Die erfundene Armut. Alex Bergstedt

Die erfundene Armut - Alex Bergstedt


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die Kirchen und Vereine wohlhabend sind, bieten sie vieles umsonst an und auch eine nicht reiche Person kann so zumindest an einem Teil des kulturellen Lebens teilnehmen.

      Ganz anders in Russland oder anderen ärmeren Gegenden. Wenn überhaupt einmal jemand etwas weggibt, interessieren sich gleich sehr viele Menschen dafür, so dass der Einzelne kaum einmal das Glück hat, hochwertige neuere Produkte umsonst zu ergattern. Und wenn im Herbst das Obst reift, machen sich Tausende auf, um etwas zu ergattern. Selbst für gebrauchte Kleidung müsste man wegen der hohen Nachfrage relativ viel bezahlen.

      Durch seinen Beruf oder auch Teilnahme am gesellschaftlichen Leben lernt eine Person in Monaco oder einer anderen reichen Gegend schnell reiche Leute kennen, was natürlich zahlreiche Vorteile haben kann, denn einige reiche Leute sind spendabel und lassen andere, weniger wohlhabendere Menschen gerne an ihrem Reichtum teilhaben, geben Trinkgelder, gute Empfehlungen usw. Wird so ein Mensch etwa nach einem Gottesdienst, Konzert oder Sport zum Abendessen in ein Restaurant eingeladen, bezahlen oft reiche Leute für ihn mit. Lebte er hingegen in Russland oder Indien, würden die viel ärmeren Freunde umgekehrt erwarten, dass er sie freihält. Ich selbst habe auch in unterschiedlichsten Gegenden gelebt und genau dieses Phänomen in beiderlei Formen häufig erfahren.

      Darüber hinaus gibt es noch einige andere Nachteile, wenn man arme Nachbarn hat. Ich wohnte oft in Mehrfamilienhäusern. Wenn ich viele arbeitslose Nachbarn oder Sozialhilfeempfänger hatte, wurde das Leben teurer für mich. Denn solche Leute bekommen die Heizkosten vom Amt bezahlt und brauchen daher nicht an der Heizung zu sparen. Ich selbst spare natürlich, schon aus umweltpolitischen Gründen und heize meine Wohnung so wie in den 70ger Jahren empfohlen nur auf 18 Grad und nicht auf 23 oder 25 Grad, wie viele Menschen es heutzutage machen. Aber die Heizungsumlage hängt nicht nur vom eigenen Verbrauch ab, sondern meistens wird ein Teil, oft sogar die Hälfte, nach dem Gesamtverbrauch des Hauses berechnet, da ein sparsamer Mieter ja von der Wärme seiner Nachbarn mitprofitiert, die durch die Wände zu ihm dringt. So wurde ich an den hohen Heizungskosten der arbeitslosen Nachbarn beteiligt.

      Kommt natürlich noch hinzu, dass die Arbeitslosen viel zu Hause sind, vor dem Fernseher sitzen und frieren, während arbeitende Menschen die wenigen Stunden daheim oft in Bewegung sind, wenn sie kochen, sauber machen und andere Dinge erledigen. Während ich ohnehin nur heize, wenn ich zu Hause bin, läuft bei vielen die Heizung den ganzen Tag, wobei die Fenster oft dauerhaft gekippt sind, besonders, wenn dort Raucher wohnen.

      Ein Nachbar lässt sein Küchenfenster sogar gekippt, wenn er in den Winterurlaub fährt, so dass die Heizung kräftig weiterheizt und zwar nicht sein, aber dafür mein Geld und natürlich das anderer Nachbarn und des Arbeitsamtes verbraucht. (Pech war noch dazu, dass die Wärme der Nachbarwohnungen weniger meinem Wohnzimmer zugutekam, sondern vor allem meiner Küche und meinem Schlafzimmer. Diese beiden Räume hätte ich aber gerne kühl, um mit offenem Fenster zu schlafen und damit sich Lebensmittel in der Küche länger halten.)

      Gefühlte Armut

      Wer sich arm fühlt, obwohl sein Einkommen eigentlich gar nicht so gering ist, er aber in einer Gegend wohnt, in der er von noch reicheren Menschen umgeben ist, ist oft ein Opfer von Neid und anderen Gefühlen, die die Freude am Leben verderben können.

      Wie sehr die Gefühle die objektiven Tatsachen verändern können, hat bereits die Geschichte von dem Hotelier gezeigt, der auf einer kleinen Insel ein Hotel baute und damit scheinbar alle anderen bitterarm machte. Wie wichtig die Gefühle dabei sind, auch unabhängig von den verzerrenden Eigentümlichkeiten von Statistiken, zeigt folgende Geschichte:

      In einer Ortschaft lebten zwei kleine Handwerker, ein Maurer und ein Zimmermann. Beide besaßen ein kleines Häuschen, dessen Raten sie mühselig abstotterten.

      Eines Tages lag der Vater des Zimmermanns im Sterben, und er rief seinen Sohn zu sich und sagte ihm: „Im Garten unseres Hauses liegt ein Schatz aus dem Weltkrieg vergraben. Mein Vater hat ihn nach dem Abzug der Nazis gefunden und aufbewahrt. Nie hat sich ein Eigentümer gemeldet. Ich habe ihn immer aufbewahrt, falls wir einmal in Not geraten sollten. Nun, da ich sterbe, verrate ich dir das Geheimnis. Hüte den Schatz gut und gib ihn nur aus, wenn es mal wirklich wichtig wird.“

      Als der Vater tot war, grub der Zimmermann den Schatz aus und stellte fest, dass er mehr als eine Million Euro wert war. Da er nicht wollte, dass seine Verwandten und Freunde erführen, dass er nun reich sei, und ihn mit Bitten um Geld nerven, grub er den Schatz wieder ein. Er beschloss, die Raten für das Haus wie bisher abzustottern und den Schatz nur in einem wirklich wichtigen Fall oder Notfall anzurühren.

      Aber auch ohne dass er das Geld benutzte, machte der Schatz sein Leben viel besser, denn er wusste ja nun, dass er in Wirklichkeit sehr reich war und keine Angst mehr vor der Zukunft zu haben brauchte und konnte daher gelassen und ohne Angst vor plötzlicher Armut durch Erwerbslosigkeit, Krankheit oder Unfall in die Zukunft blicken.

      Er wusste indes nicht, dass jemand ihn bei der Grabung beobachtet hatte, und zwar der jugendliche Sohn des Maurers. Dieser war drogensüchtig und nutzte die einmalige Chance, kletterte nachts über den Zaun, grub den Schatz aus, verschloss das Loch, hinterließ alles ansonsten so wie vorher und flüchtete mit dem Schatz.

      Da er kein besseres Versteck wusste, vergrub er ihn erst einmal im Garten seiner Eltern, lediglich zwei Goldmünzen entnahm er, um Drogen kaufen zu können.

      Am nächsten Tag kaufte er bei einem Dealer eine große Portion Drogen. Der Dealer wunderte sich über die Goldmünzen und wollte wissen, woher sie stammten. Der Jugendliche erzählte von einem Schatz, aber um das Versteck nicht zu gefährden, verdrehte er die Tatsachen und sagte, der Schatz sei im Garten des Bürgermeisters vergraben. Der Dealer fragte nach, und als die ersten Unstimmigkeiten zu Tage kamen, erschoss er den Jugendlichen zur Abschreckung für andere, die es wagen sollten, einen Dealer zu belügen.

      So wusste niemand von dem Versteck des Schatzes. Der Vater des Jugendlichen wurde bald Rentner und starb ziemlich verbittert, da er unglücklich darüber war, dass andere zu Wohlstand gekommen waren, während er als ehrlicher kleiner Maurer den Gürtel so eng schnallen musste. Da er nicht wusste, dass er einen Schatz im Garten besaß, wähnte er sich arm.

      Anders hingegen der Zimmermann. Er hielt mit seinem Geld Haus und hatte niemals den Schatz gebraucht, daher hatte er nicht bemerkt, dass er längst nicht mehr in seinem Besitz war. Er glaubte all die Jahre, dass er reich sei und starb glücklich und zufrieden, obwohl er in Wirklichkeit genauso wenig Geld wie der Maurer ausgeben konnte.

      Diese Geschichte ist ein besonders krasses Beispiel, das zeigt, dass es oft reicht, lediglich zu glauben, dass man reich sei. Beispiele dafür, dass die Gefühle schwerer wiegen als die nackten Tatsachen, finden sich viele in der Geschichte der Menschheit.

      Nehmen wir zum Beispiel die Apartheid, die Rassentrennung, die Vermischung verhindern sollte und daher die Rassen in Schulen und anderen Orten trennte, wobei die Einrichtungen regelmäßig für die herrschende Rasse deutlicher besser waren. Besonders in Südafrika und Rhodesien wurden früher die Schwarzen, die zwar die Mehrheit stellten, aber von Weißen regiert wurden, anders als die Weißen behandelt. Sie verdienten meistens weniger, durften nicht auf denselben Sitzplätzen wie die Weißen im Bus, auf Parkbänken usw. sitzen, hatten schlechtere Schulen und viele andere Nachteile. Sie waren natürlich sehr aufgebracht darüber und mit der Zeit protestierten sie immer lautstärker und auch gewaltsamer. Konfrontiert mit zusätzlichen Schwierigkeiten durch internationalen Druck gaben die Weißen ihre Vorherrschaft schließlich auf und bei freien Wahlen errangen die schwarzen Parteien die Herrschaft.

      Besonders in Rhodesien führte das allerdings zu neuen Ungerechtigkeiten, Korruption, Unterdrückung, Gewalt und großer Armut, allerdings gleichermaßen unter den Schwarzen wie den Weißen. Den allermeisten Schwarzen ging es bald wesentlich schlechter als zuvor unter der weißen Herrschaft, während die Weißen größtenteils auswanderten.

      Würde man die Schwarzen, die beides erlebt haben, nämlich die totale Armut, die bis heute andauert, und das etwas bessere Leben unter den Weißen, an dem sie sich aber nicht freuen konnten, da sie sahen, wie die Weißen ungerechterweise viel mehr besaßen, fragen, ob sie lieber wieder in der Apartheid


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