Die erfundene Armut. Alex Bergstedt

Die erfundene Armut - Alex Bergstedt


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ist nicht immer möglich, zum Beispiel dann nicht, wenn keine Sozialleistungen gewährt oder beantragt worden sind.

      Unter Umständen wird so eine Person auch eigenes Internet brauchen. Oft kommt man mit einem Handy aus, für das monatlich ab 8 Euro Verträge mit Internet inclusive angeboten werden, außerdem gibt es fast in allen Städten und größeren Orten Stellen, an denen man kostenloses Internet nutzen kann, aber wer einen Laptop oder Computer ans Internet anschließen muss, weil er beruflich oder ehrenamtlich damit arbeitet oder nur so privaten oder behördlichen Verpflichtungen nachkommen kann, muss mindestens 20 Euro im Monat berechnen, wobei oft noch zusätzlich ein Vertrag für das Handy abgeschlossen werden muss. Billiger wird es nur, wenn er sich das Internet mit Nachbarn teilen kann.

      Rechnen wir also noch einmal für alle diese eventuell anfallenden Kosten ganz pauschal weitere 100 Euro ein.

      Wir liegen somit bei 1150 Euro, und somit tatsächlich bereits über der weiter oben benannten Armutsgrenze von 1054 Euro. Wer also eine relativ hohe Miete von 700 Euro zahlen muss (wobei in manchen Gegenden nur wenige Wohnungen billiger sind und nicht jeder nur wegen der Miete seinen Wohnsitz ändern kann) und noch andere Nebenkosten hat, kommt mit 1150 Euro tatsächlich nur gerade so über die Runden, es bleibt kein Geld für Vergnügungen wie etwa Restaurant, Theater, Konzerte, Netflix, Bier, Zigaretten usw., oder es muss regelrecht „vom Munde abgespart“ werden.

      Wer unabhängig von gesellschaftlichen, familiären oder sonstigen Verpflichtungen ist, hat natürlich mehr Möglichkeiten, sich einen finanziellen Spielraum zu verschaffen. Hierzu ein Beispiel:

      Gerda hat mit ihrem Mann im Ausland gelebt und nicht gearbeitet. Als sie 55 ist, stirbt er. Sie beschließt, nach Deutschland zurückzukehren, um Sozialhilfe zu beantragen.

      Da Gerda aber noch ein Sparkonto mit Hunderttausend Euro besitzt, erhält sie keine Sozialhilfe. Wenn sie 67 ist, erhielte sie eine kleine Rente, die dann auf Antrag gegebenenfalls von der Sozialhilfe aufgestockt würde. Da ihr Mann hauptsächlich im Ausland gearbeitet hat und dort nichts in die deutsche Rentenkasse eingezahlt wurde, erhält sie an Witwenrente nur 300 Euro.

      Die 100.000 Euro bringen an Zinsen oder Kapitalerträgen nur 1 bis 3 Prozent im Jahr, also im Schnitt ganz grob weitere 200 im Monat. Wenn sie die Ersparnisse allmählich aufbrauchen wollte, würde sie monatlich weitere 200 Euro entnehmen können und würde auch bei durch die Kapitalentnahme schwindenden Zinseinnahmen und ggf. allmählich höheren Bedarf durch die Inflation noch etwa 25 bis 30 Jahre insgesamt 400 Euro zusätzlich zu ihrer Witwenrente ausgeben können.

      Da sie aus den zurückliegenden Jahrzehnten keine Berufserfahrungen hat, kann sie sich höchstens für einen Nebenjob bewerben, aber dazu müsste sie in eine Gegend ziehen, in der Arbeitskräfte gesucht werden. Dann hätte sie aber höhere Mieten zu zahlen, Fahrtkosten und andere Nebenkosten. Daher beschließt sie, sich stattdessen in einer schönen aber wirtschaftlich unterentwickelten Gegend wie z.B. dem Emsland, Nordwestniedersachsen oder einige Gebiete in Ostdeutschland niederzulassen, wo sie für 300 Euro bereits eine schöne Wohnung mieten kann, mit Glück sogar noch billiger.

      Dann hätte sie noch 400 Euro übrig, also fast ebenso viel, wie ein Sozialhilfeempfänger, aber da sie in einer schönen Umgebung wohnt, entfallen viele Kosten, mit denen sich etwa ein Sozialhilfeempfänger in einer Großstadt plagen muss. So könnte sie also durchaus mit 700 Euro über die Runden kommen, vielleicht sogar mit weniger?

      Das absolute Minimum zum Überleben

      Vielleicht hat Gerda den Ehrgeiz, ihre Ersparnisse nicht anzutasten und nur von den Zinsen zu leben, da sie damit rechnet, sehr alt zu werden oder das Geld vererben möchte. Dann hätte sie nur 500 Euro zur Verfügung, wobei die Witwenrente wohl ab und zu inflationsbedingt angepasst (also erhöht) werden dürfte, nicht aber der Kapitalertrag. Dieser kann zwar auch bei höherer Inflation zu höheren Zinsen und Einnahmen führen, aber das ist nicht immer so.

      Wenn Gerda bei den Wohnungskosten sparen wollte, müsste sie in eine WG ziehen, mit einem Partner zusammenziehen, eine kostenlose Hausmeisterwohnung oder etwas Ähnliches suchen, aber das ist nicht immer möglich, und da Gerda eher konservativ ist, wollen wir sie nicht in eine alternative WG hineinzwingen. Sie hätte also nur 200 Euro zur Verfügung für Essen und andere Ausgaben. Sie sollte also auf Versicherungen verzichten. Da sie einen ruhigen Vorruhestand lebt, ist es unwahrscheinlich, dass sie einmal eine Haftpflichtversicherung braucht. Noch weniger Unfallversicherung oder Hausratversicherung, zumal wenn sie keinen wertvollen Hausrat besitzt. In Deutschland kann gebrauchter Hausrat ohnehin sehr leicht umsonst oder fast umsonst beschafft werden, wohltätige Organisationen und Kirchen haben Lager mit hochwertigen gebrauchten Möbeln aus Spenden, und viele Leute stellen bei Wohnungsauflösungen alles an den Straßenrand oder erlauben, dass man sich holt, was man braucht.

      In so ruhigen abgelegenen Gegenden kann man nicht nur die schöne Natur jederzeit kostenlos genießen, sondern man wird auch kulinarisch besser versorgt als etwa in einer Großstadt. Überall finden sich Obstbäume, die niemand aberntet, Brombeeren, Himbeeren, Pilze, ganz zu schweigen von Wildkräutern wie wildem Knoblauch oder zahlreichen Pflanzen, um Salate zu machen. Für einen symbolischen Beitrag wie zum Beispiel 50 Euro im Jahr könnte Gerda auch einen Kleingarten mieten und selbst anbauen.

      Sie könnte also das ruhige Leben eines Müßiggängers führen, etwa im vergleichbaren Niveau wie ein alter Graf im Mittelalter. Jeden Tag könnte sie einen herrlichen Spaziergang oder eine Radtour machen oder schwimmen oder am Strand bleiben, Bücher lesen, fernsehen, am örtlichen kulturellen Leben in Kirche o.a. teilnehmen, ein Buch schreiben, musizieren oder sonst etwas machen.

      Wenn sie wollte, könnte sie aber auch etwas unternehmen, um gelegentlich eine besondere Ausgabe tätigen zu können. Da sie immer zur Verfügung stünde, könnte sie einen Nebenjob suchen oder zumindest saisonal arbeiten. In strukturschwachen Gegenden wohnen wenig Leute, aber wenn zum Beispiel Touristen kommen, werden plötzlich Arbeitskräfte gesucht, zum Beispiel als Fremdenführer, und sei es als gelegentlicher Springer, wenn andere krank sind. So ein gelegentlicher Arbeitseinsatz sollte eigentlich eine willkommene Abwechselung sein, auch lernt man dadurch neue Leute kennen. Von Arbeitsbelastung kann also eigentlich nicht die Rede sein.

      Wer Ausländer ist und für einige Jahre in Deutschland lebt und arbeitet, ist in einer ähnlichen Situation. Er versucht oft, möglichst so gut wie gar kein Geld auszugeben und alle Einnahmen zu sparen oder an seine Familie im Ausland zu schicken. Oft mietet er keine Wohnung, sondern wohnt bei anderen umsonst oder für einen geringen Mietanteil. Ansonsten kauft er nur sein Essen, so dass er oft mit monatlich 300 Euro oder weniger auskommen und über 1000 Euro an seine Familie schicken kann.

      Lieber ein Reicher unter Armen sein als ein Armer unter Reichen?

      Die modernen Definitionen der Armut suggerieren, dass ein Mensch, der 2000 Euro verdient, als arm anzusehen ist, wenn er in Monaco wohnt, aber als reich, wenn er in einer armen Gegend wohnt wie zum Beispiel in Afrika. Aber ist das eigentlich richtig?

      Gefühlt ist ein Mensch, der 2000 oder gar 3000 Euro verdient, sicherlich arm, wenn er in Monaco wohnt, denn er sieht seine Nachbarn mit Luxusautos fahren, während er vielleicht auf die Busse angewiesen ist. Die Nachbarn tragen Uhren für mehrere Tausend Euro, ihre Frauen tragen edlen Schmuck und besuchen Schönheitsstudios. Alles das erregt den Neid vieler Durchschnittsbürger, so dass sie sich arm fühlen.

      Ein selbstbewusst und selbstbestimmt lebender Mensch, der traditionelle Werte achtet und nicht dem Besitz protziger Uhren, Autos und anderem „nutzlosem Tand“, wie man sagt, hinterherjagt, würde dagegen keinen Neid kennen und genauso vergnügt in Monaco leben wie etwa im Emsland oder gar in Russland.

      Im Gegenteil. Reiche Nachbarn zu haben, hat doch eigentlich nur Vorteile! Wer mit 2000 Euro Monatseinkommen in Monaco lebt, könnte vieles abstauben. Seine Nachbarn würden sich alles ständig neu kaufen und ihre hochwertigen Fernseher, Handys, E-Bikes, Kleidung oder Möbel vom Vorjahr verschenken oder auf die Straße stellen. Wenn fast alle reich sind, wird kaum einer Interesse an diesen gebrauchten Dingen haben, und jemand, der mit 2000 Euro auskommen müsste,


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