Gösta Berling. Selma Lagerlöf

Gösta Berling - Selma Lagerlöf


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Schätze des Landes verloren, war bisher jedoch nur Marianne und ihrer Pflegerin bekannt. Nicht einmal die Kavaliere wußten es. Das Krankenzimmer, in dem die Blattern herrschten, stand nicht einem jeden offen.

      Wann aber ist die Selbstkritik stärker als in den langen Stunden der Genesung? Da sitzt sie und starrt und starrt mit ihren Eisaugen und zupft und pflückt mit ihren harten, knöcherigen Fingern. Und sieht man recht zu, so sitzt dahinter ein anderes, gelblich blasses Wesen, das mit seinem Hohnlächeln starrt und lähmt, und dahinter noch eins und noch eins – alle hohnlachend über einander und über die ganze Welt.

      Und während Marianne dalag und sich mit allen den starren Eisaugen betrachtete, erstarben alle ursprünglichen Gefühle in ihr.

      Sie lag da und spielte die Kranke, sie lag da und spielte die Unglückliche, spielte die Verliebte, spielte die Rachelustige. Sie war dies alles, und doch war es nur Spiel.

      Unter dem Blick der Eisaugen wurde alles Spiel und Unwirklichkeit, sie bewachten sie und wurden selber von einem andern Augenpaar bewacht, das wiederum von einem andern bewacht wurde – in endloser Perspektive.

      Alle starken Kräfte des Lebens lagen im Zauberschlaf. Sie hatte die Fähigkeit zu glühendem Haß, zu hingebender Liebe nur eine einzige Nacht besessen – nicht länger. Sie wußte nicht einmal, ob sie Gösta Berling liebte. Sie sehnte sich danach ihn zu sehen, um zu versuchen, ob er imstande sei, sie sich selbst vergessen zu machen.

      Solange die Macht der Krankheit währte, hatte sie nur einen klaren Gedanken gehabt: sie hatte Sorge getragen, daß ihre Krankheit nicht bekannt wurde. Sie wollte ihre Eltern nicht sehen, sie wollte keine Versöhnung mit ihrem Vater, sie wußte, daß er bereuen würde, was er getan, sobald er erfuhr, wie krank sie war. Deswegen befahl sie, daß ihren Eltern und allen andern gesagt werden soll, daß dies Augenleiden, das sie häufig befiel, wenn sie sich auf Björne aufhielt, sie zwänge, hinter herabgelassenen Rouleaus zu sitzen. Sie verbot ihrer Pflegerin zu sagen, wie krank sie sei; sie verbot den Kavalieren, einen Arzt aus Karlstad zu holen. Sie habe ja die Blattern, aber nur sehr leicht, und die Hausapotheke zu Ekeby enthalte genug, um ihr Leben zu fristen.

      Sie dachte nie daran, daß sie sterben könne; sie lag nur da und wartete auf ihre Genesung, um mit Gösta zu dem Pfarrer zu fahren und das Aufgebot zu bestellen.

       Nun aber waren die Krankheit und das Fieber überstanden. Sie war wieder kühl und klug. Es war ihr, als sei sie in dieser ganzen Welt von Toren die einzig Vernünftige. Sie haßte nicht und liebte nicht. Sie verstand ihren Vater, sie verstand sie alle. Wer versteht, der haßt nicht.

      Sie hatte erfahren, daß Melchior Sinclaire die Absicht habe, eine Auktion auf Björne abzuhalten und alles zu zerstören, was er besaß, damit sie nichts von ihm erben könne. Man sagte, er wolle die Zerstörung so gründlich wie nur möglich machen; erst wollte er alle Möbel und allen Hausrat verkaufen, dann das Vieh und die Ackergerätschaften und zuletzt den ganzen Hof; und alles Geld wollte er in einen Sack stecken und in den Löfsee versenken. Zerstörung, Vernichtung sollte ihr Erbe sein. Marianne lächelte beifällig, als sie das hörte: so war sein Charakter, so mußte er handeln.

      Sonderbar erschien es ihr, daß sie jemals das Lob der Liebe gesungen hatte. Sie hatte von einer Hütte und von seinem Herzen geträumt; jetzt konnte sie nicht verstehen, daß sie jemals einen solchen Traum gehabt hatte.

      Sie seufzte nach Natur. Sie war dieses ewigen Spiels müde. Nie hatte sie ein starkes Gefühl. Sie trauerte kaum um ihre Schönheit, aber ihr graute vor fremdem Mitleid.

      O, nur eine Sekunde Selbstvergessenheit! Ein Wort, eine Handlung, eine Bewegung, die nicht berechnet war!

      Eines Tages, als das Zimmer gelüftet und von der Aufdeckung gereinigt war und sie angekleidet auf einem Sofa lag, ließ sie Gösta Berling rufen. Man antwortete ihr, er sei zur Auktion nach Björne gefahren.

       Wahrlich, das war eine große Auktion auf Björne! Es war ein altes, reiches Haus. Meilenweit waren die Leute gereist, um zu bieten.

      Der große Melchior Sinclaire hatte alles, was das Haus besaß, in dem großen Saal aufeinander gehäuft. Tausende von Dingen lagen bunt durcheinander in hohen Bergen, die vom Fußboden bis an die Decke reichten. Er selber war wie der Engel der Zerstörung am Tage des Gerichts im Hause umhergegangen und hatte alles zusammengeschleppt, was er verkaufen wollte. Die schwarzen Kochtöpfe, hölzernen Stühle, zinnernen Krüge, die Kupfergeräte, das alles hatte Ruhe vor ihm, denn daran war ja nichts, was an Marianne erinnerte; aber das war auch das Einzige, was seinem Zorn entging.

      Er brach in Mariannens Zimmer ein und zerstörte alles. Dort stand ihr Puppenschrank und ihr Bücherbord, der kleine Stuhl, den er für sie hatte machen lassen; ihre Schmucksachen und ihre Kleider, ihr Sofa und ihr Bett, das alles mußte fort.

      Dann ging er von einem Zimmer ins andere. Er riß alles an sich, was ihm mißfiel, und trug große Lasten in den Auktionssaal hinab. Er stöhnte unter den schweren Sofas und Marmortischen, aber er hielt stand. Und er warf alles in einem entsetzlichen Wirrwarr bunt durcheinander. Er zerschlug die Schränke und nahm das kostbare Familiensilber heraus. Weg damit! Marianne hatte es berührt. Er nahm die Arme voll von schneeweißem Damast, solide, eigengemachte Arbeit, die Früchte jahrelangen Fleißes, und warf das Ganze auf den Haufen. Weg damit! Marianne war nicht wert, es zu besitzen! Er stürmte mit Stapeln von Porzellan durch die Zimmer, ohne sich daran zu kehren, daß er die Teller zu Dutzenden zerbrach, und er ergriff die alten Sèvrestassen, auf denen das Familienwappen eingebrannt war. Weg damit! Nehme sie, wer da will! Er warf Berge von Betten vom Boden herab: Kissen und Daunendecken so weich, daß man darin versank wie in einer Welle. Weg damit! Marianne hatte darauf geschlafen.

      Er warf wütende Blicke auf die alten, wohlbekannten Möbel. Gab es wohl einen Stuhl, ein Sofa, auf dem sie nicht gesessen, ein Gemälde, das sie nicht betrachtet, einen Kronleuchter, der ihr nicht gestrahlt, einen Spiegel, der ihre Züge nicht wiedergegeben hätte? Finster ballte er seine Faust gegen diese Welt von Erinnerungen. Am liebsten wäre er mit einer Keule auf sie losgefahren und hätte das Ganze in Splitter zerschlagen.

      Doch fand er, daß die Rache noch gründlicher war, wenn er das Ganze auf die Auktion brachte. Zu Fremden hinaus sollte es! Sollte in Tagelöhnerwohnungen beschmutzt werden, unter den Händen gleichgültiger, fremder Menschen verfallen. Kannte er nicht zur Genüge diese abgestoßenen Auktionsmöbel in den Bauernstuben, verachtet, entehrt, geradeso wie seine schöne Tochter! Weg damit! Mochten sie dastehen mit zerrissenem Polster, aus dem das Krollhaar herausguckte, mit verschlissener Vergoldung, mit zerbrochenen Beinen und geborstenen Tischplatten, mochten sie sich nach ihrem alten Heim sehnen! Weg damit in alle Ecken der Welt, daß kein Auge sie wiederfinden, keine Hand sie wiedersammeln konnte!

      Als die Auktion begann, hatte er den halben Saal mit einem unglaublichen Wirrwarr von aufgestapeltem Hausgerät angefüllt.

       Quer durch den Saal hatte er einen langen Tisch aufgestellt. Dahinter stand der Auktionshalter und rief auf, dort saßen die Schreiber und schrieben auf, und dort hatte Melchior Sinclaire ein Branntweinfäßchen stehen.

      Im andern Teil des Saales, auf der Diele und auf dem Hofe befanden sich die Käufer.

      Da waren viele Menschen, viel Lärm und Munterkeit. Die Gebote fielen schnell, und die Auktion ging lebhaft vonstatten. Aber an dem Branntweinfäßchen, seinen ganzen Besitz in grenzenlosen Wirrwarr hinter sich, saß Melchior Sinclaire, halb betrunken und halb verrückt. Das Haar umrahmte in wilden Büscheln sein rotes Gesicht, die blutunterlaufenen, wilden Augen rollten. Er rief und lachte, als sei er in bester Laune, und jedesmal, wenn jemand ein gutes Gebot machte, rief er ihn zu sich heran und schenkte ihm einen Schnaps ein.

      Unter denen, die ihn dort sahen, befand sich auch Gösta Berling, der sich zwischen die Käufer gemischt hatte, es aber vermied, Melchior Sinclaire vor die Augen zu kommen. Ihm ward unheimlich zumute bei dem, was er sah, und sein Herz schnürte sich zusammen wie im Vorgefühl eines Unglücks.

      Er wunderte sich, wo wohl Mariannens Mutter nur sein mochte. Und schließlich ging er, halb wider Willen, aber vom Schicksal getrieben, hin, um Frau Gustava Sinclaire zu suchen.

      Er ging durch viele Türen, ehe er sie fand. Der große Gutsherr hatte nicht


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