euch übrigens Eure Unwissenheit nicht, denn sie ist Eurer Stellung angemessen, und da ist nicht zu helfen. Wenn Ihr mich aber zurückbegleiten und eine Reise oder zwei auf dem Weltmeer mitmachen wollt, so möchte das für den Rest Eurer Tage einen geeigneten Wendepunkt abgeben, und Mabel hier, wie auch alle andere jungen Frauenspersonen werden besser von Euch denken, wenn Ihr auch so alt werden solltet, als einer von den Bäumen in diesem Forste."
„Nein, nein," unterbrach ihn der redliche und freimüthige Wegweiser, „ich kann Euch versichern, daß es Jaspern in dieser Gegend nicht an Freunden fehlt; und obgleich das Umsehen in der Welt ihm so gut als einem Andern von Nutzen sein kann, so soll doch Niemand geringer von ihm denken, selbst wenn er uns nie verläßt. Eau-douce oder Eau-de-vie — er ist ein braver, treuherziger Junge, und ich habe immer so gesund geschlafen, wenn er auf der Wache war, als wenn ich selbst aufgewesen wäre und mich umgethan hätte; ja, und eben deßhalb noch gesunder. Des Sergeanten Tochter wird es nicht für nöthig halten, daß ein junger Bursche auf's Meer gehe, um ein Mann zu werden oder sich Achtung und Ansehen zu erwerben."
Mabel erwiederte Nichts auf diese Berufung und blickte gegen das westliche Ufer, obgleich die Finsterniß auch ohne diese natürliche Bewegung ihr Antlitz verborgen hätte. Auch Jasper fühlte die Nothwendigkeit, hier zu sprechen, denn der Stolz der jugendlichen Männlichkeit empörte sich gegen den Gedanken, daß er nicht in der Lage sei, über die Achtung seiner Kameraden oder das Lächeln seiner Altersgenossinnen zu gebieten. Er wollte sich jedoch keine unfreundlichen Aeußerungen gegen Mabels Onkel erlauben, und so mochte vielleicht seine Selbstbeherrschung noch achtungswerther erscheinen, als seine Bescheidenheit und sein Geist.
„Ich mache keinen Anspruch auf Dinge, die ich nicht besitze," sprach er, „und habe nie gesagt, daß ich von dem Meere und einer Schifffahrt etwas verstehe. Wir steuern auf unsern Seen nach den Sternen und dem Compaß, und fahren von einem Vorgebirge zum andern, ohne uns der Figuren und Berechnungen zu bedienen, deren wir wenig bedürfen. Wir dürfen uns aber demungeachtet auch Etwas darauf zu Gute thun, wie ich oft von Solchen, welche sich Jahre