Schmunzelmord. Rudolf Widmann Georg
https://autor-michael-kothe.jimdofree.com
Die im Buch beschriebenen Handlungen und die genannten Personen sind fiktiv. Ähnlichkeiten und Namensgleichheiten sind zufällig und unbeabsichtigt. Orte, Straßennamen und Hausnummern wurden auf Grund ihrer Umgebung und Lage gewählt und stehen in keinem realen Zusammenhang mit den geschilderten Fällen. Produkt- und Markennamen sind Eigentum der jeweiligen Rechteinhaber.
Schreibt eure Bewertung im Internet und bei facebook & Co oder schickt sie mir als Mail mit Leserfoto zu Posten auf meiner Homepage und im Internet. Ich freu´ mich drauf.
Vorstadtmord
Es war wohl kurz vor Mitternacht. Seit einer gefühlten halben Stunde hockte er auf dem oberen Treppenabsatz vor der Schlafzimmertüre, bevor er sich nun hinunter traute. Irgendwann musste er ja das Haus verlassen.
Hannes war ein Kleinkrimineller, war geschickt im Taschendiebstahl und vorsichtig bei seinen Wohnungseinbrüchen. Er war ein Weichei, ein Dünnbrettbohrer. Deshalb hatte er sich nie an einem großen Coup versucht. Immer hatte er gründlich auskundschaftet, Schaden vermieden und Beute von so geringem Wert mitgehen heißen, dass die Besitzer sie, wenn überhaupt, erst nach einiger Zeit vermissten. Dann wussten sie schon nicht mehr, wann sie ihre Sachen zum letzten Mal gesehen hatten. Nie hatte er in der Regionalzeitung auch nur eine Zeile über seine Einbrüche gelesen.
Und nun war er in einen Mord verwickelt!
Die Doppelhaushälfte in der Dachauer Karl-Riemer-Straße an der Würm hatte er längere Zeit beobachtet. Die Nachbarn waren für Wochen fortgefahren, sein Wohnungsinhaber, ein älterer Herr, saß regelmäßig bis in die Morgenstunden im unten gelegenen Wohnzimmer vor dem Fernseher, oft genug war er dort eingeschlafen.
Hannes hatte sich durch den von außen nicht einsehbaren Garten geschlichen, der an die Südseite der KZ-Gedenkstätte grenzte, durch den auf Spalt herabgelassenen Rollladen gespäht und sich gefreut, dass alles so war wie erwartet. Den Balkon über dem Wohnzimmer erreichte er nach einem Tritt auf die Regentonne und zwei Griffen ins Geländer schnell, die Balkontür stand wie gewöhnlich zum Lüften spaltbreit offen. In seiner dunklen Kleidung hätte ihn auch dann niemand sehen können, wenn Spaziergänger sich in der kühlfeuchten Herbstnacht noch auf der Straße befunden hätten.
Gerade hatte er lautlos die Schubladen der Schlafzimmerkommode geöffnet und durchsucht. Den Pfiff durch die Zähne verkniff er sich gerade noch. Von den fünf Armbanduhren steckte er nur zwei ein, Markenuhren, aber nicht die teuersten aus der Sammlung. Der Alte würde sie wohl vermissen, aber glauben, er habe sie verlegt.
Es klingelte an der Haustür. Hannes hörte den Sessel des Seniors ächzen, als der sich erhob, und hörte ihn mit einem leisen Fluch zur Tür schlurfen. Das Klingeln wiederholte sich, die Tür wurde geöffnet, der Hausherr stellte eine Frage, und die Tür fiel wieder ins Schloss, wohl recht heftig zugestoßen. Hannes spähte durch die Lochbleche des modernen Edelstahlgeländers und sah, wie der Hausherr rückwärts durch die Diele ins Wohnzimmer gedrängt wurde. Seine Proteste konnte er nicht verstehen.
Sein Herz setzte ein paar Schläge aus, als der Eindringling in seine Richtung nach oben blickte: Er glaubte, sich selbst ins Gesicht zu sehen! Zum Glück widerstand er der Versuchung, sich hastig zurückzuziehen, die Bewegung hätte man von unten aus gesehen. Reglos klebte er am Geländer, überlegte fieberhaft, woher er den Kerl mit der Baseballmütze kannte. Eine Mütze mit dem eingestickten Namen Michael Jordan und einem stilisierten Basketball, sogar den runden silbernen Aufkleber mit dem Hologramm erkannte Hannes. Ein Zeichen, dass der Träger sie offenbar in einem Fanshop erstanden hatte.
Im Wohnzimmer entspann sich außerhalb seines Blickfeldes ein erregter Disput, aus dessen Bruchstücken sich Hannes zusammenreimte, es ginge um etwas Persönliches. Dann ein dumpfer Schlag, Rascheln und Schaben, und er sah den Eindringling durch die Diele in Richtung Haustür hasten, die geöffnet und gleich darauf wieder zugezogen wurde.
Endlich raffte sich Hannes auf, schlich die Treppe hinunter, betrat die hölzernen Stufen nur am Rand, weil sie dann weniger knarrten, und stand im Wohnzimmer. Der alte Herr lag seitlich gekrümmt auf dem Teppich, die Blutlache unter seinem Hinterkopf hatte aufgehört, sich weiter auszubreiten. Hannes würgte, seine Blicke streiften hektisch umher, Panik verwirrte seine Gedanken. Nur fort! Rückwärts ging er in die Diele, drehte sich um und wollte durch die Haustür auf die Straße. Nur fort! Die Hand hatte er schon fast auf der Klinke, als ihm das Licht der Straßenlaterne auffiel, das durch den Türspion hereinschien. Er machte kehrt und hatte beinahe die Treppe erreicht, als sein Fuß etwas zur Seite stieß. Instinktiv bückte er sich, hob die dicke Geldbörse auf und ließ sie in die weite Tasche seiner Jacke gleiten.
Ungesehen verließ er das Haus auf demselben Weg, auf dem er sich hineingeschlichen hatte.
Angst packte ihn, hielt ihn den ganzen Heimweg im Griff. Wer war der Mörder, sein Doppelgänger? Hatte der ihn nicht doch bemerkt? Was hatte er von ihm zu befürchten?
Er durchquerte die Arbeitersiedlung, durch die er zu seiner Wohnung musste. Einst schmucklose Reihenhäuser aus den dreißiger Jahren, hatten sie heute durch den Geschmack und die Mühen ihrer Eigentümer eine morbide anmutende Schönheit angenommen. Gepflegte Vorgärten, immer nur ein Handtuch von Grundstück, mit akkurat geschnittener Hecke. Blumenkästen mit Geranien auf den Fensterbänken. Es wurde Zeit, dass die verblühten Pflanzen durch winterharte Heide ersetzt würden.
Der Weg des Erinnerns führte hier hindurch, eine im Jahr 2007 eingeweihte Route zum Gedenken an die Opfer der NS-Zeit. Auf einem Dutzend Schildern wurden die Stationen beschrieben, an denen die KZ-Häftlinge auf ihrem drei Kilometer langen Marsch vom Bahnhof zum Lager vorbeikamen.
Hannes blieb überrascht stehen. Den ganzen Weg lang hatte er gegrübelt, woher ihm der Mörder bekannt vorkam. Als er jetzt den Blick hob, fand er sich vor dem fünf Schritt langen Plattenweg zu einem dieser gleich aussehenden Häuser stehen. Er schlug sich mit der Hand an die Stirn. Natürlich! Vor diesem Haus hatte er ihn öfter gesehen, hatte sich über die Ähnlichkeit mit ihm gewundert. Bisher hatte es ihn belustigt. Sein Blick wanderte ziellos über die Fassade, die weißen Fensterrahmen aus Holz, die Kachel mit der Hausnummer 29, den Briefkastenschlitz in der Türe und die Klingel mit dem Namensschild.
Der Mörder wohnte hier, ein grober Kerl, wie Hannes selbst Ende zwanzig, aber ein Draufgänger, der ihn schon öfter angepöbelt hatte. Er erschrak und machte, dass er heimkam.
Die folgende Woche war der lokale Blätterwald voll von Berichten über den Mord. Die Polizei tappte im Dunklen, Spuren gab es nicht, die Reporter ergingen sich in Spekulationen.
Viel Geld war nicht in der Börse gewesen, dafür der Personalausweis und mehrere Kreditkarten des Toten. Konnte Hannes damit etwas anfangen? Geld hätte er gut gebrauchen können, sein 450-Euro-Job in der Lagerhalle reichte gerade, die eineinhalb Zimmer in dem heruntergekommenen Anbau zu bezahlen, den er sein Zuhause nannte. Deshalb unternahm er die kleinen Diebestouren. Mit seinen 29 Jahren hatte er nichts erreicht, was er gerne auf seine schwere Kindheit zurückführte. Das gab ihm die angenehme moralische Überzeugung, die Welt sei ungerecht und er der einzig Gute darin. So wunderte er sich auch nicht, als er in sich den Entschluss reifen spürte, den Mörder zur Strecke zu bringen. Dumm nur, dass er nicht als Zeuge auftreten durfte, er hätte sich selbst ans Messer geliefert! Und Beweise hatte er auch nicht.
Ohne recht zu wissen, was er davon zu erwarten hatte, sah er sich in den folgenden Tagen nach der Erfüllung seiner Teilzeitarbeit immer häufiger in der Arbeitersiedlung herumstreunen. Er lungerte in der kleinen Grünanlage an deren Ende herum. Oder er saß mit Schal und hochgeschlagenem Kragen länger, als dafür nötig gewesen wäre, vor seiner Pilstulpe an dem Klapptisch, der zu dem Kiosk in einer Lücke zwischen den Häuserzeilen gehörte. Immer hatte er die Tür des Hauses Nummer 29 im Blick. Seinem Doppelgänger schlich er regelmäßig nach, wenn der ins Freie trat.
Die Baseballkappe schien eine Art Markenzeichen zu sein, sein gesamtes Auftreten war darauf ausgerichtet. Der Mörder trug eine dieser aus der Mode gekommenen