Gösta Berling. Selma Lagerlöf
kaufen und kontant bezahlen. Da will ich doch sehen, was für ein Gesicht der große Gutsherr aufsetzt.«
Sintram zog den Kopf ganz zwischen die Schultern und lachte ein langes, inwendiges Lachen. Dann ging er in den Auktionssaal und trat dicht an Melchior Sinclaire heran.
»Willst du einen Schnaps haben, Sintram, so mußt du, hol mich der Teufel! erst bieten.«
»Du hast doch auch stets Glück, Bruder«, sagte Sintram. »Hier kommt einer mit einem ganzen Schlitten voll Geld gefahren. Er will Björne mit Inventar, Besatzung und allem kaufen. Er hat mit andern die Verabredung getroffen, daß sie für ihn bieten sollen. Er selber will sich solange gar nicht zeigen.«
»Du kannst mir wohl sagen, wer es ist, wenn ich dir einen Schnaps für die Mühe gebe?«
Sintram nahm den Schnaps und trat ein paar Schritte zurück, ehe er antwortete.
»Es soll der Pfarrer von Broby sein, Bruder Melchior!«
Melchior Sinclaire hatte bessere Freunde als den Pfarrer von Broby. Es hatten jahrelange Feindseligkeiten zwischen ihnen bestanden. Die Sage ging, daß der große Gutsherr in dunklen Nächten auf den Wegen, die der Pfarrer zurücklegen mußte, auf der Lauer gelegen und ihm manche Tracht Prügel verabreicht hatte, diesem Bauernschinder, diesem Geizkragen!
Wohl hatte sich Sintram einige Schritte zurückgezogen, doch entging er nicht ganz dem Zorn des großen Mannes. Er bekam ein Schnapsglas an die Stirn und das ganze Branntweinfäßchen vor die Füße gesegelt. Dann aber folgte auch eine Szene, die sein Herz noch für lange Zeiten erfreute.
»Will der Pfarrer von Broby mein Gut haben?« brüllte Sinclaire. »Steht ihr da und schlagt dem Pfarrer von Broby meinen Besitz zu? Wie die Hunde solltet ihr euch schämen!« – Er nahm einen Leuchter und ein Tintenfaß und schleuderte beides in die Volksmenge. Alle die Bitterkeit seines armen Herzens machte sich endlich Luft. Brüllend wie ein wildes Tier, ballte er die Faust gegen die Umherstehenden und schleuderte alles, was ihm in die Hand kam, als Wurfgeschosse gegen sie. Schnapsflaschen und Gläser sausten durch den Saal. Er wußte selber nicht, was er tat. »Die Auktion ist beendet!« brüllte er. »Hinaus mit euch! Solange ich lebe, soll der Pfarrer von Broby nun und nimmer Herr auf Björne werden. Hinaus mit euch! Ich will euch lehren, für den Pfarrer von Broby zu bieten.«
Er ging auf den Auktionshalter und die Schreiber los. Sie sprangen zur Seite. In der Verwirrung rissen sie den Tisch um, und der Gutsherr fuhr wie ein Rasender unter die große Schar friedlicher Menschen.
Es entstand Flucht und wilde Verwirrung. Ein paar hundert Menschen drängten nach der Tür aus Furcht vor einem einzigen Manne. Und er stand still, sein »Hinaus mit euch!« brüllend. Er sandte ihnen laute Verwünschungen nach, indem er einen Stuhl wie eine Keule über seinem Haupte schwang.
Er verfolgte sie bis auf die Diele hinaus, aber nicht weiter. Als der letzte Fremde die Treppe hinab war, ging er in den Saal zurück und schloß die Tür hinter sich ab. Dann zog er eine Matratze und ein paar Kissen aus dem Haufen heraus, legte sich darauf nieder und schlief mitten in der Zerstörung ein, um erst am andern Tage wieder zu erwachen. – –
Als Gösta nach Hause kam, erfuhr er, daß Marianne mit ihm sprechen wolle. Das traf sich günstig, er hatte gerade darüber nachgedacht, wie er sie zur Sprache bekommen könne.
Als er in das dunkle Zimmer trat, in dem sie lag, blieb er einen Augenblick an der Tür stehen. Er konnte nicht sehen, wo sie war.
»Bleibe, wo du bist, Gösta«, sagte Marianne. »Es kann gefährlich sein, mir nahezukommen.«
Aber Gösta war die Treppen in ein paar Sprüngen hinangeeilt, bebend vor Eifer und Sehnsucht. Was kümmerte er sich um die Ansteckung. Er wollte die Seligkeit genießen, sie zu sehen.
Denn sie war schön, die Geliebte seines Herzens. Niemand hatte so weiches Haar, eine so klare, strahlende Stirn. Ihr ganzes Gesicht war ein Spiel schön geschwungener Linien.
Er dachte an die Augenbrauen, die sich so scharf und klar abhoben wie die Honiggrübchen einer Lilie, an die keck geschwungene Linie der Nase, an die Lippen, die sich fein kräuselten wie eine rollende Woge, an das Oval der Wangen und die ausgesucht feine Form des Kinns. Er dachte an die zarte Farbe ihrer Haut, an die nachtschwarzen Brauen unter dem blonden Haar, an die blauen Augäpfel in dem klaren Weiß, an den Schimmer in den Augenwinkeln.
Schön war sie, seine Geliebte! Er dachte daran, welch ein warmes Herz sie unter dem stolzen Äußern verbarg. Sie hatte die Kraft, sich hinzugeben, sich zu opfern, verbarg sie aber sorgsam unter dem eleganten Wesen, unter den stolzen Worten. Es war Seligkeit, sie zu sehen.
In zwei Sprüngen war er die Treppe hinaufgekommen, und dann glaubte sie, daß er an der Tür stehenbleiben wolle! Er stürmte durch das Zimmer und sank neben ihrem Lager auf die Knie.
Er wollte sie sehen, sie küssen, Abschied von ihr nehmen. Er liebte sie, er würde niemals aufhören, sie zu lieben, aber sein Herz war daran gewöhnt, in den Staub getreten zu werden.
O, wo sollte er sie finden, diese Rose ohne Stütze, ohne Wurzel, die er zu sich nehmen und die Seine nennen durfte? Nicht einmal sie, die er verworfen und halbtot am Wegesrande gefunden hatte, durfte er behalten. Wann würde wohl seine Liebe ihren Gesang anstimmen, so hoch und rein, daß kein Mißklang hindurchtönte? Wann würde sein Glück auf einem Grund erbaut werden, nach dem sich kein anderes Herz mit Unruhe und Verlangen sehnte?
Er dachte darüber nach, wie er Abschied von ihr nehmen sollte.
»Es herrscht großer Jammer daheim bei dir«, wollte er sagen. »Mein Herz blutet, wenn ich daran denke. Du mußt nach Hause gehen und deinem Vater seinen Verstand wiedergeben. Deine Mutter schwebt in beständiger Lebensgefahr. Du mußt nach Hause, Geliebte!«
Seht, solche Worte der Entsagung hatte er auf den Lippen, aber sie wurden nicht ausgesprochen.
Er fiel an ihrem Lager auf die Knie, nahm ihren Kopf zwischen beide Hände und küßte sie. Dann aber fand er keine Worte. Sein Herz begann so heftig zu schlagen als wollte es seine Brust zersprengen.
Die Blattern hatten das schöne Gesicht zerstört, die Haut war grob und narbig geworden. Nie wieder sollte das rote Blut durch die Wangen schimmern oder in den feinen blauen Adern an der Stirn sichtbar werden. Die Augen lagen matt unter den geschwollenen Lidern. Die Brauen waren verschwunden, und die weiße Emaille in den Augen hatte einen gelblichen Schimmer.
Alles war zerstört. Die kecken Linien waren grob und schwerfällig geworden.
Es waren ihrer nicht wenige, die später Marianne Sinclaires entschwundene Schönheit beweinten. Aber der erste Mann, der sie sah, nachdem sie ihre Schönheit verloren hatte, gab sich nicht dem Schmerz hin. Unsagbare Gefühle erfüllten seine Seele. Je länger er sie ansah, um so wärmer wurde es in ihm. Die Liebe schwoll und schwoll wie ein Fluß im Frühling. Gleich Feuerwogen entströmte sie seinem Herzen, sie erfüllte sein ganzes Wesen, sie stieg ihm als Tränen in die Augen, seufzte auf seinen Lippen, zitterte in seinen Händen, in seinem ganzen Körper.
O, sie zu lieben, sie zu verteidigen, sie schadlos zu halten, schadlos! Ihr Sklave zu sein, ihr Schutzgeist!
Stark ist die Liebe, wenn sie die Feuertaufe des Schmerzes erhalten hat. Er konnte nicht mit Marianne von Trennung und Entsagung reden. Er konnte sie nicht verlassen. Er schuldete ihr sein Leben. Er hätte um ihretwillen Todsünden begehen können.
Er sprach kein vernünftiges Wort; er weinte nur und küßte sie, bis die alte Pflegerin meinte, daß es jetzt für ihn an der Zeit sei zu gehen.
Nachdem er gegangen war, lag Marianne da und dachte an ihn und an seine Erregung.
»Es ist gut, so geliebt zu werden«, dachte sie.
Ja, es war gut, geliebt zu werden; wie aber stand es mit ihr selber? Was fühlte sie? Ach, nichts! Weniger als nichts!
War sie tot, ihre Liebe, oder wohin war sie entflohen? Wo verbarg es sich, das Kind ihres Herzens? Lebte es noch, hatte es sich in den innersten Winkel ihres Herzens verkrochen und saß dort und fror unter den Eisblicken, eingeschüchtert durch das