Geschichten der Nebelwelt. Inga Kozuruba
sie nicht immer bei sich brauchte. Sie konnte es sich zwar vorstellen, eine Nacht mit ihm zu verbringen, sowohl aus Sympathie als auch aus der Neugier heraus. Doch sie würde es erst tun, wenn es klar war, dass sie ihn nicht wiedersehen würde, um jegliche Komplikationen zu vermeiden.
Feli legte nur einen kleinen Umweg ein, um ihren Proviant aufzustocken und auch etwas Hafer für das Pferd zu besorgen. Alles andere war bereits aus der Gewohnheit heraus vorbereitet und musste nur noch eingesammelt und verstaut werden. Wie immer reiste sie mit leichtem Gepäck. Wenig später verließ sie die Stadt über das Westtor. Während sie zunächst noch der Straße folgte, stieg sie in Gedanken hoch wie ein Vogel. Die Truppen des Rächerordens würden sicherlich die Straße nehmen. Die Straße wiederum folgte nicht unbedingt dem kürzesten Weg. Sie musste Ortschaften miteinander verbinden, auf Brücken achten, auf ein Gelände, das geeignet war für Kutschen und Fuhrwerke. In Gedanken legte Feli sich eine Route zurecht, die es ihr erlaubte, eine Abkürzung durch den lichten Wald zu nehmen. Auf diese Weise konnte sie sich selbst und ihrem Pferd eine kurze Rast an einem Bach ermöglichen, und würde dennoch vor dem Einbruch der Dunkelheit ein paar Straßenabschnitte prüfen können. Sollte sie bis dahin auf die Kampftruppen oder ihre frischen Spuren treffen, dann könnte sie spätestens in der Nacht zurückkehren und dem Richter wenigstens mit dem Vorsprung von ein paar Stunden die Informationen bringen. Anderenfalls würde sie ein, vielleicht zwei Tage gewinnen können.
Sie streichelte liebevoll über den Hals ihrer Stute Kari mit dem fuchsfarbenem Fell, die sie wegen ihrer Ausdauer ausgewählt hatte und die mit Sicherheit ihr kostbarster Besitz und ihre treueste Freundin war. Um ein Tier wie sie zu finden, war Feli vor Jahren bis in den Süden des Reiches gereist, ins ferne Fürstentum Kôsian, und hatte zudem Glück, die richtigen Leute zu kennen, so dass sie einen Freundschaftspreis bekommen hatte. Die berühmt-berüchtigten Dragons vergaßen nie ihre Feinde, aber noch weniger ihre Freunde, und Feli hatte genug Gefallen bei ihnen angesammelt für eine solche Kostbarkeit.
Ein leichter Druck mit den Oberschenkeln genügte, damit die Stute Felis Absichten verstand. Wenig später verschwanden Reiterin und Reittier aus der Sicht, auf einem schmalen Pfad zwischen den mit frischem Grün bedeckten Laubbäumen. Die Luft war frisch, und wurde zusehends wärmer. Das Wetter war ihr gnädig, und vielleicht war das sogar ein gutes Zeichen, ungeachtet der bösen Omen, die die finsteren Mondaspekte bei Nacht mit sich brachten.
Die erste Unterbrechung legte Feli um die Mittagszeit ein. Während Kari eine kurze Schonzeit hatte, am klaren Wasser eines Bachs und dem frischen Grün am Ufer, nahm Feli sich die Zeit, um die Beschaffenheit der Straße zu prüfen. Der andauernde Regen der vergangenen Tage hatte ganze Arbeit geleistet, die Erinnerung an die vielen Pilger und Händler auszumerzen, die zum Kloster gezogen waren, um nicht mehr von dort zurückzukehren. Auch die Spuren der Glücksritter, die den verschollenen Pilgern gefolgt waren, wurden vom Regen unkenntlich gemacht. Sie sah nur noch vereinzelte Reste von Abdrücken, die zu schwer beladenen Fuhrwerken gehört hatten, und zugehörige Spuren von Zugtieren und Menschen. Doch diese gehörten wohl kaum zu einem bewaffneten Heer mit Hundertschaften von Fußtruppen und Berittenen, sondern eher zu Leuten, die zwischen den Dörfern und Höfen umherzogen, vermutlich fahrende Händler oder Tagelöhner, die Arbeit auf den Höfen suchten. Feli hatte allerdings auch nicht erwartet, an dieser Stelle bereits die Kampftruppen anzutreffen. Es ging ihr vor allem darum, die Beschaffenheit der Straße etwas abseits der Stadt zu prüfen um abschätzen zu können, wie die relativ unberührten Passagen aussahen.
Die zweite Position prüfte Feli, als der Abend sich anzukündigen begann. Sie hatte ein großes Stück Weg gewonnen, da sie eine ihr bekannte Passage über den Fluss nutzen konnte, während die Straße einen meilenweiten Umweg zu einer Brücke schlug. Auch an dieser Stelle sah sie keine Hinweise auf ein vorbeigezogenes Heer. Nur die üblichen Spuren von einfachen Leuten, die ihren eigenen Tätigkeiten nachgingen und vermutlich nicht die geringste Ahnung davon hatten, in welcher Gefahr sie alle schwebten. Feli seufzte und blickte nach oben, um dem Sonnenstand nach ihre weiteren Möglichkeiten abzuschätzen. Sie hatte die Wahl zwischen einer kleineren Abkürzung, bei der sie noch vor dem Sonnenuntergang in einem kleinen Dorf einkehren konnte, aber nicht viel Zeit für den nächsten Tag gewinnen würde. Sie konnte auch eine längere Strecke einsparen, würde dann aber vom Einbruch der Nacht eingeholt werden. Zudem würde sie sich dann in einer weniger dicht besiedelten Gegend befinden, so dass die Gefahr bestand, an ein Rudel Wölfe zu geraten.
Während sie ihre Optionen abwog wurde ihr klar, dass sie die riskantere wählen musste, wenn sie mehr Zeit für ihre Rückkehr herausholen wollte. Dann fiel ihr eine Hütte entlang des Weges ein, die am Waldrand lag und Reisenden Schutz bieten sollte, die es nicht mehr rechtzeitig in ein Dorf schaffen würden und in keiner größeren Gruppe reisten, die ihnen Schutz bot. Damit war ihre Entscheidung getroffen, und Feli schwang sich rasch in den Sattel.
Da sie ihre Kari bisher noch vergleichsweise geschont hatte, nahm sie sich nun heraus, in den verbleibenden Stunden ein etwas höheres Tempo einzufordern. Die schmalen Wege durch die Waldabschnitte, die von Jägern und Waldläufern genutzt wurden, verlangsamten sie zwar im Vergleich zum offenen Feld, da sie auf peitschende Äste und Zweige achten musste und auch die Wurzeln am Boden waren nicht ungefährlich, doch sie kam immer noch schneller voran als über die gewundene Straße.
Die Sonne senkte sich unaufhaltsam zum Horizont. Als Feli an ihrem letzten Punkt der Straße angekommen war, um dort die Spuren zu prüfen, war sie schon fast hinter den Baumwipfeln verschwunden. Feli hatte gerade noch genug Licht, um sicher zu gehen, dass sie auch an dieser Stelle noch vor den Truppen des Rächerordens war. Einen kürzlich vorbeigezogenen Tross hätte man anhand der Spuren klar erkennen müssen. Darüber hinaus war sie sich sicher, dass die Männer zu dieser Tageszeit das Nachtlager vorbereiten würden. So günstig wie der Wind gerade wehte, würde sie die laute Geräuschkulisse noch meilenweit hören, falls das Lager sich weiter in Richtung Starogrâd befand. Sie war sich sicher, dass die Truppen noch vor ihr waren.
Damit wandte sie sich mit Blicken und Gedanken ihrem nächsten Ziel zu. Auch wenn die Tage inzwischen länger waren, würde sie die Hütte nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Doch zu ihrem Vorteil musste sie dafür die Straße nicht mehr verlassen, außer beim allerletzten Stück, der über eine Wiese führte und an den Wald heran. Für alle Fälle bereitete sie eine kleine Laterne vor, füllte das Öl nach und entzündete den Docht. Solange sie noch halbwegs etwas sehen konnte, trieb sie die Stute an, um Zeit zu gewinnen. Je schneller sie bei der Hütte ankam, desto schneller konnte sie schlafen, desto eher konnte sie am kommenden Morgen aufstehen.
Der graue Mond, auch bekannt als das Chaosgestirn und der rote Mond des Feuers waren bereits am Himmel zu sehen, während die übrigen drei im Zwielicht nur zu erahnen waren. Feli trieb Kari zur Eile an. Die Stute spürte die Nervosität ihrer Reiterin und eilte die Straße entlang. Feli hoffte zwar darauf, dass die Wölfe es inzwischen einfacher hatten, in den Wäldern Beute zu reißen im Vergleich zum kargen Winter, und ihr nicht entlang des Weges auflauern würden, doch man konnte sich nie sicher sein. Menschen waren nicht die einzigen, die zur dunklen Phase des roten Mondes stärker zu finsteren, blutrünstigen Gefühlen und Taten neigten, auch die Raubtiere waren in dieser Zeit gefährlicher. Darum nannte man das Gestirn in solchen Zeiten auch den Blutmond.
Das Sonnenlicht schwand immer mehr zu einem immer schwächeren Glimmen über den Baumwipfeln und erstarb schließlich ganz. Mit ihm zusammen verstummten die tagaktiven Vögel. Das Licht der Monde war zwar hell genug, um die Straße zu erkennen, sobald sich die Augen darauf eingestellt hatten, doch nicht ausreichend, um eine lauernde Gefahr um sie herum zu bemerken. Immerhin war es nicht mehr weit. Noch ein Paar Meilen über die Straße, dann eine kurze Strecke über den Wiesenpfad. Die von ihr angepeilte Hütte stand unweit eines Bachs, wo sie ihren Wasserschlauch befüllen und Kari tränken konnte.
Feli griff zur Laterne, um das schwach glimmende Licht stärker aufzudrehen, da sah sie, wie sich die Ohren der Stute aufstellten und hörte selbst das Knurren der Raubtiere um sie herum. Von beiden Seiten sprangen die lauernden Wölfe sie an. Im Bruchteil eines Augenblicks zählte sie drei Tiere auf der einen Seite und drei auf der anderen. Mit einem Kampfschrei zog sie ihre Waffe, gab Kari aber mit ihren Oberschenkeln zu verstehen, dass sie nach vorne preschen sollte. Zwei der Wölfe versuchten ihnen jedoch den Weg abzuschneiden. Die Stute bäumte sich auf und schlug mit