REBELLION DER GEFÜHLE. Kerstin von Schuckmann
hatte dieses Modell keine GPS-Fähigkeit und damit keine Routenvisualisierung. Aber das wäre auch zu einfach gewesen, dachte er sich. Die Aktivität startete gegen zehn Uhr morgens. Am frühen Nachmittag wurde eine kurze zehnminütige Pause angezeigt. Danach fuhr Dreschke bis neunzehn Uhr weiter, und es erfolgte eine lange Unterbrechung über drei Stunden. Einer erneuten Aktivität von fünf Minuten folgte die nächste erst nach einer viertel Stunde. Und diese betrug wieder lediglich fünf Minuten. Danach wurde nichts mehr aufgezeichnet. Lopez war sich sicher, dass Dreschke seinen Mörder in einem Restaurant kennengelernt haben musste. Dreschke hätte normal noch zwei Stunden mit dem Fahrrad zurück nach Palma fahren müssen, und das hätte er im Dunkeln nicht erst um zehn Uhr abends gemacht. Jemand hatte ihm vielleicht vorgeschlagen, ihn mit zurückzunehmen. Die kurze Aktivität danach dürfte zum Beispiel auf das Heraufladen seines Fahrrads auf das Auto des Mörders zurückzuführen sein. Nach zehn Minuten Fahrt war der Brunnen erreicht. Sie setzten sich nach dem groben Freimachen auf den Rand, und der Täter ermordete Dreschke nach erwähntem Ritual. Er lehnte das Fahrrad nach dem Tod an die Sträucher der Mauer, so dass es wie ein Selbstmord aussehen sollte. Lopez positionierte den Brunnen auf seiner Karte und berechnete den innerhalb von zehn Minuten mit dem PKW zu erreichenden Umkreis. Dabei gab es nur einen Ort, der überhaupt in Frage kam. Ses Covetes war der Name des kleinen Dorfs. Hier gab es nur eine Tapas Bar, die bei Radfahrern besonders beliebt war. Lopez beschloss direkt morgen zur Öffnungszeit vor der Türe zu stehen. Sein Ziel war es, den Tatvorhergang bildlich nachvollziehen. Zuvor jedoch musste er noch früh Kontakt zum Hotel Esperanza aufnehmen, um zumindest einige Informationen über das Opfer herauszufinden. Trotz fortgeschrittener Stunde rief er die Spurensicherung an und bat sie erneut am folgenden Tag nach eventuellen Reifenspuren eines PKWs oder Kleinlasters zu suchen, mit dem Dreschke zum Tatort gebracht worden sein musste. Was für ein Tag dachte sich Lopez, während er sich einen Zigarillo der teureren Sorte anzündete und ermattet, aber zufrieden nach Hause fuhr.
TAG DREI
Kurz nach sieben betrat der Kommissar das kleine Hotel. Eine ältere Dame an der fast kitschig anmutenden Rezeption erwies sich als die Eigentümerin.
„Buenos días. Mein Kollege hatte Sie bereits gestern darüber informiert, dass Ihr Gast namens Dreschke seinen Aufenthalt in Ihrem Haus nicht mehr fortsetzen wird, da etwas Schreckliches passiert ist. Um Sie nicht durch nähere Angaben zu beeinflussen, habe ich ein paar Fragen an Sie. Dreschke war, wie wir erfahren haben, jedes Jahr mehrfach Gast in Ihrem Haus. Welche spontanen Erinnerungen haben Sie an ihn?“
Die Dame überlegte kurz.
„Er war ein sehr gesundheitsbewusster Mann. Jeden Morgen bestand sein Frühstück nur aus Haferflocken mit Obst und anschließend zwei gekochten Eiern. Er aß keine Wurst, keinen Käse. Lediglich noch Joghurt und diverse frisch gepresste Säfte. Er hat nie geraucht und auch so gut wie keinen Alkohol getrunken.“
„Hatte er Freunde, oder fuhr er immer allein?“
„Wir haben uns ab und zu im Frühstücksraum unterhalten. Dort erzählte er mir jeden Morgen von seinen geplanten Touren, die er nicht wie viele in Gruppen durchführte, sondern fast immer allein. Ganz selten buchte er eine mit anderen Bikern. Gestern allerdings wollte er wieder, wie bei jedem seiner Aufenthalte auf unserer Insel nach Ses Covetes in sein Stammlokal. Dort gibt es wohl eine gute klassische mallorquinische Küche.“
„Hervorragend“, dachte sich Lopez. Es musste sich genau um das Lokal handeln, zu dem er demnächst fahren wollte. Seine Berechnungen mussten also stimmen.
„Seine Welt war das Radfahren auf Mallorca. Was ist mit Dreschke passiert?“
„Das wird Ihnen später ein Kollege mitteilen. Bitte kommen Sie heute Nachmittag in das Polizeipräsidium. Dort wird man Ihnen die eben gestellten Fragen noch einmal stellen und Ihre Antworten schriftlich für mich festhalten. Vielen Dank für Ihre Hilfe.“
Die Bar in Ses Covetes öffnete bereits um neun Uhr. Viele Einheimische tranken, bevor sie zur Arbeit gingen, schnell einen Cortado, also einen Espresso mit wenig Milch. Lopez bestellte zunächst einen Café solo, einen Espresso ohne Milch und eine Ensaïmada, ein typisch mallorquinisches, schneckenförmiges Schmalzgebäck mit Puderzucker. Die Bedienung stellte ihm beides wortlos auf den frisch abgewischten Plastiktisch. Als sie zur Küche laufen wollte, rief Lopez sie zurück.
„Kommissariat Palma, Lopez mein Name. Ich habe ein paar Fragen an Sie und bitte Sie, sich kurz ein wenig Zeit dafür zu nehmen.“
Irritiert und sichtlich aufgeregt setzte sich die Dame an den Tisch.
„Geht es um die illegal vermietete Ferienwohnung dort hinten am Berg?“
„Nein, das ist auch nicht mein Bereich. Es geht um Mord.“
„Aber unsere Speisen oder Getränke sind hoffentlich nicht schuld daran. Ich bin die Eigentümerin der Bar und das wäre für uns fatal.“
Lopez beruhigte sie.
„Nein, es geht um zwei Gäste, die gestern Abend bei Ihnen gewesen sein dürften. Einer davon ist ein Deutscher. Michael Dreschke sein Name, aber das dürfte Ihnen wenig sagen. Von der zweiten Person haben wir keinerlei Anhaltspunkte. Er kann deutscher Staatsangehörigkeit gewesen sein, Engländer, Schwede, Mallorquiner, wir wissen es nicht. Dreschke ist passionierter Radfahrer, so wie viele, die bei Ihnen in der Bar einen Stopp machen. Auffällig könnte für Sie gewesen sein, dass er strohblonde Haare haben muss.“
„Ah, si, si. Er ist jedes Jahr sehr oft auf der Insel, kommt auch jedes Mal zu uns und isst eine große Portion Arros brut mallorquin, den besten heißen Reiseintopf auf Mallorca. Dieser wird in einem Tontopf mit Fleisch, Wurst, Gemüse, Kräutern und Pilzen aus den Zutaten von der Finca meines Onkels zubereitet. Danach isst er immer zwei Stücke unseres Gató de almendra, unserem köstlichen Mandelkuchen, hergestellt nach dem Rezept meiner Großmutter. Normalerweise trinkt er keinen Alkohol dazu, da er noch zweieinhalb Stunden mit dem Fahrrad zurück nach Palma fahren muss. Dieses Mal allerdings hat er bestimmt zwei Gläser Wein und Bier getrunken. So etwas fällt einem dann schon auf. Er hat sich ausgiebig mit einem Mann unterhalten, der ohne Zweifel Mallorquiner war. Auch das war auffällig, da er normalerweise immer nur allein hier ist.“
„Wie sah er aus? Können Sie ihn bitte genau beschreiben?“
„Also ehrlich gesagt achte ich eher auf die Touristen. Die Mallorquiner sind mir bekannt.“
Ihre Mundwinkel schienen ein Lachen anzudeuten.
„Er war so einen Meter siebzig groß, dunkelhaarig, keine Locken, sondern normal geschnittenes Haar.“
„Wie alt war er ungefähr?“
„Ich schätze ihn so um die fünfzig Jahre. Aber was auffällig war, waren beim Bezahlen seine Hände. Für einen mittelalten Mann hatte er sehr abgenutzte Hände. Seine Finger waren auch recht dick. Fast so ähnlich wie die meines Onkels der viel auf dem Land gearbeitet hat. Er nahm noch eine Flasche Wasser mit auf den Weg, da er wohl meinte dadurch seinen Alkoholspiegel senken zu können.“
Lopez hatte zunächst nicht mit so vielen Informationen gerechnet und ließ seine Freude erkennen, indem er der Dame auf die Schulter klopfte. Diese allerdings rückte direkt mit ihrem wackelnden Holzstuhl einen halben Meter weiter nach rechts von ihm.
„Konnten Sie sehen, ob sie zusammen gegangen sind und ob sie beide mit dem Fahrrad da waren?“
„Michael kommt immer damit. Da er aber nicht mehr fahrtüchtig war, und den Weg nach Palma zurück meines Erachtens nach auch nicht mehr gefunden hätte, hat ihn der Bekannte mit seinem Auto mitgenommen. Sie haben das Fahrrad in einen Kleintransporter gelegt und sind weggefahren.“
„Was für ein Kleintransporter und was für eine Farbe hatte er, und welches Kennzeichen?“
Lopez wurde nervös.
„Señor Lopez, es war dunkel und ich hatte auch noch zu arbeiten. Vergessen Sie das bitte nicht. Die Farbe muss dunkel gewesen sein, auf keinen Fall hell. Er war von der Größe her so ähnlich wie der, der dort auf der gegenüberliegenden