REBELLION DER GEFÜHLE. Kerstin von Schuckmann
gehe davon aus, dass Sie das Kennzeichen auch nicht lesen konnten.“
„Nein. Ich musste wie erwähnt arbeiten.“
Er merkte den langsam unfreundlicher werdenden Tonfall der Dame.
„La cuenta por favor, die Rechnung bitte und vielen Dank für Ihre ausführlichen Informationen.“
Die Bedienung lief Richtung Küche, kehrte aber plötzlich abrupt wieder um.
„Wer ist eigentlich tot?“
„Dreschke. Den werden Sie hier nie mehr sehen. Ich bitte Sie heute Nachmittag bei meinen Kollegen im Präsidium erneut auszusagen, damit wir Ihre wertvollen Angaben im Protokoll schriftlich festhalten können.“
Lopez legte seine Visitenkarte und zwanzig Euro als Dank für alles auf den Tisch und beschloss erneut direkt zum Tatort zu fahren, um die Ergebnisse der erweiterten Untersuchung der Spurensicherung zu verfolgen. Er fuhr den staubigen Weg, der sich zwischen den Feldern entlang zog, und stellte sich parallel vor, wie Dreschke, alkoholisiert neben seinem Mörder sitzend im VW Bus hin- und hergeschaukelt wurde. Was hat sein Mörder ihm wohl auf dem Weg zum Brunnen erzählt? Das Märchen einer Prinzessin, die im Brunnen liegt und aufersteht, wenn er hineinschaut? Auf jeden Fall muss es überzeugend gewesen sein. Lopez wurde bereits dreihundert Meter vor dem Tatort von einem Kollegen abgefangen, um keine weiteren Spuren zu zerstören.
„Hola Rafael, es ist erstaunlich. Der Mörder muss aller Voraussicht nach mit einem Kleintransporter bis circa einhundert Meter vor den Brunnen gefahren sein. Die Spuren des Wagens waren so perfekt überarbeitet, dass wir sie wirklich nur durch Zufall finden konnten, da nach der Tat bereits diverse Wagen, unter anderem Ihrer und unserer darübergefahren sind. Er muss die Spuren bei der Rückfahrt immer in aufeinanderfolgenden Abständen bearbeitet haben. Zunächst hat er mit einem mitgebrachten Rechen den Weg gekehrt. Dann hat er diesen mit ebenfalls mitgebrachten Steinen, Pflanzen und Zweigen unregelmäßig bestreut. Geschickt gemacht, aber nicht so pedantisch, dass wir nicht noch einige Dinge entnehmen konnten. Es handelte sich wie erwähnt um einen Kleintransporter, dessen Reifenabdrücke wir selbstverständlich genommen haben.“
Lopez war klar, dass der Begleiter im Lokal sein Mörder war. Der Hinweis, dass es sich um einen Kleintransporter handelte, stimmte mit der Angabe der Eigentümerin des Lokals überein. Was aber war, wenn der Mörder seine Reifen sofort entsorgt hatte? Lopez wusste, dass der Mörder dafür sorgen würde, dass auch weitere Spuren auf Sitzen oder im Kofferraum vernichtet würden. Es war bereits mittags und er musste zunächst seinen Bericht mit den Neuigkeiten eingeben.
Lopez fuhr eine halbe Stunde nur an Feldern vorbei. Ganz selten sah er in der Ferne eine Finca. Er genoss diese Strecke, da er die Natur liebte. Erst ab S´Arenal hatte ihn die Zivilisation wieder, und die Straßen bis Palma waren stark befahren. Am Polizeipräsidium angekommen, setzte sich Lopez sofort an sein Notebook und tippte die einzelnen Details seines Besuchs in der Bar in Ses Covetes ein. Beim Eingeben der Täterbeschreibung schrie er auf einmal laut „ich Idiot“ in den Raum. Eine Assistentin klopfte an die Türe und öffnete sie.
„Ist alles in Ordnung? Habe ich gerade den Ruf „Ich Idiot“ vernommen, oder war das der Kollege der Spurensicherung, der die Reifenspuren vielleicht direkt beim ersten Mal hätte entdecken sollen?“ Sie konnte sich das Lachen nicht verkneifen, prustete laut in den Flur, in dem gerade Kollege Antonio Díaz vorbeilief.
„Hola Rafael. Was ist denn mit unserer Assistentin los?“
„Die Tatsache, dass ich in meinem Zimmer „Ich Idiot“ gerufen habe, hat sie wohl übermotiviert und gefreut.“
„Warum haben Sie sich so genannt?“
„Machen Sie bitte die Türe zu Antonio. Ich erkläre es Ihnen.“
Díaz setzte sich auf einen mit mallorquinischem Stoff bezogenen Holzstuhl, der direkt unter der Wanduhr stand.
„Ich gebe gerade die neuen Informationen über den Brunnenmörder ein. Beim Eintippen der Merkmale „Abgenutzte Hände und dicke Finger“ schoss mir plötzlich die Tatsache in den Kopf, dass diese, wie Sie wissen, auch der Mörder von Kapitän Sturm hatte. Auch von ihm konnten aufgrund derselben Merkmale keine Fingerabdrücke genommen werden. Dieses würde auch die Tatsache bestärken, dass er keine Handschuhe beim Mord angehabt haben dürfte.“
„Das heißt es ist ein Mörder“ riefen beide zusammen in erkennbarem Ton in den Raum hinein.
Erneut ging die Türe auf und Assistentin Esmeralda stellte sich beide Arme in die Hüften gestützt, fragend in den Raum hinein.
„Ist das hier die Generalprobe für ein neues Theaterstück?“ Sie verließ erneut laut lachend das Zimmer.
Lopez und Díaz guckten sich an und klatschten mit ihren Handflächen ein lautes Give me five.
„So macht Arbeiten Spaß Antonio.“
Lopez ging wie so oft, zu seinem Fenster und schaute auf die belebte Straße. Er umfasste wieder den Fenstergriff, da er sich einbildete, dass er in dieser Position schon oft gute Ideen erzeugen konnte. Den Rücken seinem Kollegen zugewandt, sprach er laut gegen das gekippte Fenster.
„Die Mordmethode war unterschiedlich, aber auch wieder ähnlich. Mit einer Eisenstange erschlagen und mit einem Anker am Meeresboden fixiert. Das andere Opfer mit einer Glasflasche erschlagen und zusätzlich mit einem Giftmix ermordet. Hinzu kam, dass dem ersten Opfer die Zunge abgeschnitten und dem zweiten der rechte Fuß abgehackt wurde. Sollte es sich eventuell um einen Serienmörder handeln, oder war es reiner Zufall? Beide Opfer hatten tendenzmäßig etwas mit Umwelt zu tun. Der Kapitän durch die Zerstörung der Seegraswiesen und deren Ökosystem, sowie der Radfahrer, der laut Kommissar Voigt in Freiberg auch kein Umweltfreund zu sein schien. Handelte es sich bei dem Mörder wie bereits beim ersten Mord vermutet, um einen radikalen Umweltschützer? Beide Tatorte waren außergewöhnlich. Woher hatte der Mörder die abgenutzten Finger? Handwerker, Bauern waren nur zwei der Berufsgruppen, die mir spontan einfallen würden.“
Lopez konnte nicht mehr denken.
„Rafael, sie müssen eine Fahndung rausgeben, auch wenn noch nicht sehr viele Merkmale des Mörders vorliegen. Aber allein die abgenutzten Fingerkuppen und die auffällig dicken Finger sind Merkmale, die nicht jeder Mensch hat. Alle bisher erarbeiteten Merkmale sind Standard und treffen auf viele Personen zu.“
Lopez war müde und wusste, dass seine Kreativität nachließ. Seine Frau hatte heute außerdem Geburtstag und er hatte ihnen einen Tisch in einem sehr guten Restaurant mit typisch mallorquinischem Essen hinter Palma Richtung Portals Nous reserviert.
„Antonio, Sie werden mich in den nächsten Tagen weiter begleiten. Sollte es sich um einen Serienmörder handeln, reicht meine alleinige Kraft nicht mehr aus.“
Díaz überlegte kurz.
„Im Delegieren waren Sie immer schon ohne Konkurrenz. Ich helfe Ihnen gerne, auch wenn ich eigentlich abseits dieses Falls genug zu tun hätte.“
Spontan umarmte Lopez seinen Kollegen. Erneut ging die Türe auf und Esmeralda trat sichtlich irritiert herein.
„Happy End des Theaterstücks? Wie kitschig.“ Sie murmelte etwas vor sich hin und knallte die Türe zu.
„Antonio, bitte kümmern Sie sich um das Erstellen der Fahndungsblätter mit unseren Fachabteilungen.“
Díaz lachte. „Wie bereits erwähnt, Delegieren war schon immer Ihre Stärke.“
Lopez liebte die mallorquinische Küche. Das Geburtstagskind und er fuhren gegen neun Uhr abends Richtung Restaurant. Das Lokal war traumhaft auf einem Felsvorsprung gelegen. Die Tische standen direkt an den Rändern der Klippen, sodass den Gästen bei Wind die Salzluft mild in das Gesicht wehte. Beeindruckend war der Blick bis zum Horizont und das glasklar spiegelnde Wasser. Oft ankerten direkt vor dem Lokal riesige Yachten, von denen auch viele Eigentümer im Restaurant den Champagner fließen ließen. Lopez schaute sich um, ob eventuell einer der vielen Prominenten, die auf Mallorca fest oder zeitweise wohnten, anwesend sein könnte, aber unter den bisher Anwesenden