Die Sternenschnüffler. Thomas Manderley

Die Sternenschnüffler - Thomas Manderley


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Mittellosen!“, schrie ihr ein Mann fast direkt ins linke Ohr. Lora zuckte zusammen und sah den Mann mit weit aufgerissenen Augen an. Hunger und Krankheit hatten über die Jahre hinweg tiefe Narben auf sein Gesicht gezeichnet, eingerahmt vom ungepflegten, weißen Bart und den ebenso weißen, buschigen Augenbrauen. Er stand leicht nach vorn gebückt auf seinen Stock gestützt vor Lora: „Scannen Sie eine Spende für einen Mittellosen, fünfzig oder sechzig Unicents reichen schon, bitte!“, sagte der Mann mit einem freundlichen, schon fast jugendlich wirkenden Lächeln und hielt ihr einen Scanner unter die Nase.

      „Tut mir leid!“, entgegnete Lora: „Ich bin gerade gefeuert worden.“

      „Aber wer feuert denn ein so hübsches Lächeln wie Ihres? Und noch dazu ein iriduaisches!“, wunderte sich der Mann, zog den Scanner zurück und setzte sich neben Lora. „Bei welcher Firma waren Sie denn?“

      „Gleich da hinten, bei ‚Webber-Cole-Digitals’.“

      „Ach!“, sagte der Mann laut und beugte sich mit einem Lachen nach hinten: „Na da dürfen Sie doch gar nicht erst anfangen, in diesen typischen Menschenfirmen. Das sind Halsabschneider und teuflische Kreaturen!“

      Lora sah ihn fragend an: „Aber Sie sind doch selbst ein Mensch, oder?“

      „Ja sicher, deswegen weiß ich das ja!“, entgegnete der Mann und setzte sein Lächeln wieder auf: „Ärgern Sie sich nicht zu sehr, junge Dame, es könnte schlimmer sein! Sie sind jetzt frei! Sie können gehen, wohin Sie wollen, können arbeiten was Sie wollen, die Galaxie wartet nur auf Sie! Außerdem könnte es in Ihrem Fall sein, dass sie sich wirklich blau ärgern.“ Er lachte über seinen eigenen Witz laut auf. Lora guckte nicht mehr ganz so freundlich.

      „Nehmen Sie es mir nicht übel, junge Dame, ich liebe solche Scherze! Ich wünsche Ihnen was. Auf Wiedersehen!“

      Er drehte sich um und wollte weiterziehen, aber Lora hielt ihn auf: „Warten Sie! Geben Sie mir Ihren Scanner!“ Der Mann drehte sich um und reichte ihr mit einem breiten Grinsen im Gesicht den Scanner hin. Lora sah in die Öffnung für den Augenscan und tippte fünf Unidollars in die Tastatur.

      „Haben Sie vielen Dank!“, sagte der Mann und lachte über sein ganzes, schmutziges Gesicht: „Sie werden Ihren Weg schon gehen.“, fügte er hinzu, drehte sich um und ging weiter zum nächsten Passanten.

      „Ich habe zu danken.“, rief ihm Lora hinterher. Dann wandte sie ihren Blick wieder dem Brunnen zu, in dem noch immer die Brotkrumen schwammen. „Ach, Scheiß doch drauf!“, sagte sie laut zu sich selbst, stand auf und ging hinunter zur großen Hauptstraße.

      Lora lief mit festen Schritten vorwärts und wurde immer schneller und schneller, ja sie rannte fast und bald schon verlor die grau klobige Fassade von Webber-Cole-Digitals all ihre Bedrohlichkeit und verschwamm in der bedeutungslosen Masse der Bürogebäude, die sich rund um den Platz drängten.

      Loras Schwung fand allerdings ein jähes Ende, als sie zum Eingang ins unterirdische Straßentunnelnetz kam: Die U-Bahn war, wie fast jeden Tag, heillos verstopft. Die Masse der Wartenden quoll hinauf bis zur Eingangstreppe und so unternahm Lora nicht einmal den Versuch, sich bis zum Bahnsteig vorzudrängeln. Sie bog lieber sofort nach rechts zum Taxistand ab und setzte sich ins erstbeste Fahrzeug.

      „Hey, Hey, nicht so schnell!“, rief der Taxifahrer und sah in den Rückspiegel. „Wow, eine Iriduanerin! Wie geil! Was machst Du hier auf diesem trostlosen Felsbrocken und dazu noch in dieser Dreckstadt, so weit weg von zu Hause?“ Lora sah von ihrem Sitz aus nach vorn in den Rückspiegel und betrachtete die rot leuchtenden Augen des Fahrers.

      „Du bist doch auch weit weg von zu Hause, oder nicht? Du bist doch Rawadianer, oder irre ich mich?“, entgegnete Lora.

      „Nein, Du irrst Dich nicht!“, sagte der Fahrer und drehte sich zu Lora um, die sich zufrieden das Gesicht ihres Chauffeurs mit der typischen großen, spitzen Nase, dem grünlichen Kinnbart und den roten Augen ansah: „Wo geht’s denn hin? Zu Dir oder zu mir?“

      „Bitte? Ich glaube ich steige besser wieder aus!“

      „Na mal nicht so schnell. Wo darf ich Dich denn hinbringen?“

      „Du erzählst mir was von 'schnell'? Ich glaub es ja nicht!“ Lora suchte einen Moment nach den richtigen Worten. „Zum nächsten Raumhafen bitte!“

      „Na dann mal los!“, sagte der Fahrer und gab Gas. Er beschleunigte durch den Zufahrtstunnel, der abwärts zum Straßennetz führte und reihte sich mit einem fast halsbrecherischen Manöver in den fließenden Verkehr ein. Als dann der Steuerungscomputer grünes Licht gab, schaltete er auf Autopilot und wandte sich wieder Lora zu: „Also was tust Du hier auf Gesius? Du arbeitest doch nicht etwa in einer dieser Menschenfirmen, oder?“

      Lora blickte überrascht zu ihm auf, antwortete ihm jedoch nicht. Stattdessen fragte sie ihn: „Hast Du ein Videoterminal mit Bezahlfunktion?“

      „Ja sicher, es ist direkt vor Dir in der Sitzlehne. Brauchst es nur runterzuklappen. Ich höre auch bestimmt nicht zu“ fügte er mit einem Lachen hinzu.

      „Stimmt!“, sagte Lora trocken und betätigte den Knopf, der die Trennscheibe zwischen Fahrgastraum und Fahrer nach oben fuhr. Dann klappte Sie das Terminal aus.

      „Guten Tag, was darf ich für Sie tun?“, erklang die Stimme des Computers. „Das Hotel ‚New Soho‘ bitte!“, befahl Lora und alsbald meldete sich die Rezeption des Hotels.

      „Hallo, mein Name ist Lora Nyrasis. Ich wohne zurzeit bei Ihnen. Ich möchte bezahlen und auschecken.“

      „Kein Problem Frau Nyrasis, die Rechnung beträgt 645 Unidollars. Bitte aktivieren Sie den Bezahl-Scanner.“

      Lora bezahlte.

      „Danke, Frau Nyrasis, wohin dürfen wir Ihr Gepäck senden?“

      „Zur Falkenstation bitte! Vielen Dank.“

      „Wir danken!“

      Kaum war das Gespräch beendet, fuhr der Fahrer die Trennscheibe herunter: „Endschuldige, ich habe mitgehört!“

      Lora saß nur stumm da und verfärbte sich leicht bläulich.

      „Du sagtest Falkenstation?“

      „Du wolltest doch nicht mithören! Du kannst also Gedanken lesen, WOW! Na klar sagte ich Falkenstation!“ Lora konnte einen gewissen Ärger in ihrer Stimme nicht vermeiden.

      Der Fahrer sah in seinen Rückspiegel: „Na, sehe ich da ein paar blaue Farbtupfer?“, sagte er, drehte sich zu Lora um und grinste.

      „Du sollst fahren und Dich nicht über mich lustig machen!“, entgegnete Lora barsch.

      „Ich sag‘ ja gar nichts! Ich habe nur nicht jeden Tag eine Iriduanerin zu Gast. Da frage ich halt ein Wenig mehr. Außerdem fahren wir in die falsche Richtung!“

      „Wieso?“, fragte Lora und konnte deutlich spüren, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte.

      Der Fahrer jedoch blieb ruhig und erklärte: „Na ja, zur Falkenstation kommst Du nur vom Raumhafen zwei oder drei aus, aber nicht vom Raumhafen eins. Also müssen wir in die entgegengesetzte Richtung.“

      „Na dann wende!“, sagte Lora mit Nachdruck. „Diese blöden Nummernsysteme: Raumhafen zwei - Raumhafen eins - Raumhafen drei: Da wird man ja komplett wahnsinnig. Wenn Menschen was verwalten ...“ Der Fahrer lachte kurz auf. Dann schaltete er den Autopiloten aus und nahm den nächsten Ausfahrtstunnel, ohne seine Geschwindigkeit zu reduzieren. Lora kannte die rasante Fahrweise der Taxifahrer, aber dies überstieg ihre Erwartungen: Sie wurde nach links geschleudert und konnte sich nur mit Mühe auf ihrem Platz halten: „Bist Du irre? Fahr gefälligst anständig! Ich will nicht in irgendeinem gottverlassenen Straßentunnel auf Gesius sterben!“, schrie sie und jetzt verfärbte sich ihre Haut kräftig blau.

      Der Fahrer ging nicht im Geringsten auf Loras Kommentare ein: „Falkenstation, he? Orbitale Raumstation zur Abfertigung interstellarer Langstreckenflüge - willst zurück nach Hause, oder?“

      Die


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