Dorin, der Erdwichtel. Stefan Wichmann

Dorin, der Erdwichtel - Stefan Wichmann


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vor. Er liebte die Harztaschen an den Zweigen des Nadelholzes. Vor allem pikste er diese kleinen Erhebungen gern an und roch an dem austretenden Harz, das klebrig war und von seinen Eltern Baumpech genannt wurde. Doch heute interessierte ihn nicht das Harz, das an manchen Stellen in dicken Tropfen aus dem Holz hervorquoll. Zwischen den Zweigen lugte er in die umliegende Gegend. Sein Blick flog über weitere Holzhügel, die auf den ersten Blick wie zufällig verstreut angeordnet schienen. Aus den meisten drang eine kleine Rauchsäule. Langsam tasteten seine bernsteinfarbenen Augen die Wiese ab. Hier war immer viel los, denn die vielen kleinen Grashalme und Wiesenblumen brauchten Kraft um das Wasser aus dem Boden zu ziehen. Dies ging nicht allein. Nichts ging allein. Nur wo Kraft hineingesteckt wird, kann sich auch etwas entwickeln, fiel ihm der Lehrsatz aus der Schule ein. Sein Blick blieb an einer Graselfe haften, die um diese Zeit noch tätig war. Sie flog immer wieder vom Boden bis zur Spitze der Grashalme und putzte und ordnete diese, sodass tagsüber die Wärme der Sonne an die Halme gelangen konnte. So wurde durch die Wärme das feuchte Nass aus dem Boden bis in die Spitze hinaufgesogen. Morgens leuchten die Elfen schöner, dachte Dorin und kniff die Augen zusammen, als er eine Elfe sah, deren Leuchtkraft nur noch matt war. Wie müde musste sie sein! Wenn er Glück hatte, konnte er die wahre Gestalt der Elfe sehen, sie sollten so ein schönes Gesicht haben und natürlich spitze Ohren. Doch sie zeigte sich ihm nicht in ihrer wahren Gestalt und eigentlich interessierten ihn diese kleinen Graselfen und Blumenelfen nicht, die sich um die Pflege der Pflanzen kümmerten. Er lächelte. Bei jedem Problem rannten sie zu einer der großen Elfen, den Deva‘s, um Rat zu erfragen oder weitere Anweisungen zu erhalten.

      Er beobachtete, wie eine Blumenelfe vorsichtig die Blüte einer noch jungen Margerite schloss. Dann schwebte sie müde mit den anderen Elfen hinter der größeren Deva her. Langsam ging sein Blick hoch zum Baum. Manchmal saß eine der Wachen dort. Sein Blick wanderte noch höher zu den Sternen, die er so liebte, und ging dann hin zu den Alten, die jetzt dort am großen Lagerfeuer saßen. Sie erzählten sich etwas. Sie schnitzten an Stöcken und stellten die schönsten Gegenstände zum Tauschen her. Sie brauchten es nicht wirklich. Hatte jemand Hunger, so gab man ihm zu essen, bat jemand um Hilfe, so half man ihm. Aber sie hatten das Tauschen bei den Zwergen beobachtet und diese bei den Menschen. Wichtel fanden es lustig, andere nachzuahmen.

      Dorin schlüpfte vollends unter dem Holzstapel hindurch und schlich sich vorsichtig an das Lagerfeuer heran.

      Als ein Frosch vom nahen Teich leise quakte, erstarb das Zirpen der Grillen und schnell stimmten andere Frösche in das Rufen ein. Die Töne schwollen unwillkürlich zu einem wahren Organ von lauten Tönen an und Dorin war dankbar für die unerwartete Hilfe. Er nickte den Mädchen vom Volk der Undine zu, die sich um das Wohlergehen der Frösche kümmerten und diese lächelten zurück. Der Geräuschpegel machte es ihm leicht, unbemerkt über den Boden zu robben. Genauso plötzlich, wie die Frösche mit dem Quaken begonnen hatten, verstummten sie jedoch und er hielt erschrocken und mitten in der Bewegung inne. Hilfe suchend sah er sich zu den Undinen um. Udoni, eines diese Naturwesen vom Volke der Udine stand mit verschränkten Armen und zusammengekniffenen Augen bei den Fröschen. Sie starrte ernst aber nicht feindselig zu Dorin. Der hob entschuldigend die Arme. Ja, er hatte kürzlich seinen Schabernack mit einem dieser Frösche getrieben!

      Ja, er würde sich entschuldigen, aber nicht jetzt! Ihn trieb die Neugier weiter, denn die Alten am Lagerfeuer hatten immer Neuigkeiten oder alte spannende Geschichten zu erzählen. Es drängte ihn, schnell und nahe genug an das Lagerfeuer zu gelangen, um endlich die Worte verstehen zu können. Er hoffte, dass es sich lohne, sich der Gefahr auszusetzen, erwischt zu werden.

      Hoffentlich erzählte nicht Furgil wieder einer von seinen neuen persönlichen Erfolgen, von fremden Völkern oder Kaufleuten. Er war der Sohn des Schamanen und eigentlich zu jung für diese Runde. Dessen Erfolge waren nicht nur für Dorin langweilig und von Kaufleuten hörte er schon alles in der Schule. Dorin hoffte vielmehr auf die Themen, die in Anwesenheit von Kindern immer ausgelassen wurden. Manchmal sprachen die Alten von den früheren Kriegen zwischen Trollen, Elfen und Wichteln! Die Funken des Feuers stoben wunderbar hoch in die laue Nachtluft. Sterne blinkten in der Ferne und in das Knistern der Holzscheite hörte Dorin wieder das Zirpen von Heuschrecken. Ein Lachen drang zu ihm herüber und dann die erschreckte, laute Stimme von Furgil: „Sonnenlicht der anderen Welt ist gefährlich, sie macht uns zu Stein?“ Wieder lachten die Alten. Ungeduldig kroch er auf allen vieren ein Stück über den Boden. Ihn kümmerte nicht der Sand, der an seinem jungen Körper haften blieb. Den würde er nachher einfach abklopfen, bevor er in sein Bett zurückkehren würde. Was für eine andere Welt? Warum sollten Wichtel zu Stein werden? „Trolle versteinern“, murmelte Dorin. Wahrscheinlich machten sich die Alten mit Furgil einen Spaß, anders konnte es sich Dorin nicht erklären. Er war jetzt nah genug, denn langsam wurden auch die leisen Stimmen verständlicher:

      „... Seitdem ist der Stein nicht mehr benutzt worden“, hörte er gerade einen bärtigen Alten sagen.

       „Der Stein liegt da, mitten im Wald und alles, woran man erkennen kann, dass er ein Geheimnis birgt, ist ...“

      „Pssst!“, machte ein anderer.

      „Rede doch nicht so laut! Umso weniger von dem Stein wissen, desto besser, oder hast du das Abkommen von Reykjavic und die Huldufólk's vergessen?“

      Dorin spitzte die Ohren. Das war genau das, was er so interessant fand und wofür es sich lohnte, Ärger zu riskieren.

      „Mich hört doch keiner!“, antwortete ärgerlich der Erste.

      Trotzdem senkte er die Stimme, sodass Dorin noch näher an das Feuer heranschleichen musste, zumal er die Stimme des alten Schamanen Lenguja erkannte. Sein Herz pochte vor Aufregung.

      „Also, er führt direkt zu den ...“

      Ein verdorrter Zweig knackte unter dem Knie von Dorin. Verkrampft erstarrte er mitten in der Bewegung. Jetzt raste sein Herz. Regungslos, bis seine Muskeln nicht mehr mitspielten, hielt er die Position. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Langsam und vorsichtig tastete er sich vorwärts. In einer relativ bequemen Lage blieb er einfach liegen. Eine Fee schwirrte langsam heran, umkreiste ihn und verschwand kopfschüttelnd wieder. Offensichtlich war der Ast vollständig vertrocknet, sonst hätte sie ihn womöglich noch lauthals ausgeschimpft!

      „Da war doch ein Geräusch“, rief einer der Alten.

      Lenguja stupste ihn gegen die Schulter und lachte:

       „Ja, und jetzt stehst du auf und schaust nach, wer uns da belauscht?“

      Dorin hielt die Luft an. Einen Moment lang war es still, dann begehrte der andere Wichtel auf:

       „Wir müssen vorsichtig sein mit den alten Geschichten!“

      Er war drohend aufgestanden, doch Lenguja lachte. Dorin sah, wie der Wichtel Lenguja noch kurz anstarrte, sich vollends umdrehte und einen Schritt in Dorin's Richtung tat, doch Lenguja hielt ihn am Arm zurück.

      „Bleib hier, da ist nichts“.

      Seine Stimme war resolut. Seine Hand ruhte auf dem Arm des Alten.

      Bereit zur Flucht hatte sich Dorin leicht aufgerichtet, schon als der Alte aufgestanden war. Sein Rücken schmerzte von der ungewohnten Lage und er biss sich vor Anstrengung auf die Lippen. Erleichtert sah er, dass der Alte sich wieder bequem auf dem umgestürzten Baum zurechtrückte. Der dicke Hintern streifte beim Setzen einen kleinen grünen Spross, der aus dem alten Baumstumpf wuchs. Ein kleiner Baumelf lief aufgeregt hin und her, starrte immer wieder zu dem kleinen Spross hin und hielt sich vor Schreck den Kopf. Der Hintern des Alten knickte den kleinen grünen Spross fast ab! Als ein Ast im Feuer laut knackte, zuckte Dorin heftig zusammen. Trotzdem schob er sich näher heran und bedeutete dem Baumelfen, ihn nicht zu verraten. Der hatte jedoch keinerlei Sinn für Dorin. Sorgenvoll beäugte er das kleine Pflänzchen und den dicken Hintern des kleinen Wichtels. Bedrohlich nah war der an den Spross herangerutscht! Der Baumelf tat Dorin leid. Sein Leben lang war dieser mit der Pflege von jungen Baumsprösslingen verbunden. Dieser Baum hatte noch Leben in sich und würde bestimmt weitere Sprösslinge austreiben, aber er lag auch auf der Seite und bot ein jämmerliches Bild. Irgendwann würde er als Bank für das Lagerfeuer ausgedient haben. Spätestens dann musste der Baumelf über das verbliebene Wurzelwerk eine Möglichkeit


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